Bad Dürkheim Über den Kirchturm hinaus: Vermeintliche Verteidiger des Christentums
Manche Momente brennen sich ins Gedächtnis ein – weil sie einen berühren, einen Aha-Effekt auslösen. Ein solcher Moment war für mich der Ostergottesdienst 2019 im Vatikan: Menschen füllten den riesigen Petersplatz und vorne saß Papst Franziskus, um mit uns allen Jesu Auferstehung zu feiern. Die Menschen waren aus allen Teilen der Welt zusammengeströmt, feierten als große Familie Gottes. Die grenzenlose Gemeinschaft ließ mich spüren: So hat uns Gott gemeint.
Knapp elf Wochen zuvor hatte dieser Papst mit dem islamischen Großimam von Al-Azhar eine Erklärung verfasst „über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt“. Sie taten dies „im Namen Gottes, der alle Menschen mit gleichen Rechten, gleichen Pflichten und gleicher Würde geschaffen hat und der sie dazu berufen hat, als Brüder und Schwestern miteinander zusammenzuleben, die Erde zu bevölkern und auf ihr die Werte des Guten, der Liebe und des Friedens zu verbreiten“. Den Tag der Unterzeichnung feiert die Uno seit 2021 als Internationalen Tag der menschlichen Geschwisterlichkeit. Ja, so hat uns Gott gemeint!
Nicht der Osterhase macht christliche Kultur aus, sondern Barmherzigkeit, Offenheit und Liebe
Wie traurig ist es, wenn unter dem Vorwand, das christliche Abendland verteidigen zu wollen, Gruppen heute die christliche Lehre ins Gegenteil pervertieren: Christus wollte am Kreuz alle Menschen zu sich ziehen und schickte seine Jünger zu allen Völkern; sie aber verkünden ein völkisches Weltbild, geprägt von Ausgrenzung und nationalistischem Egoismus. Christus wünschte nach seiner Auferstehung den Jüngern Frieden und sprach von Vergebung; sie aber hetzen Menschen auf und sympathisieren mit Kriegstreibern. Christus verkündete die Liebe als Gottes ureigenste Eigenschaft und sah sie als Grundlage von allem an; sie aber schüren Hass und säen Feindbilder. Nein, so hat Gott uns nicht gemeint!
Heuchelnd geben sie vor, unsere christliche Kultur verteidigen zu wollen, und treten selbst deren Werte mit Füßen. Ein solches Anti-Christentum kann keine Alternative sein – weder für Deutschland, noch für sonst ein Land in Gottes Schöpfung. Wenn unsere christliche Kultur bedroht ist, dann nicht durch Menschen, die bei uns Schutz und Frieden suchen, sondern durch Menschen, die ihnen genau dies verweigern. Nicht Osterhase und Weihnachtsmann machen eine christliche Kultur aus, sondern Barmherzigkeit, Offenheit und Liebe. Das letzte Konzil formulierte es in Nostra aetate so: „Wir können aber Gott, den Vater aller, nicht anrufen, wenn wir irgendwelchen Menschen, die ja nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sind, die brüderliche Haltung verweigern. Das Verhalten des Menschen zu Gott dem Vater und sein Verhalten zu den Menschenbrüdern stehen in so engem Zusammenhang, dass die Schrift sagt: ,Wer nicht liebt, kennt Gott nicht.’ (1 Joh 4,8)“
- Achim Stein ist Diakon der katholischen Pfarrei in Grünstadt