Bad Dürkheim Transport in den Tod

91-90305412.jpg

Im Morgengrauen des ersten Laubhüttenfesttages, an dem die Juden Erntedank feiern, klingelten die vom nationalsozialistischen Gauleiter Josef Bürckel entsandten Häscher bei den letzten jüdischen Bürgern Wachenheims, die sich trotz der von Amts wegen angeordneten Schikanen, Enteignungen und Drohungen aus ihrem Heimatort nicht hatten vertreiben lassen. „Am 22. Oktober 1940 wurden die Judenfamilien Bella-Reichardt Mehlinger, Mane, Scheuer und Falkenberg durch die Gestapo (Geheime Staatspolizei) mittels Kraftwagen abgeholt. Von dieser Stunde an ist Wachenheim judenfrei geworden“, heißt es im amtlichen Bericht zur Bürckel-Aktion. Die sieben Frauen und Männer gehörten zu den mehr als 950 Juden aus dem damaligen NS-„Gau Saarpfalz“, die an diesem Tag zu Sammelstellen gebracht und von dort in überfüllten Güterwaggons in den von der Hitler-Wehrmacht nicht besetzten Teil Frankreichs transportiert wurden. Das Ziel der Höllenfahrt: das Lager Gurs am Fuß der Pyrenäen. Die Deportation von Simon Mane und seiner Frau Helene, geb. Herzberger, Flora Mehlinger, Isabella Reichardt, geb. Mehlinger, Emil und Leonie Scheuer sowie Ludwig Falkenberg war der Höhe- und Schlusspunkt eines der schändlichsten Kapitel in der Geschichte Wachen-heims. Juden lebten hier nachweislich schon, als Kaiser Ludwig den kurpfälzischen Flecken mit Stadtrechten ausstattete (1341). Das Bürgerrecht blieb ihnen allerdings verwehrt. Es gab eine Synagoge (Baujahr ungewiss). Als in der „Kristallnacht“ (9. November 1938) SA-Banden überall in Deutschland die Synagogen in Brand setzten, blieb die Wachenheimer von der Zerstörung verschont. Ein großer Teil der umliegenden Häuser wäre ebenfalls ein Raub der Flammen geworden. Damals wohnten die Familien Mane und Scheuer in dem bereits nicht mehr als Synagoge genutzten Gebäude. Der jüdische Friedhof ist erstmals 1522 in einer Urkunde des Stifts Limburg erwähnt. Im Jahr 1849 erreichte die israelitische Kultusgemeinde in Wachenheim mit 121 Seelen ihren Höchststand. Im Jahre 1933, an dessen Beginn Reichspräsident Hindenburg den NS-Führer und fanatischen Antisemiten Adolf Hitler zum Reichskanzler berufen hatte, lebten in Wachenheim noch sechzehn Bürger jüdischen Glaubens (sechs Männer, sieben Frauen und drei Kinder). Die neue, von NSDAP und Rechtskonservativen getragene Regierung setzte im ganzen Reich die „Gleichschaltung“ der Verwaltungen in Gang, die missliebigen Bürgermeister und Beigeordneten wurden aus ihren Ämtern vertrieben, die demokratisch legitimierten Ratsgremien wurden aufgelöst, Parteigänger der NSDAP rissen die Verwaltungsposten an sich. Nach diesem Muster lief die „Machtergreifung“ auch in Wachenheim ab. Im 1929 gewählten Stadtrat hatte die „Bürgerliste“ 14 Mandate inne, SPD und Zentrumspartei verfügten über jeweils drei Sitze. Die Ratsmitglieder der SPD und des Zentrums wurden gezwungen, ihre Mandate „freiwillig“ niederzulegen. Der gewählte Bürgermeister, der Gutsbesitzer Fritz Müller (Bürgerliste), wurde abgesetzt, sein Amt übernahm der 27-jährige Kaufmann Philipp Kettinger. Die „Gleichschaltung“ der Verwaltungen bis hinunter zur lokalen Ebene machte Hitler und seinen Gefolgsleuten den Weg frei, die abstruse NS-Rassenideologie mit staatlicher Gewalt und Schein-Legalität als letztendlich mörderische Staatsräson durchzusetzen. Die den Faschisten zur Beute gewordene Obrigkeit drangsalierte die Juden systematisch mit Beschwernissen und Bedrückungen. In Wachenheim erließ Bürgermeister Kettinger „unter Zustimmung der Beigeordneten und Stadträte“ im August 1935 eine „Entschließung“, derzufolge Juden der Erwerb von Liegenschaften, die Eröffnung eines Gewerbebetriebes und der Zuzug in den Ort verboten war; Vermieter mussten der Gemeinde gegenüber versichern, dass ihre Mieter „arischer Abstammung“ sind; die Stadt selbst „vergibt Arbeiten nur noch an solche Geschäftsleute, die nicht mit Juden Geschäfte tätigen und nicht mit Juden gesellschaftlich verkehren“. Die schrittweise Entrechtung und Enteignung der jüdischen Wachenheimer gipfelte schließlich in deren Vertreibung. Kaum hatte sie die Gestapo abgeholt, bedienten sich manche Nachbarn schamlos an Hab und Gut der Deportierten. Ihr Mobiliar und ihr Hausrat wurden versteigert, ihre Häuser und Liegenschaften wurden zum Verkauf gestellt. Das Ehepaar Mane wurde im August 1942 über das französische Sammellager Drancy in das Vernichtungslager Auschwitz transportiert und dort wenige Wochen später ermordet. Flora Mehlinger starb am 8. September 1941 im Lager Gurs, ihre Schwester Isabella ist verschollen. Emil Scheuer starb am 6. Mai 1944 in Frankreich (Vendogeren). Leonie Scheuer wurde drei Monate später befreit, sie kehrte nach dem Krieg nach Wachenheim zurück, wo sie 1965 starb. Ludwig Falkenberg gelang es 1941 mit Hilfe seines bereits in Richmond/Virginia lebenden Sohnes, über das Auswanderungslager Les Milles nach den Vereinigten Staaten und von dort nach Argentinien zu emigrieren. Er starb 1958 in Buenos Aires. Literatur Fritz Wendel: Geschichte der Stadt Wachenheim an der Weinstraße, neu bearbeitet und ergänzt von Wolfgang Meyer und Michael Wendel, Herausgeber: Stadt Wachenheim, 2015

x