Bad Dürkheim „Pflege ohne Herz nix gut“

Zwischen Charme und Erschöpfung: Maria (Yaroslawa Gorobey) kümmert sich 24 Stunden am Tag um die alte Magdalena (Felix S. Felix)
Zwischen Charme und Erschöpfung: Maria (Yaroslawa Gorobey) kümmert sich 24 Stunden am Tag um die alte Magdalena (Felix S. Felix).

Ein Publikumsmagnet war das Chawwerusch-Stück „Maria hilf“ am Sonntagabend im Freinsheimer Von-Busch-Hof. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel stellt der Schlaganfall der Mutter das Leben einer Familie auf den Kopf. Ein Kammerspiel mit drei Frauen.

Eine Vorahnung dazu liefert bereits die karge Bühnenausstattung, ein Pflegenachttisch, darauf ein Koffer, Pantoffeln in einem Fach. Statt Urlaubsreise – Krankenhaus und Reha. Die Realität erzwingt Entscheidungen. Autor und Regisseur Walter Menzlaw gelingt die ebenso einfühlsame wie ungeschminkte Inszenierung einer Lebenssituation, die allen Beteiligten das Äußerste abverlangt. Seine drei Akteurinnen, Mutter Magdalena (Felix S. Felix), Tochter Michaela (Miriam Grimm) und die polnische Pflegerin Maria (Yaroslava Gorobey), gefangen allesamt in einer schicksalhaften Gemeinschaft, stehen vor einer Mammutaufgabe. „Nicht ins Heim!“ – der Wunsch der Mutter bringt die Tochter, selbst Mutter und berufstätig, an den Rand der Verzweiflung. Versuche der Annäherung scheitern, zumal ihr Bruder Christian, schon immer vergöttert, keine Hilfe ist. Der Tochter fällt die Rolle der Entscheiderin zu, bringt sie schnell an ihre nervliche Belastungsgrenze, zumal die an den Rollstuhl gefesselte Mutter wie eine Löwin um ihr Zuhause kämpft. Tränen, Trotz und Trauer: Seelen öffnen sich, erwecken Mitgefühl und Verständnis für beide Frauen, denen es irgendwie gelingen muss, Pflege sicherzustellen und den Wunsch der Mutter als „gute Tochter“ zu erfüllen. „Wir sind die Marias“, so erscheint die polnische Pflegekraft wie der rettende Engel auf der Bühne, „wir schlafen kaum, pausenlos wollen helfen, Hoffnung und Freude bringen ...“ So beschreibt sie in gelassener Freundlichkeit den Alltag einer Frau, die 24 Stunden lang bei schlechter Bezahlung für einen alten, kranken Menschen da zu sein hat. „Pflege ohne Herz nix gut!“ Dieses Mantra scheint Maria auf die Stirn geschrieben, wobei ihr hilfloses Gegenüber zuerst in trotziger, fast bösartiger Abwehr verharrt. Der Zuschauer kann erahnen, wie bitter es ist, die Selbstständigkeit zu verlieren, nach eigenem Empfinden würdelose Toilettengänge zu erledigen. Eine Fremde, auch noch aus Polen – da kommen dunkle Kapitel der Familiengeschichte auf, überblenden die Gegenwart, Vorurteile fliegen der Pflegerin um die Ohren. In unermüdlichem Erfindungsreichtum, liebenswürdig und charmant vermag sie „Mutter Magdalena“ aus ihrer Verbitterung zu locken, ihr ein Lächeln abzuringen. „Mutter soll daran glauben, dass alles gut wird“, so informiert sie die Tochter, die immer wieder atemlos, gestresst herbeieilt, um nach dem Rechten zu sehen. „Ich nix Jesus, ich Maria!“, ist einer ihrer göttlichen Sätze, wenn ihre Motivationsversuche zu scheitern drohen. Sich nicht hängen lassen, selbst versuchen lautet ihre Vorgabe, streng und gleichzeitig spielerisch. Die komödiantischen Akzente täuschen jedoch nicht darüber hinweg, dass dieses Spiel eines der schwierigsten ist, dem der Zuschauer mit einem lachenden und einem weinenden Auge folgt: Marias artistische Einlagen, ihre fantasievollen ergotherapeutischen Übungen. Das Eis scheint zu schmelzen, auch Tochter und Maria kommen sich näher. Am Randes dieser Handlung allerdings zeichnet sich eine zweite Realität ab, scherenschnittartig wahrzunehmen hinter einem leichten Vorhang, der Einblick erlaubt in Marias kleine Welt dahinter. Ein Bild wohl der eigenen Familie, ihre Müdigkeit, ihre Tränen. Ihre Überforderung. Ihr eigenes Leben holt sie wieder ein. Eindrucksvolle Szenen werden von diesem Abend in Erinnerung bleiben, wie das Tableau des stummen Schreis der drei Frauen, des Schreis nach draußen um Gehör. Marias eigenes Schicksal schreckt die Familie auf, zu spät. Der Fingerzeig auf „unsere Marias“ war deutlich, intensiv und berührend.

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