Bad Dürkheim Ruhe in Frieden

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Das Leben mit dem Sterben (7): Auch in Bad Dürkheim gibt es einen schleichenden Wandel in der Bestattungskultur. Auf dem städtischen Friedhof wurden im Jahr 2014 rund 70 Prozent der Verstorbenen in einer Urne bestattet. Zu beobachten ist ein Verschwinden von Traditionen, zu spüren ist aber auch eine Sehnsucht nach neuen Abschiedsformen.

Gerd Ester ist auch nur ein Mensch mit einem gewissen Hang zur Tradition. Als es im April des Jahres 2005 im Dürkheimer Stadtrat darum ging, die Hand für die Genehmigung des Ruheforsts zu heben, tat der heutige Beigeordnete das nicht aus voller Überzeugung. „Ich neige mehr zur Sargbestattung“, sagt der 54-jährige Protestant. „Neigte“, muss er sich dann verbessern, denn er erinnert sich noch gut an jenen Tag, an dem seine Frau und sein Bruder ins Büro gekommen sind und ihm eröffneten, dass sie beide vorhaben, sich nach dem Tod im Ruheforst bestatten zu lassen. In einer Urne. Er sei überrascht gewesen, konnte er mit dieser Form der Bestattung doch relativ wenig anfangen. „Ich kann mich ja nicht alleine auf den Hauptfriedhof legen“, habe er sich bei der weiteren Beschäftigung mit der Thematik aber gedacht. Inzwischen ist er sicher, dass er auch nach dem Tod bei seinen Lieben sein will. Im Ruheforst, der bis zu 48 Hektar Fläche hat und wo inzwischen weit über 3000 Menschen unter Bäumen begraben sind. Die Zahlen belegen, dass Familie Ester – wenn auch unbewusst – mit der Masse geht. Im Jahr 2005 war das Verhältnis zwischen Sarg- und Urnenbestattungen auf den Dürkheimer Gottesäckern noch ausgeglichen, wie die Statistik aus der Stadtverwaltung darlegt. Doch seither verstetigt sich der Trend der Feuerbestattung, die in der katholischen Kirche erst seit dem Jahr 1963 erlaubt ist, mit anschließender Beisetzung der Urne. Nur noch 31 Prozent derjenigen, die 2014 auf einem kommunalen Friedhof beerdigt wurden, sind mit einem Sarg in die Erde gelassen worden. Ursachen für diese Entwicklung gibt es viele. Gerd Ester hebt eine hervor: „Die Familien leben nicht mehr so eng beisammen. Die Grabpflege will man niemandem zumuten, der weit weg wohnt“, sagt er. Tatsächlich wächst die Bereitschaft zur Urnenbestattung proportional zur Zahl der Einpersonenhaushalte. Wohl selten gab es zu Friedenszeiten derart viele anonyme oder halbanonyme Beerdigungen. Auch auf dem Dürkheimer Hauptfriedhof gibt es dafür eine Fläche, an deren Rand Säulen mit Namen stehen, die dem genauen Ort nicht zugeordnet sind. Vielfach sind hier Menschen begraben, die ohne Angehörige verstorben sind und für deren Beerdigung in einigen Fällen auch die Stadt aufkommen musste. Ester sagt klar, dass es im Dürkheimer Friedhofswesen einen finanziellen Zuschussbedarf gibt. Sterben – daraus macht auch Ester im Gespräch keinen Hehl – muss man sich leisten können. Für ein normales Grab verlangt die Stadt 1540 Euro, das Urnengrab kostet 975 Euro. Hinzu kommen Kosten für Bestattungsinstitut, Krematorium und vieles mehr. Am Ende steht dort inklusive Sarg nicht selten ein Betrag von rund 10.000 Euro. Das Schlagwort einer „Kommerzialisierung des Sterbens“ macht in einem anderen Zusammenhang bei Kirchenvertretern die Runde. Vor allem die Ruheforst-Konzeption scheint einigen ein Dorn im Auge. Ein Diskussionspapier der Evangelischen Kirche zu den Herausforderungen der sich wandelnden Bestattungskultur hat schon vor mehreren Jahren Stimmen zitiert, die hinsichtlich der Ruheforste von „naturreligiös verbrämtem Kommerz“ sprachen. Dekanin Ulla Hoffmann und einige Mistreiter haben der sich wandelnden Bestattungskultur in Dürkheim eine eigene Variante hinzugefügt. „Wir waren da Trendsetter“, sagte Hoffmann bei einem Gespräch vor einigen Wochen. Das sogenannte Kolumbarium, ein Urnenfriedhof für Protestanten wie Katholiken direkt an der Klosterkirche, hat das Thema Sterben und Tod wieder ein Stück weit zurück in die Mitte der Seebacher Gesellschaft gerückt. Vorbild sei die jüdische Erinnerungskultur gewesen, so Hoffmann. Die Urne aus ungebrannter tonhaltiger Erde löse sich sehr schnell auf, so dass sich die Asche mit der Erde vermische. Der Platz für die Asche sei damit nicht mehr von einer Liegezeit abhängig, und die Urne müsse nicht entsorgt werden. „Ökologisch“, wie Hoffmann findet und „Bewahrt in Ewigkeit“, wie auf dem Stein über dem Urnenfeld zu lesen steht. „Erde zu Erde, Asche zu Asche“ – nach diesem Leitbild habe man gehandelt, als dieser besondere Friedhof neben der Kirche im Jahr 2008 eingeweiht wurde. Das individuelle Gedenken geschieht durch den in Stein gravierten Namen, der im Seitenflügel des von der Künstlerin Madeleine Dietz geschaffenen Triptychons angebracht wird. Das individuelle Gedenken: Wer eine Runde läuft auf dem alten Friedhof in der Stadt, kann beobachten, wie sich Zeitgeist und Art des Erinnerns an Verstorbene durch die Jahrzehnte verändert haben. Bis in die 80er Jahre hinein dominierte beispielsweise dunkler Marmor, die neueren Gräber sind vorwiegend mit helleren Sandsteinen geschmückt, die dem Tod eine schönere Verpackung geben. Aber es hat sich noch mehr verändert. Der katholische Pfarrer Norbert Leiner berichtete kürzlich von besonderen Liedwünschen, die in Einzelfällen auch schon abgelehnt werden müssten, weil sie doch etwas sehr individuell gewesen seien. Die Pop-Musik hat dennoch Einzug gehalten – auch auf dem Friedhof, der heute auch mal neben einem Fußballstadion liegen kann. Die Friedhofsbestattung Hamburg GmbH bietet für Fußball-Fans im Internet eine HSV-Bestattung an, wenn der große Schlusspfiff gekommen ist. Solcherlei Sonderwünsche habe es in der Kurstadt bisher seines Wissens nicht gegeben, sagt Gerd Ester, unter dessen Verantwortung für den Hauptfriedhof über 3200 Gräber fallen. Der Dürkheimer Ruheforst müsste bei weiterhin stetigem Wachstum bis ins Jahr 2050 schon bei rund 20.000 Bestattungen angekommen sein ... Die Serie „Unser Hospiz“ – selten haben sich die Menschen in Bad Dürkheim so intensiv für ein Projekt engagiert. In einer Serie befasst sich die RHEINPFALZ mit verschiedenen Aspekten des Sterbens. Das Thema Tod soll aus der Tabuzone geholt werden.

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