Donnersbergkreis Bewegende Reise zu einer glücklichen Insel

Ihr Spiel wurde mit nicht enden wollendem Beifall gefeiert: Diana Sahakyan.
Ihr Spiel wurde mit nicht enden wollendem Beifall gefeiert: Diana Sahakyan.

«DANNENFELS.»Was für ein Temperament! Was für eine atemberaubende Technik! Welch tief bewegende, mitreißende Musikalität! In Superlativen lässt sich das Klavier-Rezital Diana Sahakyans im Dannenfelser Jagdhaus beschreiben. Eine „Nachpremiere“, denn eigentlich sollte die armenische Pianistin die „Sommerfrische“-Reihe des „Musikfestivals Rheinhessen“ am Donnersberg eröffnen. Wegen einer Verstauchung des Handgelenks musste sie absagen und nun das Abschlusskonzert übernehmen. Wieder war der Besuch sehr gut.

Die sechs Klavierstücke op. 118 von Johannes Brahms zu Beginn – mit dem ersten Intermezzo (Allegro non assai, ma molto appassionato) als leidenschaftliche Einführung in eine hochromantische Gefühlswelt. Sahakyan schlägt voluminös und ungehemmt powernd an, um genauso samtweich in zartestem Pianissimo die Tasten zu streicheln. Nichts wirkt dabei aufgesetzt oder extrovertiert. Jeder Ton ist sinnlich, jede Passage kommt wie selbstverständlich und dem Innersten der Interpretin entsprungen. Dieses äußerst differenzierte „ehrliche“ Spiel rührt an. Die Hände der Künstlerin sind auffallend schmal und lang, sie bleiben dicht über der Klaviatur, ohne an Geläufigkeit zu verlieren. Sahakyans Mienenspiel spiegelt ihre Empfindungen wieder. Ihre Musik klingt hochemotional und durchdrungen. Das zweite „Intermezzo“ in A-Dur zählt mit zum Schönsten, was Brahms für das Klavier schrieb. Hier blieb seine schlichte, liedhafte Innigkeit wunderbar unverkitscht. Markant und herb kontrastiert das Thema der „Ballade“ zu ihrem lyrisch-feinsinnigen Mittelteil, das „Intermezzo“ in es-Moll klagt elegisch bis hin zur Tragik – eine enorme poetische Bandbreite wird hier angeschlagen. Claude Debussy distanzierte sich von deutscher Romantik. Seine vier „Estampes“ (Gravuren) sind Skizzen völlig unterschiedlicher Klangräume. In den „Pagodes“ nähert sich der Komponist auf sublime Weise dem in Java und Bali beheimateten Gamelan an (ein Ensemble diverser Perkussions- und Blasinstrumente), fasziniert von der Musik des Fernen Ostens. Die folgende „Soirée dans Grenade“ setzt diesen fürs erste „fremden“ Tönungen iberischen Zauber entgegen – stolz auftrumpfender Habanero- Rhythmus vereint singende Gitarren, Kastagnettengeklapper und orientalisch inspirierten Flamenco: Spanien als Traumland. In „Jardin sous la pluie“ (Garten im Regen) mischen sich lautmalerisch Tropfen und Kinderlied-Zitate. Sahakyan spielte diese fein gezeichneten Impressionen in changierenden Farben aus, die so typischen kristallinen Glitzertöne Debussys ziselierte sie mit filigraner Finesse. Pianistische Steigerung und Reiseziel des ersten Teils war schließlich die „L’isle joyeuse“, die Vision einer glücklichen Insel. Nein, keine Idylle der Seligen, vielmehr eine rauschhaft dionysische Orgie. Rückhaltlos und entfesselt wird hier (zuletzt mit fast infernalischen Akkordtrillern) vitale „Freude“ beschworen. Bewundernswert, mit welcher Transparenz und virtuosen Souveränität die Pianistin dieses dämonische Bacchanal gestaltete. Im Zentrum des Konzerts stand der „Carnaval op. 9“ von Robert Schumann, der brillanteste seiner Tanzzyklen; ausführlich stellte Intendantin und Gastgeberin Claudia Henninger die agierenden Personen und Hintergründe dieses in lebhaften Farben sprühenden Bilderbogens vor – „Drehbuch“ für einen Maskenball. Zugrunde liegen ihm die Noten A (e)S C H. So heißt der böhmische Ort, in dem Schumanns Verlobte Ernestine von Fricken lebte, und gleichzeitig kommen diese Töne auch im Namen des Komponisten vor. Nach den festlichen Fanfaren der „Préambule“ treten die schillerndsten Figuren auf: Pierrot und Harlequin aus der Commedia dell’arte, alias Eusebius (der Überlegende) und Florestan (der Draufgänger), beide im Davidsbund gegen die Philister vereint, Chiarina (die geliebte Clara) und Estrella (Ernestine), außerdem Chopin, Paganini... Sie tanzen die „valse noble“, schwelgen in berührenden Lyrismen, „haben Schmetterlinge (Papillons) im Bauch“, verlieren und finden einander, machen wunderschöne Liebesgeständnisse... Der hymnische Davidsbündlermarsch, das krönende Finale, wird zum Ohrwurm. Sahakyan lebt die dramaturgisch genial aufgebauten Charakterstücke grandios und mit bewundernswerter Präzision aus. Fantastisch! Zugabe nach frenetischem, nicht endenden wollendem Beifall ist eine Hommage an den gerade verstorbenen Armenier Charles Aznavour: die „Elegie“ des Landsmanns Arno Babajanyan. Eine „Chanson triste“. Im lockeren Dialog mit Henninger wurde vor dem Konzert die künstlerische Entwicklung der Pianistin angesprochen: 13-jährig das erste Orchesterkonzert, mit 16 Jahren ein erster Abschluss, dann Klavierstudium in Eriwan. Zahlreiche Wettbewerbe, internationale Meisterkurse und Konzerte. 2015 Preisträgerin beim Flame- Wettbewerb in Paris, 2009 Diplom als Konzertpianistin, zur Zeit Studium an der Staatlichen Musikhochschule in Frankfurt.

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