Wachenheim Das Festival „Kleine Heimaten“ greift viele Facetten des Begriffes auf

Europa umfängt Deutschland: Performance von Coralie Wolff (links) und Beate Hoffmann .
Europa umfängt Deutschland: Performance von Coralie Wolff (links) und Beate Hoffmann .

Am Wochenende fand zum vierten Mal das Kulturfestival „Kleine Heimaten“ in Wachenheim statt. Ein Spaziergang durch Wachenheims verwinkelte Gassen, entlang der Stadtmauer, auf Entdeckungsreise zu kulturellen Häppchen in öffentlichen und privaten Gärten. Eindrücke vom Samstag.

Bewusst wurde schon 2019 das Festival „Kleine Heimaten“ genannt. „Heimat“ im Singular ist emotional aufgeladen, wird kontrovers diskutiert, politisch und kommerziell instrumentalisiert. Heimat gibt’s zudem verkitscht in Heimatromanen. Heimat kann aber auch ein „Sehnsuchtsort“ sein, in dem man sich „beheimatet“ und verstanden fühlt. Man kann sich generell „heimatlos“ fühlen, oder an „Heimweh“ leiden, wenn man aus unterschiedlichsten Gründen fern der Heimat lebt. Man kann aber auch mehrere Heimaten haben. Mehrere Orte, an denen man sich wohl, verstanden und zugehörig fühlt.

Heimat kann ausgrenzen

Die Idee von Heimat kann ausgrenzen – wenn man Menschen, die schon lange „hier“ leben, immer wieder fragt: „Bist Du von do?“ und ihnen dann ein Stück weit die Zugehörigkeit abspricht, weil man ihre Heimat woanders verortet sieht. Für andere wiederum ist der Begriff kein Grund zu tieferer Reflexion: Heimat ist einfach dort, wo man wohnt, wo bereits Eltern und Großeltern ganz selbstverständlich gewohnt haben. Erst fern der Heimat wird sie bewusst wahrgenommen.

„Heimaten“ im Plural wirft Fragen auf, statt Antworten zu geben. Und umgeht feste Definitionen. Ist Heimat ein individuelles Gefühl? Ein Geruch? Geschmack? Gemeinschaft? Werte? Eine Idee? Ein oder mehrere Orte? Oder gar die ganze Nation? Das Festival lud jeden dazu ein, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Dieter Malzacher zeigt Auszüge aus seinem Stück „der Märchentierarzt“.
Dieter Malzacher zeigt Auszüge aus seinem Stück »der Märchentierarzt«.

Bei dem Streifzug durch Wachenheim, auf der Suche nach den in der Broschüre verzeichneten Veranstaltungsorten, entdeckt man so manche individuelle Heimat: liebevoll gestaltete Vorgärten, verwinkelte Häuser, die im Laufe der Jahre individuell den Bedürfnissen der Bewohner angepasst wurden, geschmückte Fenster. Gärten. Während des „Kulturspaziergangs“ lernt man versteckte „Heime“, individuelle „Glücksoasen“ kennen, begegnet neuen Ecken und Menschen im „Heimatort“ Wachenheim.

Ein solcher Glücksort ist der Garten der Familien Darting und Kiefer. Versteckt zwischen zwei Häusern, führt ein schmaler Gang und eine ebensolche Treppe zu einem großen Garten mit Blick auf die Wachtenburg. Hier liest Hasan Özdemir. Er ist Lyriker, lebt seit vielen Jahren in Freinsheim, ist Initiator der dortigen „literarischen Lese“. Bekennender Pfälzer. Er merkt an, dass es im Türkischen, seiner Muttersprache, keinen Begriff für Heimat gäbe, man könne deshalb „Heimat“ nicht exakt ins Türkische übersetzen- umgekehrt aber auch die drei türkischen Begriffe, die es für diesen Komplex gibt, nicht exakt ins Deutsche. Allerdings hat er sich als Germanist auch intensiv mit der Bedeutung und Herkunft des Begriffes beschäftigt, empfindet die Nuancen.

Ein anderer Glücksort ist der Garten der Familie Hoffmann an der Stadtmauer. Hier spielt der Figurenspieler Dieter Malzacher Auszüge aus seinem Stück „der Märchentierarzt“. Figuren bekannter Märchen wie der Wolf, die Hexe und der Spiegel, der für die Antwort auf die Frage „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im Land“ zuverlässig Antwort gibt, müssen in Therapie: Der Spiegel hat eine posttraumatische Belastungsstörung, der Wolf kann aus Mitleid nicht töten. Malzacher hat seine Figuren selbst gestaltet, das Gezeigte ist ein Auszug aus seinem Kabarettprogramm für Erwachsene „echt märchenhaft“. Denkt man über Heimat und Nation nach dürfen die Gebrüder Grimm und die Entstehungsgeschichte ihrer Märchensammlung nicht fehlen.

Schlager voller Heimweh

Im Garten des Bürgerspitals widmet man sich dem Thema „Heimweh“ – ausgedrückt in Schlagern, die sich mit der Situation der ersten Gastarbeiter auseinandersetzen. Die Zuhörer werden eingeladen, bewusst die Texte von „Griechischer Wein“ und „zwei kleine Italiener“ wahrzunehmen. Für viele waren das zuvor nur fröhliche Schlager. Deutlicher dagegen drückt Cem Karaca die Situation der damaligen Gastarbeiter in dem weniger bekannten Lied „es kamen Menschen an“ aus.

Im Garten des protestantischen Pfarrheims schließlich klingt der Tag aus- mit einer Einladung an alle Zuhörer und Künstler des Tages, sich an der Diskussion „was ist Heimat“ zu beteiligen. Ruth Ratter moderierte dabei, und stieß die Diskussion mit einem Impulsreferat an. Coralie Wolff und Beate Hoffmann zeigten eine Performance. Die im Kreis sitzenden Zuschauer bildeten den Rand einer „Bühne“, in die Wolff mit Deutschlandfahne einlief. Dann folgte Beate Hoffmann mit einer regenbogenfarbenen Europafahne. „Europa“ umrundete und umtänzelte „Deutschland“- am Ende drehten sich beide Darsteller eng beieinander im Kreis. Deutschland eingebunden in Europa. Das Bild entspricht auch dem Lebensgefühl der meisten Diskutanten: zur deutschen Fahne äußerten sie ein ambivalentes Verhältnis, eingebettet in Europa fühlen sie sich aber verbunden.

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