Frankenthal Gegen Kult und Quote

Eine Reminiszenz an Hanns-Dieter Hüsch und das von ihm in Vollendung kultivierte literarische Kabarett ist das Stück „Und sie bewegt dich noch“, das am Samstag im Wormser Lincoln-Theater vor nur rund 80 Besuchern inszeniert wurde. Von der liebevollen Würdigung des Lebenswerks eines der ganz großen Kleinkünstler spannte sich der thematische Bogen mit hochaktuellen Texten bis in die Gegenwart.

Zwei professionelle Wegbegleiter erinnerten in kurzweiligem Dialog – teilweise aus dem Jenseits geführt – an den aus Moers am Niederrhein stammenden und 2005 mit 80 Jahren gestorbenen Literaten: Autor Jürgen Kessler, einst Agent und Fahrer von Hanns-Dieter Hüsch und heute Leiter des Deutschen Kabarett-Museums in Mainz, sowie Regisseur und Dramaturg Holk Freytag. Zu ihnen gesellte sich die Sängerin Irmgard Haub, die gleich zum Auftakt mit Hüschs melancholischem „Abendlied“ den Menschen als dressierte Eintagsfliege charakterisierte, um dann das aufschlussreiche Bekenntnis des vielseitigen Liedermachers zu intonieren: „Ich möchte ein Clown sein.“ Hüsch war zweifellos mehr als ein Spaßmacher. „Eine Synthese aus Charlie Chaplin und Jesus Christus“ textete Jürgen Kessler über seinen langjährigen Freund, den der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau einmal einen Poeten der kritischen Fantasie nannte. Seine Botschaft, sein Aufbegehren gegen die Gleichgültigkeit der Masse seien unter die Haut gegangen, blickte Kessler mit leichter Wehmut zurück. Er bediente sich in seiner mit Anekdoten angereicherten Retrospektive nicht nur Originalzitaten, sondern legte Hanns-Dieter Hüsch auch Texte aus der eigenen Feder in den Mund. In eingespielten Aufnahmen kamen Ottfried Fischer und Renate Hildebrandt zu Wort. „Es läuft nicht gut hier unten.“ Mit diesem Satz leiteten Jürgen Kessler und Holk Freytag einen überaus kritischen Blick auf die aktuelle Kabarettszene ein. Die Welt der literarischen Kleinkunst sei vergangen, unter den Kollegen gebe es immer mehr Unternehmer, die von Ökonomie durchdrungen seien. „Es geht um Spaß und Kohle, um Kult und Quote.“ Auch die Inklusion („Anderssein wird Normalität“) habe das Land verändert. Vieles sei aus der Spur geraten, beispielsweise in der deutschen Bildungspolitik. „Schulnoten werden abgeschafft, der Discount-Abschluss des Bachelors hat mit Bildung nichts mehr zu tun“, meinten Kessler und Freytag kritisch. Die szenische Lesung, die tief in Hanns-Dieter Hüschs Gedankenwelt eintauchte, sparte auch die bittere Erkenntnis nicht aus, dass der Krieg niemals vorbei sein werde. „Der Sprengstoff des Terrors wird nicht nass.“ Und der Gesellschaft wurden von den beiden Rezitatoren noch weitere unangenehme Wahrheiten ins Stammbuch geschrieben. „Frauen sind keine Frauen mehr, sondern Menschen mit Menstruationshintergrund.“ Die Erziehungsdefizite des im Stich gelassenen Nachwuchses wurden so kommentiert: „Wer seine Jugend verkommen lässt, lässt sein Land verkommen.“ Starker Tobak, der durchaus auch von Hanns-Dieter Hüsch stammen könnte. Doch der wollte, nachdem er dem aufmerksamen Auditorium gehörig die Leviten gelesen hatte, nichts mehr sagen. „Der Himmel kommt auch ohne Worte aus.“ Aber nicht ohne Zugaben. In einem philosophischen Zwiegespräch entwickelten Jürgen Kessler und Holk Freytag die Quintessenz: „Ich glaube nur, was ich sehe. Seit es Fernsehen gibt, glaube ich alles.“ Den Schlusspunkt dieses literarisch anspruchsvollen Abends setzte Irmgard Haub mit dem Hüsch-Song „Im Affenzirkus gehen die Lichter aus.“

x