Über den Kirchturm hinaus Wahrheit oder Lüge: Wann Skepsis helfen kann

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Von Rüdiger Schellhaas-Eberle
Als Marie (16) in ihre Klasse kommt, spürt sie sofort: Irgendwas ist hier im Gange. Einige Jungs fangen an zu lachen, als sie Marie sehen. Zwei, drei der Mädchen machen mit. Sie schauen auf ihre Handys, zeigen sie anderen in der Klasse. Das Lachen breitet sich aus. Marie merkt: Es geht um mich. In der Pause zeigt ihr eine Freundin aus der Parallelklasse auf ihrem Handy ein Video. Marie erschrickt, als sie sich selbst darin erkennt. Sie räkelt sich halbnackt auf einem Bett. Sie kann sich jedoch an keine Situation erinnern, in der dieses Video hätte aufgenommen werden können. Sie hätte einer solchen Aufnahme nie zugestimmt. Ihre Freundin aber hat herausgefunden, dass das Video mit einem KI-Programm erstellt wurde. Ein harmloses Foto mit Maries Gesicht wurde dafür verarbeitet.

Im Vereinslokal macht am Stammtisch eine Geschichte die Runde, die für ein Vorstandsmitglied äußerst kompromittierend ist. Von einer Schmiergeldübergabe und Bestechung ist die Rede, alle regen sich auf, Forderungen nach Rücktritt und Vereinsausschluss werden laut. Am nächsten Tag spricht ein Stammtischbruder den Beschuldigten bei einem zufälligen Treffen an. Es stellt sich heraus, dass dieser zur fraglichen Zeit weit weg in Urlaub war. Das Gerücht löst sich langsam wieder in Luft auf. Woher es kam, ist nicht mehr herauszufinden.

Neue Risiken durch neue Medien und KI

Zwei Beispiele für unseren menschlichen Umgang mit der Wahrheit. Dass über andere, die gerade nicht da sind, schlecht geredet wird, und dass daraus auch mal eine „große Sache“ wird, das gibt es wahrscheinlich, seit es Menschen gibt. Gott sei Dank ließ und lässt sich einiges davon relativ einfach wieder aus der Welt schaffen. Bei den Möglichkeiten, die Internet und künstliche Intelligenz heute bieten, ist das offenbar nicht so leicht.

Keine Frage, neue Medien bringen viele Annehmlichkeiten und Vorteile, die ich selbst auch gerne nutze. Dass sie aber vielfach auch missbraucht werden, dafür ist die Geschichte von Marie nur ein kleines Beispiel. Oft reicht der Missbrauch weit darüber hinaus, bis in die bewusste Steuerung von Stimmungen und Meinungen und die Beeinflussung von Abstimmungen und Wahlen.

Was hilft dagegen? Nicht nur der Ruf nach dem Staat und seinen Regulierungen. Die sind sicher notwendig. Genauso sind wir aber auch selbst gefordert, nicht gleich alles für bare Münze zu halten, was uns über andere erzählt wird oder was uns im Netz als angebliche Neuigkeiten entgegen flattert. Nicht Misstrauen, aber eine gute Portion Skepsis wäre angebracht und die Frage, wo die Information herkommt und wie sie belegt werden kann. Auf gut Pfälzisch: Uffbasse!

  • Rüdiger Schellhaas-Eberle, Pfarrer i.R., zuletzt tätig in den Gemeinden Sausenheim-Neuleiningen und Grünstadt
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