Donnersbergkreis Morschheim: Naturgruppe des Kindergartens trotzt eisigem Wetter

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Seit April 2016 gibt es im Morschheimer Kindergarten eine Naturgruppe. Bei Wind und Wetter halten sich die Kleinen im Freien an der Selz auf.

Die Pfützen sind fast bis auf den Grund gefroren. Eine glitzernde Reifschicht bedeckt das Piratenschiff auf der froststarren Wiese. Das Eis auf der Überlaufmulde hinter dem Irrgarten ist so dick, dass man problemlos darauf Schlittschuh fahren kann. Mit anderem Worten: Es ist richtig, richtig kalt. In dem kleinen Gehölz unten an der Selz sitzen, knien und liegen zwei Jungen und ein Mädchen mitten auf einer gefrorenen Wasserlache. Mit gebogenen und verdickten Ästen hacken sie auf die Eisfläche ein. Eisstückchen spritzen durch die Gegend, schlammiges Wasser blubbert von unten durch das so entstandene Loch. Die Kinder sind eifrig bei der Sache, Wangen glühen, Handschuhe werden ausgezogen. Es geht um einen gewissen „Norman“. Der sei ins Eis eingebrochen und müsse jetzt gerettet werden, erklären sie. Ein paar Meter entfernt wird „Feuerwache“ gespielt. Die schlanken Stämmchen werden ein Stück hoch erklommen, dann rutscht man an ihnen wieder runter. Wie Feuerwehrleute das an ihren Stangen tun. Ein Junge kommt mit einem Seil. Er möchte es zwischen zwei Bäumen spannen und braucht Hilfe. „Was soll das denn werden?“ – „Na, eine Piratenfalle. Sieht man doch!“, entgegnet er. „An Phantasie fehlt es ihnen nicht“, sagt Gruppenleiterin Birgit Stürmer. Mit einfachen Mitteln gelinge es den Drei- bis Sechsjährigen immer, sich zu beschäftigen. „Spielsachen brauchen wir eigentlich so gut wie keine.“ Und die Kälte? Die sieben Kinder der Nachmittagsgruppe mit roten Backen unter warmen Mützen in dicken Jacken, gefütterten Stiefeln und robusten, wasserabweisenden Hosen scheinen die Frage gar nicht so recht zu verstehen. „Nö, wir frieren nicht“, heißt es kategorisch. Wirklich keine kalten Füße? – „Wir haben doch dicke Schuhe an!“ Die Holzhütte, die der Gruppe als „Basislager“ dient, wird nur zum Frühstück aufgesucht, zum Vorlesen oder wenn Projektarbeit gemacht wird und man einen Tisch mit Stühlen braucht. Oder wenn das Wetter wirklich ganz, ganz übel ist. Sonst ist der kleine Trupp eigentlich immer in Bewegung. Fast jeden Tag geht es auf Tour in die nähere und weitere Umgebung. Derzeit ist gerade ein Projekt im Gang, das sich mit Wasser in all seinen Erscheinungsformen befasst. Logisch, dass da die Selz eine große Rolle spielt. An der Quelle in Orbis waren die Kleinen selbstverständlich schon. Vor ein paar Tagen stand gar eine Wanderung bis zur Kläranlage nach Oberwiesen auf dem Programm. Sehr begeistert reagieren die Kinder auch, wenn es in den „großen Wald“ geht. (Einen kleinen Wald gibt es auch, in einer Geländesenke ganz in der Nähe.) Dann setzt sich ein regelrechter Expeditionszug in Bewegung. Da werden die Rucksäcke mit dem Proviant aufgesetzt, und an den Seiten baumeln die runden Sitzunterlagen aus Plastik – der Boden ist halt doch ein wenig kalt, auch wenn man abgehärtet ist. Und dann geht es auf der anderen Seite der Selz steil den Berg hoch, vorbei an dem Querweg mit den Streuobstbäumen, wo man im Herbst Äpfel gesammelt hat, immer weiter bis zum Waldrand. Da gibt es dann einen Imbiss, es werden Vögel beobachtet und Pflanzen angeschaut – und natürlich wird gespielt. 16 Kinder umfasst die Naturgruppe derzeit, einige kommen allerdings nur am Vormittag. Platz ist für maximal 20. Kindergartenleitung, Eltern, Gemeinderat und Ortsbürgermeister Joachim Fister, sie alle sind sich einig, dass die Gruppe ein Erfolgsmodell ist. „Wir haben sogar schon Anfragen aus den umliegenden Orten bekommen. Da müssen wir aber leider absagen“, sagt Fister. Dabei wurde das Projekt eigentlich aus der Not geboren. Als der Kindergarten auch unterzweijährige Kinder aufnehmen musste, war im „Mutterhaus“, wie Fister das Hauptgebäude in der Ortsmitte scherzhaft nennt, kein Platz mehr für eine weitere Gruppe. „Wir sind aus allen Nähten geplatzt. Baulich erweitern konnten wir auch nicht. Da mussten wir kreativ werden.“ Nach einigem Hin und Her war dann die Idee der Naturgruppe geboren. So richtig Fahrt nahm das Projekt dann mit dem Bau der Hütte auf. „Die ist schon unser ganzer Stolz“, gibt Fister zu. 28 Quadratmeter Nutzfläche, dazu eine große überdachte Veranda. Solide Holzbauweise – in Eigenleistung von Eltern und Großeltern der Kindergartenkinder gebaut. „Ungefähr 1050 Arbeitsstunden stecken da drin“, überschlägt Fister. Im Innern ist alles vorhanden, was gebraucht wird. Ein großer, runder, niedriger Tisch, kleine Stühle wie für die sieben Zwerge, eine Liegefläche mit Kissen und Decken, Regale mit Bilderbüchern und Vorlesestoff, ein Waschbecken, um gröbsten Schmutz abzuwaschen – und dabei ist es mollig warm. „Ja, die Heizung funktioniert“, freut sich Fister. Für kleinere und größere Geschäfte gibt es die Komposttoilette. Die ist hygienisch einwandfrei, stinkt nicht und muss nur ab und zu geleert werden. Morgens werden die Kinder ganz normal von ihren Eltern in den Kindergarten in der Ortsmitte gebracht. Wenn alle da sind, setzt sich der Zug in Bewegung. Etwas mehr als 500 Meter sind es bis an die Selz, schätzt Fister. Viermal am Tag wird die Strecke zurückgelegt, denn zum Mittagessen geht es – noch – zurück in die Kita. Dass soll sich aber bald ändern. „Wir sind noch auf der Suche nach der bestmöglichen Lösung“, erklärt Fister. Denkbar wäre zum Beispiel, sich das Essen von der Kita bringen zu lassen, denkbar wäre aber auch eine Lieferung aus Kirchheimbolanden. Laut Gruppenleiterin Birgit Stürmer macht der wiederholte Marsch den Kleinen nichts aus: „Im Gegenteil, sie sind unglaublich ausdauernd geworden.“ Überhaupt wirke sich das Leben an der frischen Luft und die viele Bewegung sehr positiv auf das Allgemeinbefinden der Kinder aus. „Sie sind gesund, robust, belastbar, nicht so zimperlich, und sie trauen sich einiges zu“, freut sich Stürmer. Ganz selbstverständlich gingen sie auch mit den Gefahren um, die es in der Natur nun einmal gibt: „Dem Bach zum Beispiel nähern sie sich vorsichtig, aber selbstbewusst.“ Und wenn, wie gerade eben, jemand hinfällt, steht er ohne großes Getöse wieder auf – und weiter geht’s. Sogar schnitzen dürfen die Naturkinder – mit einem echten Messer. „Sie bekommen es genau gezeigt, dann dürfen sie es selbst probieren, natürlich unter Aufsicht, und wenn wir der Meinung sind, dass man es ihnen zutrauen kann, dürfen sie es auch unbeaufsichtigt“, erklärt Stürmer. „Dabei sind sie wirklich sehr vorsichtig.“ Als der Nachmittag so langsam dem Ende zugeht, sitzt die kleine Gruppe müde, aber zufrieden bei Obstschnitzen (Äpfel und Orangen) und Keksen auf der Veranda. Mit Inbrunst wird noch ein wildes Räuberlied gesungen, dann werden zum letzten Mal an dem Tag die Rucksäcke geschultert. „Tschüss, du darfst uns morgen wieder besuchen“, heißt es zum Abschied, dann macht sich der kleine Trupp auf den Weg zurück ins Dorf. Kalte Füße hatte an diesem Tag übrigens nur der Besuch von der RHEINPFALZ.

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