Bad Dürkheim „Eine anstrengende Zeitreise“

Das gab es in der Geschichte des Kirchheimer Konzertwinters noch nie: Deutschlandradio Kultur zeichnet in Kooperation mit dem SWR Mainz ein Konzert auf und sendet es am 6. Februar bundesweit. Der Anlass: die Uraufführung einer außergewöhnlichen Komposition. Der Schweizer Bachspezialist Professor Rudolf Lutz hat eine Wein-Kantate in der Art des Thomaskantors mit Kirchheimer Bezügen vertont, die am Samstag und Sonntag in der protestantischen Kirche Kirchheim erstmals zu hören sein wird.

Herr Professor Lutz, Sie haben eine Bach’sche Weinkantate komponiert. Klingt die eher nach Bach oder eher nach Lutz?

Sie klingt in hochbarockem Stil, der sich natürlich durchaus mal bachisch anhört. Anklänge an Händel sind auch zu vernehmen. Schließlich überbringt in unserer Story die englische Königin Angela höchstpersönlich Grüße von Georg Friedrich Händel. Man hört, dass bei der Geburt dieses zweifellos ungewöhnlichen Projekts leckerer Kirchheimer Wein nicht unbeteiligt war. Wie kam es dazu? Letzten Januar durfte ich das Kirchheimer Barock Consort mit vier Kantaten von Bach leiten. Da wurde jeweils nach den strengen Arbeitstagen schön pfälzisch gebechert. Dominik Wörner hat ein „Weincrescendo“ organisiert und da lernte ich die verschiedenen edlen Kirchheimer Gewächse bestens kennen. Nach der Generalprobe ging die Stimmung hoch und wir fabulierten und dachten, eine Kaffee-Kantate und eine Bauernkantate von Bach existierten, jedoch fehle eine Weinkantate. Wenn man über 250 Jahre später im Bach’schen Stil geistliche und weltliche Verse, die im Libretto ja reichlich vorkommen, vertont, was ist das? Ein geistreicher Scherz, eine anregende Zeitreise, eine ernsthafte Kunstübung oder etwas ganz anderes? Wenn man sich kompositorisch mit einem Stil beschäftigt, ist es ähnlich, wie wenn man ein eigenes Haus entwirft und es dann zusammen mit einer Baufirma auch baut. Nach der Aufrichte (dem Konzert) sieht (hört) man das Resultat eins zu eins und bemerkt viele Details der barocken Baupraxis überdeutlich. Es ist für mich eine ernsthafte Kunstübung, sicherlich auch eine anregende Zeitreise und hoffentlich eine unterhaltsame Musik für unser Publikum. Sollten die Musikerinnen und Musiker auch noch Freude an der Aufführung haben, wäre ich sehr glücklich. Ich war bemüht um eine präzise „Musikalisierung“ des anregenden Textes. Pfarrer Karl Graf hat ein Libretto verfasst, das ziemlich den entsprechenden Barockstil des 18. Jahrhunderts trifft. Wie schafft man es, beim Komponieren alles zu vergessen, was die Musikgeschichte seit 1750 neu erfunden hat? Da ich über 20 Jahre an der Scola Cantorum Basiliensis das Fach „Historische Improvisationspraxis/Schwerpunkt Hochbarock“ unterrichtet habe, fällt es mir nicht schwer, mich stilistisch zu begrenzen. Ich spreche diese Musiksprache und habe gelernt, Rhetorik, Grammatik und Syntax so genau wie möglich zu beachten. Kann man sagen, dass Sie durch ihr Bachprojekt der fortlaufenden Aufführung und Erläuterung Bach’scher Kantaten in dieser Klangwelt mehr zuhause sind als in jeder anderen? In der Funktion des Künstlerischen Leiters der J.S. Bachstiftung St. Gallen habe ich bereits 85 Bachkantaten studiert und dirigiert. Ja, es ist die Klangsprache, welche ich sicherlich am besten kenne, nebst Brahms und Beethoven. Wie ist es gelungen, den Rundfunk für die Weinkantate zu interessieren? Ein Freund der J.S. Bachstiftung St. Gallen hat sich sehr intensiv um einen Mitschnitt bemüht. Dies ist mir eine große Ehre und Freude, auch dass ich meine Kantate mit einem sehr guten Ensemble einstudieren und zur Aufführung bringen kann. Sogar mit dem alten Bach an der Orgel!

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