Donnersbergkreis Der Widerstand geht weiter

Netzwerken gegen Hitlerglocken: Im August gab es ein erstes Beratungstreffen mit Beteiligung der Aktivistin Sigrid Peters (links
Netzwerken gegen Hitlerglocken: Im August gab es ein erstes Beratungstreffen mit Beteiligung der Aktivistin Sigrid Peters (links), Kirchenmusikdirektor Ulrich Loschky (Mitte) sowie Hans-Dietrich Springhorn und Doris Artelt (rechts) von der Initiative Kirche für Demokratie – gegen Rechtsextremismus in Faßberg.

Diejenigen Menschen, die der dänischen Sprache mächtig sind, konnten ihre Kenntnisse Ende September auf die Probe stellen. Das zweite dänische Fernsehen brachte die Protagonisten im Herxheimer Glockenstreit wieder alle auf den Bildschirm – die Welkers, die Jotters und die Peters’ aus dem Nachbarort Weisenheim am Berg. Die Journalisten wollten wissen, wie es denn inzwischen stehe um das Objekt, das soviel Wirbel verbreitet hat? Derartigen Wirbel, dass am 2. September sogar die „New York Times“ großflächig über die Glocke mit dem Hakenkreuz und der Inschrift „Alles fürs Vaterland – Adolf Hitler“ berichtete. Hunderte Leserreaktionen dort machten deutlich, dass die Debatte um die Naziglocken in Deutschland jener über den Umgang mit den Südstaaten-Denkmälern in den USA gar nicht unähnlich ist. Ein amerikanischer Jude kommentierte in einer Leserzuschrift, dass die Tatsache, dass eine Hitlerglocke in Deutschland bis heute hängen bleibt, es für ihn schwer mache, über einen Besuch in Deutschland nachzudenken. Umgekehrt ließ sich der Herxheimer Bürgermeister Georg Welker (parteilos) in dem Artikel erneut mit den Worten zitieren, dass man es im Ort nicht zulassen werde, dass der Rest der Welt darüber bestimme, was die Herxheimer mit ihrer Glocke anstellten. 96-jährige Frau wünscht sich Hitlerglocke zur Beerdigung Tatsächlich ist bereits seit dem Frühjahr klar, was mit der Glocke passiert: Sowohl der Gemeinderat als auch das Presbyterium mit Pfarrer Helmut Meinhardt haben sich – wie mehrfach berichtet – mehrheitlich für das Hängenlassen entschieden. Und Welker wurde auch im kürzlich gesendeten Beitrag des dänischen Fernsehens nicht müde zu betonen, dass er sich vorstellen könne, die Glocke zur Mahnung auch wieder zu läuten. Wann genau – das ließ er zunächst zwar offen, brachte aber bewusst die 96-jährige Herxheimerin Dora Jotter ins Spiel, von der er wisse, dass sie sich den Klang des kompletten Geläuts zu ihrer Beerdigung wünsche. Der frühere Pfarrer und heutige Bürgermeister versprach ihr, sich dafür einzusetzen. Diese Erwägungen Welkers lassen diejenigen, die noch immer dafür kämpfen, die Glocke aus dem Turm zu holen, um sie der Öffentlichkeit als Mahnmal zu präsentieren, fassungslos zurück. Er habe als Bürgermeister kein Recht, über den liturgischen Gebrauch der Glocke zu bestimmen, sagen sie. Allen voran Sigrid Peters aus Weisenheim am Berg, die seit Mai 2017 gegen das Objekt im Turm zu Felde zieht, lässt nicht locker und will nach eigener Aussage so lange weiterkämpfen, bis die Glocke abgehängt ist. Sie ist heute der Überzeugung, dass das Dorfgemeinschaftshaus der richtige Ort wäre, um sie aufzustellen. Hauptsache, sie kommt raus aus dem Turm, wo nach ihrer schon früher geäußerten Meinung „der Geist Adolf Hitlers“ erklinge. Neue Erkenntnisse zur Hitlerglocke Zu neuen Erkenntnissen über die Hitlerglocke, die 1934 als Polizeiglocke aufgehängt wurde, ist zuletzt Ulrich Loschky aus Elmstein-Appenthal gelangt. Der frühere Gymnasiallehrer und Kirchenmusikdirektor hat für die Oktober-Ausgabe des Pfälzer Pfarrerblatts einen bemerkenswert detaillierten Aufsatz geschrieben, der in einer Passage klar darlegt, dass der frühere Herxheimer Pfarrer Karl Wiedmann sich bereits 1946 „dafür einsetzte, die Hitlerglocke nicht weiter zu verwenden“. Diese Information steht im Widerspruch zu jener, die die Stellungnahme des Presbyteriums aus dem Frühjahr 2018 verbreitet. Dort ist formuliert, dass vor dem Jahr 1951 Geld und Material für neue Glocken gefehlt hätten. Tatsächlich, so hat Loschky recherchiert, habe Pfarrer Wiedmann dem Presbyterium damals ein Angebot des Bochumer Vereins für Gussstahl vorgelegt, das drei Glocken zur Neuanschaffung vorschlug. Jede solle, so wird Wiedmann zitiert, eine Inschrift bekommen, die im Gegensatz zu 1934 nüchtern zu halten sei. Warum diese Chance nach Loschkys Auffassung „vertan“ wurde, muss auch in seinem Aufsatz offen bleiben. Aufschluss darüber könnte seiner Meinung nach zum Beispiel das Archiv der Glockensachverständigen Birgit Müller geben. Ihm werde von ihr aber die Einsicht in die Akten verwehrt. Anstatt die Glocke bereits damals abzuhängen, wurde die nach dem Krieg übrig gebliebene Hitlerglocke durch zwei neue Glocken zu einem Molldreiklang (f-as-c) ergänzt. Sigrid Peters kommt in einer aktuellen Kritik an der Landeskirche auf diesen Vorgang zu sprechen: „Prallt an Ihnen ab, dass die Landeskirche nachgewiesenermaßen seit 1951 von dem unmöglichen liturgischen Einsatz der Glocke wusste?“, wirft sie Oberkirchenrat Dieter Lutz und seinem Vorgesetzten Christian Schad einen laxen Umgang mit der Sache vor. „Glauben Sie nicht, dass ich aufhören werde, diese Untätigkeit (...) der Landeskirche anzuprangern“, so Peters. Sigrid Peters nimmt Kontakt zu Michel Friedman auf Immerhin: Schon 1951 sei vermieden worden, der Hitlerglocke eine besondere liturgische Einzelaufgabe zuzuweisen, stellt Loschky fest. Sie wurde jedoch für den Viertelstundenschlag und immer im Plenumgeläut eingesetzt. Dass sie ausgerechnet zur Einsegnung bei der Konfirmation läutete, hält der Autor des Aufsatzes für den eklatantesten Widerspruch zwischen der Hitler-Widmung einerseits und der gottesdienstlichen Handlung andererseits. Der Auslöser und Kern des Glockenstreits, bilanziert Loschky, liege eben in der Tatsache, dass die Hitlerglocke weit über ein Dreivierteljahrhundert hinweg in liturgischem Gebrauch war – bundesweit kein Einzelfall. In Deutschland hängen nach Recherchen des Evangelischen Pressedienstes bis heute 21 Glocken mit Bezug zum Nationalsozialismus – zum Beispiel im niedersächsischen Faßberg. „Da bimmelt ein Hakenkreuz“ – unter dieser Überschrift wurde die Gemeinde im Februar durch „Spiegel-Online“ bekannt. In Faßberg liefen ganz ähnliche Vorgänge ab wie in Herxheim am Berg. Es gab eine Gruppe von Menschen, die das Abhängen der Glocke forderte, und es gab eine Mehrheit, die das gerne verhindert hätte. Der Kirchenvorstand entschied sich – im Gegensatz zu Herxheim – dafür, sie abzuhängen. Inzwischen ist sie ausgetauscht. Hans-Dietrich Springhorn und Doris Artelt, die in Faßberg den Widerstand gegen die Glocke organisierten, waren im August in Weisenheim am Berg bei Manfred und Sigrid Peters zu Gast. Man sinnierte über Netzwerke und tauschte Erfahrungen aus. Die Diskussion geht inzwischen buchstäblich über den eigenen Kirchturm hinaus. Nicht zuletzt denkt Sigrid Peters darüber nach, den bundesweit bekannten Politiker, Juristen und Fernsehmoderator Michel Friedman, der einer polnisch-jüdischen Familie entstammt, zu einer Podiumsdiskussion nach Herxheim einzuladen. Einen Kontakt zu Friedman habe es bereits gegeben. Mitdiskutanten fehlen noch. Mahntafel-Text noch immer nicht bekannt Insofern weiß wohl auch Michel Friedman inzwischen, dass die ursprünglich für dieses Spätjahr angekündigte Mahntafel weitere Monate auf sich warten lassen wird. 18 Monate nach Beginn der Debatte gibt es keinen offiziellen Text. Die zuständigen Denkmalabteilungen bei Kirche, Kreis und Land haben bisher keine konkreten Vorschläge zur Gestaltung bekommen. „Es gibt keinen Antrag“, sagte Kreissprecherin Sina Müller diese Woche auf Anfrage. Ulrich Loschky kommt in seinem Fazit zu der Ansicht, dass die Ankündigungen zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus im Ort auf ihre nachhaltige Gültigkeit hin hinterfragt werden müssten. Eine neue Glocke, schließt er, könnte dem Dreiergeläute wieder jene Würde zurückgeben, derer es über Jahrzehnte beraubt war.

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