Donnersbergkreis Kirchheimbolanden: Nach den Morden von Hanau: Vertreter von Stadt und Kreis treffen Mitglieder der muslimischen Gemeinde

Gemeinsam an einem Tisch: Politiker und Mitglieder der muslimischen Gemeinde.
Gemeinsam an einem Tisch: Politiker und Mitglieder der muslimischen Gemeinde.

Sonntagnachmittag im Innenraum der Kirchheimbolander Moschee: Ein großes Quadrat von Tischen und Stühlen, und doch reicht der Platz nicht für die vielen Gekommenen. „Wir müssen eben zusammenrücken“ – und siehe da: Es geht und versinnbildlicht die Absicht dieses Zusammentreffens von Mitgliedern der muslimischen Gemeinde mit Vertretern und Funktionsträgern von Stadt und Kreis und gesellschaftlichen Organisationen.Der Stadtbeigeordnete Jamill Sabbagh hatte das Zusammentreffen, das eigentlich schon längere Zeit geplant war, initiiert und dazu eingeladen. Ein trauriger, furchtbarer Anlass war jetzt der Auslöser: Der Mordanschlag in Hanau am 19. Februar mit den vielen unschuldigen Opfern, allesamt mit Migrationshintergrund.

Die Aufnahme der Gäste war trotz dieses düsteren Zusammenhangs ausnehmend herzlich. Der Sprecher der Gemeinde, Muhsin Kocak, ermutigte alle Anwesenden gleich durch die Koran-Weisheit, dass ein schlechter Anlass der Anfang von etwas Gutem sein könne. Und brach vielleicht noch vorhandenes letztes Eis mit dem Bekenntnis, als „Kerchemer Türk“ bekannt zu sein, der sich, wenn er von auswärts in die Stadt fahre, spätestens „beim Aral“ der Glücksgefühle nicht erwehren könne.

Yasar Bezgin, von der muslimischen Gemeinde Frankenthal gekommen, sang nun ein Gebet für die Verstorbenen von Hanau.

Auf die Frage des Ersten Kreisbeigeordneten Wolfgang Erfurt nach der Gefühlslage der Kirchheimbolander Muslime angesichts der Bluttat von Hanau und vorangegangener Mordtaten bestätigte sich, was Jamill Sabbagh in seiner Einladung schon geschrieben hatte: „Verunsicherung und Angst“. Wobei Kocak präzisierte: Nicht der einzelne Täter bewirke diese Angst, sondern der gesellschaftlich-politische Hintergrund, vor dem er aktiv werde: Der zunehmende Rassismus, die Islamfeindlichkeit, der Fremdenhass ganz allgemein, gefördert nicht zuletzt von einer rechtsnationalen Partei, die als größte Oppositionspartei ja sogar schon im Bundestag Platz genommen habe.

Sorgen um die nächste Generation

Bezeichnend sei die Reaktion von Jüngeren seiner Gemeinde, die sich, obwohl in Deutschland geboren und aufgewachsen, alle tüchtig, alle in Ausbildung oder schon berufstätig, neuerdings doch Gedanken machten, ob sie vielleicht doch besser in der Türkei leben sollten. Und Ali Metiner, einer der anwenden jungen Männer, bestätigte diese Sorge: „Werden einmal unsere Kinder in Deutschland noch ihre Kultur leben können?“

Auch Andreas Müller von der SPD geißelte den zunehmenden Rassismus und Rechtsradikalismus, gab aber zu bedenken, dass derartige Geisteshaltung keine neue Erscheinung sei, sondern schon immer dagewesen und auch nicht endgültig aus den Köpfen zu vertreiben sei: Sodass der Kampf dagegen eine immerwährende Aufgabe bleibe. Aber warum gewinnen diese antidemokratischen Kräfte, früher weniger sichtbar, heute solches Oberwasser? Landrat Rainer Guth sieht hier unter anderem eine fatale Wirkung der sozialen Medien: Auch früher habe es in jedem Dorf einige Unbelehrbare gegeben, aber ihr Einfluss habe „nicht weiter als bis zum Dorfstammtisch gereicht“. Heute erreichten solche Gestalten mit wenigen Klicks ein Riesenpublikum.

Seyfi Ögütlü, vom Landesverband der islamischen Kulturzentren aus Mainz gekommen, war froh über die Anwesenheit so vieler Multiplikatoren. Er zitierte den Bundespräsidenten Steinmeier aus seiner Hanauer Trauerrede: „Das Schweigen der Vielen darf nicht zur Ermutigung der Wenigen werden.“ Es müsse verhindert werden, dass ein Keil getrieben werde zwischen Migranten und Nichtmigranten, zwischen Gläubige und Andersgläubige oder Nichtgläubige. Ögütlü beteuerte, die muslimischen Gemeinden wollten dabei mithelfen, wollten „friedensstiftend“ sein. Wie sie auch jetzt sogar nach Hanau zu „Innehalten, Besonnenheit“ aufgerufen hätten. „Nicht Hass gegen Hass einsetzen.“ Extremismus jeglicher Couleur müsse bekämpft werden, denn „die Würde des Menschen, Artikel eins des Grundgesetzes, gelte für alle!“

Viele Sprecher waren sich einig, dass das „Wir“ gegenüber dem „Wir und Die“ gestärkt werden müsse. Und „mehr miteinander als übereinander reden“. Aber wie? In der Diskussion schälte sich als erfolgversprechendster Weg heraus: Mehr gemeinsame Aktivitäten, und diese gemeinsam organisieren. Der Landrat, der bedauerte, dass in den schon bestehenden Migrationsbeirat fast nur Neuflüchtlinge gewählt worden seien, nannte als sehr positives Beispiel den „Markt der Kulturen“ in Eisenberg. Sabbagh erwähnte die Veranstaltung „Kibo ist bunt“, auf der zuletzt zwölf Nationen vertreten gewesen seien. Beim „interkulturellen Dialog“ während der Friedenstage sei leider kein muslimischer Vertreter dabei gewesen, was Norbert Willenbacher wiederum veranlasste, generell darum zu werben, dass die Muslime sich auf dieser offenen „Plattform Friedenstage“ auch einbrächten. Erika Steinert, Integrationsbeauftragte des Kreises, propagierte für die nächste „Interkulturelle Woche“ gemeinsame Veranstaltungen. Und ein Hof auf dem Residenzfest? Zuletzt machte Muhsin Kocak den Vorschlag, einmal einen Ramadan-Fastentag mit anschließendem Abendessen gemeinsam zu erleben.

„Wo sind die Frauen?“

Das Fasten der Gäste wurde gebrochen durch allgemeinen Tee-Ausschank und ein Buffet mit süß-salzigen Köstlichkeiten aus türkischer Küche. Wobei die Assoziation nicht fern lag, es war ja auch Welt-Frauentag, einmal zu fragen: „Warum sind hier eigentlich keine Frauen?“ (Erika Steinert). Diese Frage konnte von Gastgeberseite nicht befriedigend beantwortet werden, wenngleich von den jungen Männern beteuert wurde, dass die Entscheidung ihrer Schwestern, dem Treffen fernzubleiben, selbstständig gewesen sei. Insgesamt gebe es bezüglich der Rolle der Frauen in der Gemeinde eine „positive Entwicklung“.

x