Bad Dürkheim Neue Tanzmusik aus dem Bordell

Ein besonderes „Plus“ gab es am Sonntag beim Festival „Gitarre Plus“ in Weisenheim am Berg zu erleben. Karin Eckstein spielt Bandoneon. Zusammen mit dem Sänger und Gitarristen Matias Bocchio brachte sie authentischen Tango-Gefühl in die Ehemalige Synagoge. Dabei verriet die Musikerin auch, dass sie das Bandoneon zunächst gewaltig unterschätzt hatte.

„Ich hatte mein Musikstudium abgeschlossen und dachte, Bandoneon, das mach ich schnell so nebenbei“, sagte sie den Zuhörern. Vermutlich hatte sie damals auch nicht erwartet, dass sie das Bandoneon in Berlin und Paris studieren und dann bei großen Meistern in Argentinien den Tango an seinen Quellen lernen wird. Heute ist Karin Eckstein eine Virtuosin auf dem Instrument. Zu hören gab es ein Repertoire, das Kenner des südamerikanischen Tangos schätzen, das aber außerhalb der Szene wenig bekannt ist. Es gab also viel zu entdecken. Dabei wurde deutlich, dass „Tango“ ein Oberbegriff ist, für eine Vielzahl von Rhythmen und Formen und auch für verschiedene Stimmungen der Musik. Damit kennt sich auch Matias Bocchio aus. Noch bevor der 34-jährige Argentinier seine schöne Bariton-Stimme erklingen ließ, hörten ihn die verdutzten Zuhörer pfeifen. Ums Pfeifen geht es nämlich in „Silbando“, dem ersten Stück des Konzerts. Und so pfiff Bocchio und begleitete sich auf der Gitarre, dann stieg Karin Eckstein mit ihrem Bandoneon ein. „Ich bin weich geworden, ich gehe in die Kirche, ich will weinen – was hast Du mit mir gemacht?“, fragt sich ein offensichtlich verliebter schwerer Junge in „Malavaje“. Tango entstand in Hafenkneipen, Bordellen und Stadtteilen, die man heute als „sozialer Brennpunkt“ bezeichnen würde. Wie die beiden Musiker erklärten, waren es Einwanderer, die verschiedene Musikstile ihrer europäischen Herkunftsländer mitbrachten und daraus eine neue Tanzmusik machten. Über die bloße Unterhaltung hinaus haben dann Komponisten wie Astor Piazzolla und weitere Musiker aus Argentinien und Uruguay den Tango zur Kunstmusik entwickelt. Noch in einigen anderen Texten, die Bocchio erläutert, merkt man die Halbwelt der Tango-Ursprünge: Da ist die Rede von „El Titere“, das ist ein Spitzname für einen Kerl, der ganz schnell mit dem Messer ist. Das Stück hat Piazzolla geschrieben, der Text stammt von Jorge Luis Borges, dem großen argentinischen Schriftsteller. „Ein Balg in Paris“ (Un fueye en Paris) von Leopoldo Federico handelt nicht von einem ungezogenen Kind. „Balg“, nennen die Bandoneonspieler ihr Instrument. Mehrere Tangomusiker haben sich länger in Paris aufgehalten, Piazzolla hat dort studiert. Die Gitarre war an diesem Vormittag oft in der Rolle des Begleiters. Bässe und Akkorde, rhythmische Akzente und manchmal auch Perkussion auf dem Korpus trugen zum rhythmischen Gefühl bei. Es gab auch Stücke, in denen die Melodieführung zwischen Gitarre und Bandoneon wechselte, ein Stil, der oft bei spontanen Sessions gepflegt wird, so Eckstein. Die lebhafte, ausdrucksvolle Musik des Duos kam beim Publikum sehr gut an. Die erste der Zugaben war „La Cumparsita“, einer der berühmtesten Tangos, der aus Uruguay stammt. Dann folgte der berühmte „Libertango“ von Piazzolla. Am Ende gab es noch Folkloristisches zum Mitsingen. Für Frühaufsteher spielte zuvor Martin Müller sein meditatives Morgenkonzert, traditionsgemäß ohne Worte und ohne Beifall. Am Sonntagabend beschloss Björn Vollmer das 22. Festival mit einem Flamenco-Konzert.

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