Bad Dürkheim Felix Mendelssohns „Lieder ohne Worte“ mit Worten

Bezirkskantor Johannes Fiedler freute sich sicht- und hörbar sehr: Ein recht ungewöhnliches Programm hat am Samstag in der Burgkirche mehr Zuhörer angelockt als erhofft, so dass man noch etliche Stühle hinzutrug. Hundert Musikfreunde oder sogar noch einige mehr lauschten aufmerksam Felix Mendelssohn-Bartholdys „Liedern ohne Worte“ in von Bernd Stegmann 2010 hergestellten Fassungen mit Worten – eine recht paradoxe, aber interessante und hörenswerte Angelegenheit, wie der reiche, zufriedene Beifall am Ende bekundete.

Eine paradoxe Angelegenheit sind im Grunde schon Mendelssohns Lieder ohne Worte, indem man üblicherweise unter einem Lied ein gesungenes Gedicht versteht. Mendelssohn hat nun kantable, liedhafte Melodien erfunden. Er ließ sie aber nicht singen, sondern zusammen mit der Begleitung vom Klavier vortragen. Das ist etwa so, als ob man bei einem Schubertlied den Sänger wegließe und seinen Part vom Klavier mitspielen würde. Warum? Die Epoche liebte durchaus den willkürlichen Einfall, aber Mendelssohn gibt in einem Brief auch eine Begründung: Bei Worten würden die Hörer in einem weit höheren Maß Unterschiedliches denken und empfinden als bei reiner, absoluter Musik - ein zweifellos sehr romantisches Konzept, das dann auch im Programmheft als „reichlich gewagt“ in Zweifel gezogen wird. Bernd Stegmann – über den man im Programmheft leider gar nichts erfährt – hat jedenfalls im Jahr 2010 Worte, nämlich protestantische Kirchenlieder vor allem des 16. und 17. Jahrhunderts von Luther, Gerhardt, Neumark, Neander, hinzugefügt und die Töne und Harmonien dazu so weit als möglich dem mendelssohnschen Klaviersatz entnommen – also, noch paradoxer, Lieder ohne Worte mit Worten erzeugt. Vorgetragen wurde das bei der „Musik in der Burgkirche“ in Zusammenarbeit gleich dreier Bezirkskantorate. Die zehn Sängerinnen und Sänger des Kammerchors Capella Laurentiana entstammen der Kantorei im rechtsrheinischen Nürtingen. Bad Dürkheim stellte mit Bezirkskantor Johannes Fiedler den Pianisten, der zum Chorgesang die unveränderten, nur manchmal um der Bequemlichkeit der Sänger willen auf andere Tonhöhe gesetzten Klavierstücke Mendelssohns in mittlerweile schon gewohnter Eleganz und Meisterschaft ausführte, und der frischgebackene Bezirkskantor von Bad Bergzabern und Germersheim, Wolfgang Heilmann, hielt als Dirigent alles organisch zusammen. Durchaus vielversprechend der Auftakt: „Wer nur den lieben Gott läßt walten“. Die wiegende Melodie ähnelt dem Original, ist schlicht gesetzt und frisch und munter gesungen. „Lobe den Herren“: Eine Intonation, welche die Originalmelodie zitiert, dann ein rasches, frisches Singen, große Intervalle, abgesetzter Vortrag, alles sehr rasch, dabei bemerkenswert klare und starke Tonbildung, vorzügliche Textverständlichkeit: ein virtuoses Kunststück. „Du meine Seele singe“ ist zunächst einstimmig, wechselnd von Männern und Frauen gesungen. Dann entwickelt sich ein feines Stimmengeflecht, wobei dieses Singen stets vom rasch fortschreitenden Metrum eingehegt bleibt. „Aus tiefer Not“ ist sehr fesselnd, weil strukturelle Bezüge zum Original vorhanden sind und der Satz genau den Affekt des Chorals zu treffen scheint. Dann aber melden sich Zweifel: Diese Not scheint weniger existenziell begründet zu sein als vielmehr romantisch-spukhaften Schreckbildern zu entspringen. Wie auch immer: Die Bearbeitungen sind abwechslungsreich, werden lebhaft und gekonnt dargeboten und bieten dem Ohr immer wieder Neues. Die Capella Laurentiana singt durchweg sicher, entschlossen und klar, allerdings in den Männerstimmen nicht immer ganz schlackenlos. Johannes Fiedler begleitet präzis und mit differenzierter Feinheit, die Klangbalance zwischen Chor und Klavier stimmt, allenfalls hätte man sich da und dort ein nicht ganz so straffes Vortragstempo gewünscht. Besonders schön wären jene Lieder ohne Worte, die tatsächlich ohne Worte von Klavier allein gespielt wurden: Das „Venezianische Gondellied“ op. 19,6 war wunderschön. Fiedler vereinigte zügigen Vortrag mit subtiler, atmende freier Tempogestaltung und malte eine verhaltenes Stimmung. Der Klang des Flügels erwies sich als ideal dimensioniert. Die Sprachgestalterin Luise Wunderlich las zu alledem Verse und Prosa von Eduard Mörike, der als Pastor zu Cleversulzbach nicht recht ausgelastet war und recht viel Zeit fand, Alltägliches wortreich mit einem Pathos aufzuladen, das zweifellos nicht jedermanns Sache ist. Ein Gewinn wäre, wenn sie ihren Vortrag weniger an der Form von Mörikes Strophen und mehr nach den Sinnspitzen seiner Worte ausrichten würde.

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