Über den Kirchturm hinaus Wenn Respekt und Pietät auf Friedhöfen fehlen

Respekt, Pietät und Anstand sind nach Meinung von Pfarrer Christopher Markutzik gerade auf einem Friedhof gefordert.
Respekt, Pietät und Anstand sind nach Meinung von Pfarrer Christopher Markutzik gerade auf einem Friedhof gefordert.

Von Christopher Markutzik

Und? Wie halten Sie es auf dem Friedhof? Wie halten Sie es denn mit Pietät, Respekt und Anstand? Werte, die man ja eigentlich in unserem Zusammenleben schätzt und die durchaus wichtig sind, oder?

Nun, ich habe dazu inzwischen einen anderen Blick gewonnen. Denn ich erlebe zunehmend, dass solche Werte im Miteinander verloren gehen. Und das gar nicht mal durch junge Menschen, die bei sowas ja oft für die Gesellschaftsschelte herhalten müssen, sondern bei durchaus älteren Leuten. Die hier und da doch nach dem Motto agieren: Ich habe alle Rechte der Welt!

Ein provokanter Satz, keine Frage. Doch ich möchte ihn belegen. Und zwar mit Begegnungen, die ich immer häufiger habe und die mir wirklich den Kamm schwellen lassen. Ort dieser Begegnungen: Friedhöfe. Denn ich beobachte immer häufiger, dass gerade die ältere Generation jeden Respekt, jede Pietät, jeden Anstand gegenüber Trauernden verliert. Drei Belege dafür, die keine vier Wochen alt sind.

Scherzen und Lachen neben Trauernden

Erste Begegnung: Eine kleine Trauergesellschaft, die ihren Vater beisetzen muss, steht am Grab und ich als Pfarrer begleite die Familie mit einem Gottesdienst an eben diesem Grab. Keine 20 Meter von uns entfernt unterhält sich ein Ehepaar lautstark über eine Grabstätte, die sie gerade herrichten. Es wird gelacht, gescherzt und dann noch fragend zum Trauergottesdienst geschaut. „Warum sind die denn so wenige?“ Noch nicht einmal flüstern konnten sie aus Respekt vor den Trauernden .

Zweite Begegnung, die so oder ähnlich übrigens immer wieder vorkommt, doch diese ist noch ganz aktuell: Der Trauerzug ist auf dem Weg zum Grab. Der Pfarrer und der Bestatter laufen gemessenen Schrittes zum Grab. Ein älterer Herr, der augenscheinlich von der Grabpflege kommt, begegnet dem Zug. Doch anstatt sich respektvoll an die Seite zu stellen, steuert er auf die Trauergesellschaft zu und läuft mitten durch sie hindurch. Frei nach dem Motto: „Des ist mei Strooß unn do laaf isch jetzt.“ Die 30 Sekunden Lebenszeit, kurz inne zu halten und sich an die Seite zu stellen, hatte der Herr nicht.

Drittes Ereignis, gerade die Tage: Eine relativ kleine Trauergesellschaft, die bereits am Grab steht, wird von einer Dreiergruppe älterer Menschen im Abstand von 25 Meters beobachtet. Und es wird fröhlich geratscht. In einem Augenblick, in dem die Angehörigen sichtlich bewegt gewesen sind, hört man es auf dem Friedhof schallen: „Unn gugg emol, die äänd Fraa steht es bissje abseits. Die hot beschdimmt was angestellt!“

Friedhofsbesucher lassen Anstand vermissen

Respekt, Pietät und Anstand – Dinge, die die Menschen, die ich gerade beschrieben habe, sicher für sich selbst einfordern würden. Und die sie selbst schlichtweg vermissen lassen.

Wie das mit Kirche zusammenhängt und mit Glauben? Nun, ich denke, dass sich auch in solchen Augenblicken spüren lässt, wie viel uns als Gesellschaft verloren geht, wenn wir den Kontakt zum Glauben verlieren. Zum Glauben, der sich eben doch auf die Fahne schreibt, füreinander da zu sein. Sich zu halten und zu beschützen. Oder eben auch ein Gespür dafür zu haben, wann man sich selbst zurücknehmen sollte.

Im Glauben füreinander da sein

Umso wichtiger finde ich es, eben von diesem Glauben zu sprechen und ihn auch zu leben. Weil es solche kleinen Dinge sind, in denen wir spüren können, wie wir als Gesellschaft zueinander stehen. Ob wir füreinander da sind und uns gegenseitig helfen.

Da die Stimmung in so vielen anderen Bereichen unserer Gesellschaft aber gerade das nicht fördert, sondern sie immer fokussierter auf das Individuum und seine vermeintlichen Rechte konzentriert, braucht es die Kirche als Ort, Dinge anders anzusehen. Und auch, solche Momente anders zu lösen. Und sei es nur mit respektvollem Abstand und 30 Sekunden pietätvoller Stille im Angesicht von Menschen, die das in so einem Augenblick verdient haben und gut gebrauchen können.

  • Christopher Markutzik ist Pfarrer in Sausenheim
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