Donnersbergkreis Lyrik-Dragées vom Sprachjongleur

Sein Buch „Zwitterwochen“ bildete für Thomas M. Mayr (links) die Grundlage für den literarischen Konzertabend im Uhl’schen Haus,
Sein Buch »Zwitterwochen« bildete für Thomas M. Mayr (links) die Grundlage für den literarischen Konzertabend im Uhl’schen Haus, an dem auch Peter Glanzmann am E-Piano zu überzeugen wusste.

«Göllheim.» Literatur und Klaviermusik? Nicht alltäglich – und umso spannender. Als vielversprechenden Start in die Reihe 2018 veranstaltete der Göllheimer Kulturverein einen Literarischen Konzertabend im Uhl’schen Haus. Trotz Eiseskälte, Grippewelle und Parallelveranstaltung war der Besuch sehr gut. Thomas M. Mayr, vor Ort praktizierender Arzt und Psychotherapeut, bekannt als Autor und Initiator der „Donnersberger Literaturtage“, las aus seinem Buch „Zwitterwochen“. Auf gleicher Wellenlänge ergänzt und untermalt wurde er vom Psychologieprofessor und Musiker Peter Glanzmann am E-Klavier. („Nein“, stellt der Pianist klar, „wir haben uns nicht im Irrenhaus kennengelernt, sondern zufällig.“)

Angesprochen sind mit dem Titel „die Zeiten zwischen Flittern und Zittern, Zeiten, in denen man nicht weiß, ob man Männlein oder Weiblein ist.“ Nach kurzen Anfangsschwierigkeiten mit der übersteuerten Tontechnik war es ein gegenseitiges Geben und Nehmen in Worten und Tönen: Glanzmann setzte ein mit dem C-Dur-Präludium aus Bachs Wohltemperiertem Klavier, um schnell à la Jacques Loussier „play Bach“ zu jazzen. Jazz ist seine Stärke, verabreicht als erstklassige Barmusik zum Zurücklehnen. Sinnlich einschmeichelnd, routiniert und mit komödiantischer Ausstrahlung gesegnet, schlägt Glanzmann den Bogen mit Evergreens von Cole Porter über Joseph Kosmas „Autumn leaves“, über Thelonius Monk („Ruby my dear“) bis zu Richard Rogers („My funny valentine“). Er unterlegt die vorgestellten Texte dezent, setzt solistische Zäsuren, kratzt sich bluesig ein und kommentiert markant. „Love for sale“ ist musikalisches Pendant zu „Marke tender“ – mit dem Wortspiel steigt Mayr als fliegender Verbalhändler ein: „Sie, ja, Sie da, Sie meine ich, treten Sie näher! Kaufen Sie ein Wort, zum Beispiel Liebe habe ich im Angebot. Begreifen Sie zu! Fühlen Sie mal! Fühlt sich doch gut an/ oder? Hier ein anderes: ’Dich’. Die passen sogar zusammen...“ Ein etwas irrer, aber starker Beginn. Der Sprachjongleur spürt mal ironisch, mal bissig, todernst und versöhnlich zwischenmenschlichen Beziehungen und Situationen nach – pointiert, hintergründig entlarvend und in schönen Bildern. So in „Zu zweit“: „Manchmal trudeln wir in den Windlöchern der Liebe/ manchmal treideln wir sie über wildes Wasser/ heute ist die Luft aus dem Reifen/ morgen gar/ verpassen wir den Zug. Doch wir haben die Karte gelöst/ Luftpumpe und Seil dabei/ und blasen notfalls selbst ins Segel.“ „I can’t stop loving you“ (Don Gibson) ist die musikalische Umschreibung dazu. Das düstere Medizinergedicht „Inflammation“ (Entzündung), das lebensfeindliche Bakterien und analog verhängnisvolle Erderwärmung thematisiert, vertieft Glanzmann mit einer Eigenkomposition – aufgewühlt, disharmonisch, im gleichen harten Tonfall fetzend. Die Diagnose fällt böse aus. Im zweiten Teil schlägt Mayr vertraute Mundart-Töne an. Sie wirken anheimelnd und warm in ihrer lapidaren Direktheit. Etwa im „Milchhaisje“, früher Dorfmittelpunkt, heute in seiner Funktionslosigkeit „innedrin entkerrnt wie die Oma, wo als Jo Jo saat, awwer nix mi verstehe duht.“ Ähnlich das Gedicht „Gemorje“, wo „der Mann von nebenan“ frühmorgens zwischen Zeitungholen, Milchkaffee und zur Arbeit gehen seinen Kopf verliert, es zum Glück aber noch bemerkt. Jetzt verlässt Glanzmann das Genre Jazz und spielt volksliedhaft eingängige Melodien von Fritz Jöde („Stromer“, „Tausendschönchen“). Ach ja, die Pubertät – vielleicht das schlimmste Zwitterstadium. „Sie ist 16 und in die Mittlere Reife gekommen; also die Zeit, in der die Äpfel möglichst weit vom Stamm wegzurollen trachten.“ Mayr, Vater dreier Kinder, weiß offensichtlich, wovon er da so prosaisch abgeklärt erzählt – selbstironisch als „scheißliberaler“ und mitunter als „voll peinlich“ empfundener Vater. Liebevoll und sensibel wendet er sich der aufgelösten Tochter zu, die als Zeugin einer Fast-Vergewaltigung „nah am Wasser“ väterlicher Hilfe bedarf. Mit den lyrischen Dragées „Lachen“ und „Lesen“, garantiert unschädlich, gibt der Doktor dem zugetanen Auditorium zwei bewährte Hausmittel mit auf den Weg. Der Beifall war groß und warm – Doris Bugiel, Vorsitzende des Kulturvereins, die die Musiklesung mit witzig-doppeldeutigem Charme anmoderierte, hoffte auf eine Fortsetzung dieses „wunderbaren Abends“. Lesezeichen Thomas M. Mayr: Zwitterwochen – Geschichten, Gedichte, Hörspiel, 135 Seiten, Geest-Verlag, 12 Euro.

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