Donnersbergkreis Gelöst und erhebend

Verbindet 850 Jahre alte einstimmige Tonfolgen auch mit moderner Tontechnik: Ute Kreidler.
Verbindet 850 Jahre alte einstimmige Tonfolgen auch mit moderner Tontechnik: Ute Kreidler.

«GÖLLHEIM.» Befürchtungen, das Wetter sei zu schön für ein solches Konzert am frühen Sonntagabend, bestätigten sich nicht: Göllheims protestantische Kirche war ziemlich gefüllt, als Ute Kreidler, Sängerin aus Ebertsheim im Eistal, anhub, die uralten Gesänge der heiligen Hildegard von Bingen anzustimmen. „Spirit antiqua“ nennt Ute Kreidler dieses musikalische Projekt, das sie seit Jahren verfolgt, und einmal mehr leuchteten die eigenwilligen melodischen Linien, die so gelöst und erhebend wirken, dank Kreidlers klarer, sicher geführter Stimme.

Hildegard von Bingen war eine Klosterfrau des 12. Jahrhunderts, 1098 in Bermersheim geboren, 1179 in dem von ihr auf dem Rupertsberg bei Bingen gegründeten und geleiteten Kloster gestorben. Sie entfaltete ein beachtliche Wirksamkeit und hinterließ drei Bücher mit heilgeschichtlichen Visionen und ihrer Ausdeutung, rund 300 Briefe, auch an Kaiser und Papst, ein naturkundliches Werk, 77 Gesänge mit in damaliger Neumennotenschrift notierten einstimmigen Melodien und ein geistliches Singspiel. Seit dem 15. Jahrhundert wurde sie gesamtkirchlich als Heilige verehrt; erst vor wenigen Jahren ist sie vom Papst in den Rang einer Kirchenlehrerin erhoben worden. Feine Beziehungen, so hob Pfarrer Peter Rummer eingangs hervor, gibt es zwischen Hildegard und Göllheim. Eine Witwe Uta von Gylnheim nämlich habe sowohl Hildegard als auch ihre um sechs Jahre ältere Lehrerin Jutta von Spanheim anfänglich erzogen, und es sei nicht auszuschließen, dass die drei Frauen im damals schon bestehenden Turm der Göllheimer Kirche beteten. Wie auch immer – zum innigen Gebet wurde das Kyrie (Herr, erbarme Dich), mit welchem Ute Kreidler das Konzert eröffnete. Eine verhaltene einstimmige Bitte wuchs zum komplexen Klangphänomen. Ute Kreidler verbindet nämlich die 850 Jahre alten einstimmigen Tonfolgen mit moderner Tontechnik. Eine Loop-Maschine nimmt Passagen auf und wiederholt sie, während Ute Kreidler weitersingt. Was dabei entsteht, ist weniger Mehr- als vielmehr Gegenstimmigkeit: Verschiedene Phasen der Melodie durchkreuzen einander, immer dichter werden die kombinierten Klangschichten. Ein andermal intoniert Kreidler auf Flöte oder kleiner Handharfe Begleitmelodien, die die Maschine übernimmt und wiederholt. Ute Kreidler hat einerseits eine glockenklare, ungemein leicht und völlig unangestrengt wirkende Stimme von beträchtlichem Tonumfang, andererseits setzt sie die Loopmaschine so raffiniert ein, dass sie immer wieder neu wirkende Klangkombinationen erzeugt. Nichts davon wirkt erdenschwer oder lastend, alles ist leicht, befreit, nach oben strebend. Hildegards Texte sind geistliche Lieder, die den Geist Gottes preisen und immer wieder die Gottesmutter Maria, welche die Welt von Evas Sünde befreite, indem sie den Erlöser Jesus Christus gebar – das alles natürlich in lateinischer Sprache. Ute Kreidler gibt dazu knappe Erläuterungen, ansonsten setzt sie ganz auf den Klang – und überrascht immer wieder aufs Neue. Welche Wirkungen ein elektrisch wiederholter, mit Lautsprecherhall akustisch geweiteter Gong haben kann, ist faszinierend. Immer mehr scheinen die expressiven Melodiebögen des Gesangs mit dem rollenden Gong eins zu werden. Die Wirkung ist gewissermaßen kosmisch, es ist, als lausche man dem Lauf der Planeten. Das aufmerksame Publikum fand an all dem viel Gefallen; anschließend stärkte man sich im Turm bei Asselheimer Prosecco und speziellen Hildegard-Plätzchen. Kurz-INFO Ute Kreidler bietet in ihrem neu eröffneten „Klangraum 21“ in der Alten Ebertsheimer Papierfabrik spezielle Spirit-Antiqua-Relax-Konzerte in entspannter Atmosphäre. Die nächsten sind für 1. Mai, 4. Juni und 4. Juli angesetzt, jeweils von 18.30 bis 19.30 Uhr. Auskunft: 06359 87634;www.klangraum 21.de.

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