Kultur Zeitloser Anti-Star

Bernhard Haitink mit dem Concertgebouw Orchestra 2009.
Bernhard Haitink mit dem Concertgebouw Orchestra 2009.

Noch immer steht er am Pult: Als Chef des Concertgebouw Orchestra Amsterdam, des London Philharmonic Orchestra oder des Royal Opera House Covent Garden in London hat der Niederländer Bernhard Haitink prägende Spuren im Musikleben unserer Zeit gesetzt. Neben Karajan, Bernstein und Solti ist er der Maestro mit den meisten Einspielungen auf Schallplatte oder CD: ein Jahrhundertdirigent.

Vor einigen Jahren veröffentlichte ein englisches Musikmagazin ein „Ranking“ der besten Orchester der Welt; an erster Stelle: das Concertgebouw Orchestra aus Amsterdam, der Stadt, in der Bernhard Haitink geboren wurde. Es steht zwar seit 1988 nicht mehr unter seiner Leitung, aber kein anderer Musiker hat in der Nachkriegszeit diesen Klangkörper so sehr geprägt wie er. 1956 gab er sein erstes Konzert mit dem Orchester, 1961 wurde er Chefdirigent. In den 1960er-Jahren begann dann auch die rege Aufnahmetätigkeit für das niederländische Schallplattenlabel Philips, bei dem Bernard Haitink dieselbe Bedeutung hatte wie zeitgleich Karajan für Deutsche Grammophon und EMI, Bernstein für CBS und Solti für Decca. Aufsehen erregten vor allem die Zyklen mit den Sinfonien von Bruckner und Mahler. Die Amsterdamer Einspielung der Mahler-Sinfonien entstand nur kurz nach der von Bernstein und zeitgleich mit der Soltis. Auch bei Bruckner war Haitinks Gesamtaufnahme eine der ersten. Bei beiden Zyklen zeigen sich die Tugenden des Interpretationsstils vom Haitink sehr gut. Dem niederländischen Maestro war die Attitüde des Pultstars von jeher fremd, auch extreme Deutungen und ein allzu subjektiv-privater Zugang zu den von ihm dirigierten Werke gab es bei ihm nie. Sein Musizieren war und ist geprägt von einer sehr genauen und überlegten Ausarbeitung der Partituren, von formaler Übersicht und sinnfälliger Disposition und einem vielfarbig aufgefächerten Klang. Dass das im Verbund mit einer spürbaren innigen musikalischen Empfindung zu einem sehr tiefgründigen und tief bewegenden Musizieren führen kann, belegte unter anderem das Konzert der Wiener Philharmoniker bei den Salzburger Festspielen 2017, wo Haitink eine ergreifende Wiedergabe der neunten Sinfonie von Gustav Mahler bot. Wie erst vor wenigen Tagen die Aufführung der Neunten von Beethoven mit dem Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks im Münchner Gasteig. Zum Glück auf DVD (Euroarts) dokumentiert ist auch ein phänomenales Beethoven-Konzert mit Haitink vom April 2015 bei den Osterfestspielen in Baden-Baden mit der „Pastoralen“ und dem Violinkonzert (Solistin: Isabelle Faust), das die reife, von allen Moden unabhängige, aber vom neuesten Stand der Forschung wissende und im besten Sinne überzeitliche Kunst dieses Dirigenten grandios zum Ausdruck bringt. Dass Bernard Haitink nicht nur ein herausragender Interpret der großen Sinfonik ist, sondern auch ein eindringlicher Gestalter von Opern – und zwar von Mozart bis Wagner –, das hat er unter anderen mit brillanten Einstudierungen beim Glyndeborne Opera Festival bewiesen und mit einer bemerkenswertem Gesamtaufnahme von Wagners „Ring“.

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