Donnersbergkreis Die Seele der Musik aufschließen

Für einen Dirigenten ist die nächste Aufführung natürlich immer die wichtigste. Die Matthäus-Passion, die er am 30. März mit dem Nordpfälzer Oratorienchor aufführen wird und als dessen bislang größtes Projekt ansieht, hat für Stefan Wasser aber auch biografisch eine Bedeutung. „Die Matthäus-Passion hat mich neben Wagners ,Meistersingern’ am stärksten geprägt“, zählt er das Bach-Werk zu den maßgeblichen musikalischen Inspirationen seiner Jugend.

Wer die glühende Leidenschaft kennt, mit der Wasser als Dirigent und Interpret Musik gestaltet und ins Werk setzt, wird kaum vermuten, dass Musik erst im Alter von 13, 14 Jahren anfing, für ihn wichtig zu werden. Seine erste Leidenschaft habe vielmehr dem Theater gegolten. „Schon als Kind habe ich mir kleine Stücke ausgedacht und es geschafft, Leute um mich zu versammeln“, erinnert er sich. Diese Neigung blieb mit seiner musikalischen Orientierung verknüpft. „Musik muss für mich verbunden sein mit einer außermusikalischen Handlung“, streicht er seine besondere Vorliebe für das Opernhafte, die Musikdramatik heraus. Er hat selbst mehrere Kinderopern komponiert, und konzertante Opernaufführungen stehen auf seinem Wunschzettel für künftige Produktionen in der Region weit oben. „Den Freischütz werde ich bestimmt mal machen“, sagt er. Sehr am Herzen liegt ihm auch eine Aufführung von Humperdincks „Hänsel und Gretel“, für die er Sponsoren sucht.

Aufgewachsen ist Wasser, wie er erzählt, zunächst in Offenheim. In der nahe gelegenen Kreisstadt Alzey, wo er 1963 geboren wurde, hat er noch die ersten gymnasialen Jahre verbracht. Dankbare Erinnerungen hat er an den damaligen Alzeyer Kantor Herbert Henning, der ihn stark geprägt habe als Dirigent und Kirchenmusiker – und als Orgellehrer. Denn die Orgel, die Wasser wegen ihrer orchestralen Wirkung schätzt, spielt in seiner Musikerbiografie auch eine bedeutende Rolle. Nach dem Umzug der Familie nach Bad Sobernheim – Wassers Vater war früh verstorben – nahm er Unterricht in Klavier und Tonsatz bei Magdalene Schauß-Flake, laut Wasser eine der besten deutschen Pianistinnen ihrer Zeit, und Posaunen-Unterricht bei Dieter Schmitt.

Die Posaune stand dann für Wasser erstmal im Vordergrund. Nach dem Zivildienst beim Protestantischen Dekanat Oppenheim, wo schon die Leitung eines Bläserkreises zu seinen Aufgaben gehörte, studierte er am Peter-Cornelius-Konservatorium in Mainz mit der Posaune als Hauptfach und dem Ziel einer künstlerischen Laufbahn als Instrumentalist. Eine langwierige Viruserkrankung ließ ihn jedoch umschwenken auf Schulmusik und Theologie für das Lehramt an Gymnasium an der Uni Mainz.

Besonderes Augenmerk Wassers galt in diesen Jahren dem Dirigieren. Er studierte Chorleitung beim damaligen Mainzer Domkapellmeister Mathias Breitschaft, besuchte Kurse bei Größen wie Sergiu Celibidache oder dem Argentinier Julio Malaval, der zeitweise Chefdirigent an der Züricher Oper war. „Von ihm habe ich sehr viel gelernt, wir haben heute noch Kontakt“, so Wasser. In Komposition und Musiktheorie habe er wiederum Heino Schubert viel zu verdanken, der Musik-Professor an der Uni Mainz und zuvor Domorganist in Essen war.

Auch an der Orgel habe er sich stetig weitergebildet, habe gelernt bei namhaften Professoren wie Torsten Laux in Düsseldorf oder Hans-Joachim Bartsch in Mainz, der ihm zudem auf dem Weg zum B-Examen in Kirchenmusik half, das Wasser nach nur anderthalbjähriger Vorbereitung in Bayreuth abgelegt hat. Eine besondere Vorliebe entwickelte er für Orgel-Improvisation.

Nach ersten beruflichen Stationen in Kaiserslautern am Burggymnasium und der Bertha-von-Suttner-Gesamtschule unterrichtet Wasser seit 2003 Musik und Religion am Gymnasium am Römerkastell in Bad Kreuznach – in der Stadt an der Nahe leitet er inzwischen auch die dortige Konzertgesellschaft. Die Entstehung dieses Chors geht noch auf eine Anregung Felix Mendelssohn-Bartholdys zurück – der übrigens 1829 mit einer Aufführung eben der Matthäus-Passion, der ersten nach Bachs Tod, eine große nachhaltige Bach-Renaissance einleitete. Auffallen mag, dass Wassers biografische Stationen stets im Umkreis seiner Herkunft liegen. „Ich hänge an der Gegend“, räumt er seine Heimatverbundenheit ein, die ihm auch in anderer Hinsicht Vorteile bietet: „Ich hatte Angebote, auch eines aus Tokio, dort für zwei, drei Jahre ein Orchester zu leiten. Aber hier zu sein, bietet mir die Chance, auch vielseitig zu sein, anstatt mich in einem festen Engagement auf eine Sache konzentrieren zu müssen.“

Noch während der Studienzeit leitete Wasser einen Studentenchor und Chöre in Saulheim. 1992 rief er schließlich mit Werner Werum, dem damaligen Leiter der Kreismusikschule, den Nordpfälzer Oratorienchor ins Leben, mit dem er nun, nach vielen gefeierten Produktionen, an Bachs großer Matthäus-Passion feilt, von der er seine Vorstellungen vom Dirigieren auf eine neuerliche Probe stellen lässt.

„Man ist Dirigent, oder man ist es nicht“, sieht Wasser die Aufgabe am Pult auch als Wesensfrage. Der Dirigent müsse die große Linie sehen, müsse im Detail immer das ganze Werk präsent und den Spannungsbogen sicher im Griff haben. „Für mich ist wichtig, dass die Energie und die Spannung in einem Werk rüberkommt.“ Die Matthäus-Passion sei deshalb schwierig, weil es in ihr viele Stellen gebe, an denen man sich ganz zurücknehmen müsse, um dann gleich wieder kraftvoll aufzutrumpfen. Da ist etwa die zarte, engelgleiche, von Flöten und Oboen umspielte Arie „Aus Liebe will mein Heiland sterben“, auf die dann in schroffem Kontrast mit einem verminderten Akkord der Chor sein „Lasst ihn kreuzigen“ einwirft, nennt Wasser ein Beispiel. Das Dramatische kontrastiert immer wieder mit ruhigen Phasen, dabei dürfe auch im Piano nichts verschwimmen, die Linie nicht verloren gehen. Und er müsse immer darauf sehen, dass er im Chor musikalische Laien führe. „Es ist wichtig, die Laien mitzureißen“, sieht er sich in der Pflicht, vom Pult aus Begeisterung überfließen zu lassen – und so die Seele der Musik aufzuschließen.

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