Frankenthal/Grosskarlbach TAW setzt Reinhard Mey mit neuem Stück musikalisches Denkmal

Journalistin Annabelle (Elke Precht) und Handwerker Volker (Siegfried Kralik) finden über die Musik Reinhard Meys zueinander.
Journalistin Annabelle (Elke Precht) und Handwerker Volker (Siegfried Kralik) finden über die Musik Reinhard Meys zueinander.

Das ist ja ein Ding: Eine Beziehungsgeschichte, die sich ganz und gar aus den Songs von Reinhard Mey speist. Mey in Reinform, aber als Theater. Und natürlich in Reimform, wenn gesungen wird. Da hatten drei Kreative vom Theater Alte Werkstatt in Frankenthal offenbar gleich ein ganzes Gewitter von Geistesblitzen. Woraus ein Stück entstanden ist, das in wenigen Tagen auf die Bühne kommt. Wir waren bei einer Probe live dabei.

„Muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“– so lautet der Titel des Stücks, das am 23. August im Großkarlbacher Theatersommer vom Theater Alte Werkstatt (TAW) uraufgeführt wird. Und das Werk ist ein Unikat, das es so nur im TAW gibt. Ein Unikat auch, weil es im Gegensatz zu den meisten Eigenproduktionen aus eigener Feder stammt – der von Regisseurin Johanna Regenauer und ihrem Bühnenpaar Elke Precht und Siegfried Kralik. Stückentwicklung heißt es, wenn ein Theater nicht das Werk eines externen Autors inszeniert. Sondern ein eigenes Theaterstück entwickelt – von der Idee bis zur Aufführung.

Die Entstehungsgeschichte hat ebenfalls mit Mey zu tun: Johanna Regenauer sah vor zwei Jahren einen Sketchabend im Theater Bagage, in dem Precht einen der bekanntesten Songs des Liedermachers zum besten gab: „Gute Nacht Freunde“. Und Regenauer hatte die Idee, aus dessen Liedern eine Bühnengeschichte zu erfinden. „Da der Songwriter immer das Zwischenmenschliche im Blick hat, bot sich eine Beziehungskiste an“, erklärt die 39-jährige freischaffende Schauspielerin aus Neuhofen.

18 Songs verschmelzen zu einem Theaterstück

Bei Precht rannte Regenauer offene Türen ein, da diese seit ihrem 14. Lebensjahr Songs von Mey spielt und sich dabei an der Gitarre begleitet. Als Koautoren und männlichen Hauptdarsteller hatten die beiden sogleich Kralik ins Auge gefasst. Er habe zunächst gestutzt, meint er rückblickend. „Schließlich bin ich kein ausgewiesener Sänger.“ Doch auch ihm gefiel der originelle Einfall. So tauchte das Trio ein in das Liedgut eines der prominentesten deutschen Liedermacher der alten Garde. Und siehe da: Es fanden sich 18 bekannte und weniger bekannte Songs, aus denen das Künstlerkollektiv binnen eines Jahres ein Theaterstück aus dem Boden stampfte. Der Gag daran: Die Lieder passen bis aufs i-Tüpfelchen zur Beziehungsgeschichte. Als hätte sie Mey speziell für das Stück geschrieben.

Bei der Presseprobe fehlt der Musiker. Steffen Kindlein wird bei den Aufführungen die Lieder live an der Gitarre begleiten. Am TAW ist er kein Unbekannter, gastierte Kindlein hier doch vor Jahren bei einer Show. Und demnächst wird er das neue Format „Bühne frei! – die offene Bühne“ gemeinsam mit TAW-Chef Jürgen Hellmann moderieren. Aber weil der Sänger, Gitarrist, Keyboarder und Liedermacher aus Leonberg bei jener Probe verhindert ist, spielt Regenauer die Musik per Laptop ein. Übrigens wird Kindlein in dem Stück nicht nur musikalisch agieren. Sondern quasi als für die Darsteller unsichtbarer musizierender Mitspieler auf der Bühne stehen. Die Regisseurin ist schon gespannt auf die Interpretationen der Zuschauer. „Sehen sie Steffen als Geist. Oder als Alter Ego des Junggesellen Volker, sein anderes Gesicht?“

Bei dem Liebespaar fliegen die Fetzen

Auf der Bühne steht eine Zapfsäule. Die gehört nicht zum Bühnenbild. Sondern zu einem Stück, das im Herbst inszeniert werden soll. Kralik schiebt sie hinter den Vorhang und bringt sich in Positur. Aus dem extrovertierten Typen wird in Sekundenschnelle der eigenbrötlerische verklemmte Klempner Volker. Geprobt wird die siebte und achte Szene. In der fünften Szene hat er frisch verliebt „Annabelle, ach Annabelle“ gesungen, „du bist so herrlich unkonventionell.“ Von ihr hat Precht den Bühnennamen. Als lebenshungrige ehrgeizige Journalistin ist sie das exakte Gegenteil vom stillen Volker, der sein Handwerk liebt. Und Tee in allen Geschmacksrichtungen. Gegensätze ziehen sich bekanntlich an, stoßen sich aber auch ab. So schwankt das Paar zwischen Faszination und Abneigung.

In Szene sieben herrscht Eiszeit. „Warum der erste Schritt so schwer? Es ist so leicht zu kränken. Und so schwer einzulenken!“ singen die Zerstrittenen. Annabelle wagt den ersten Schritt, will reden. Sagt, sie habe versucht Volker anzurufen, ihm Mails geschickt und einen Brief. Hier will Regenauer eine größere Steigerung sehen. Precht nickt und agiert zunächst bittend, dann immer fordernder. Ihr Bühnenpartner lässt sie abblitzen, bis sie aufgibt: „Es reicht Volker, vorbei!“ Die Regisseurin stoppt. „Diesen Satz musst du ihm wie einen Pfeil ins Herz schießen. Stell dir ein Beil vor. Zack, glasklar und intensiv. Spielt das nochmal, die Szene ist noch nicht überprobt.“ Regenauer spricht damit die Gefahr allzu intensiven Probens an, was zu einem Kipppunkt führen kann, nachdem das bisher Erreichte sich verschlechtert. Aber es ist noch Luft nach oben. Precht feilt an den vier Worten, bis sie wie eine verbale Waffe wirken.

Die Regisseurin ist zufrieden. „Ich bin euch sehr dankbar, dass ihr euch daheim die Lieder so gut draufgeschafft habt. Damit habt ihr unfassbar viel vorgearbeitet.“ Sie fügt augenzwinkernd hinzu: „Ihr singt die Songs besser als Reinhard Mey.“ Was natürlich übertrieben ist. Und auch wieder nicht – die Handlung ist auf die Texte maßgeschneidert, die so gut zur Geltung kommen. Und damit manchmal mehr aussagen als im Konzertsaal aus dem Munde des alten Berliner Barden, dem das TAW ein originelles musikalisches Denkmal setzt.

Info

Die Uraufführung von „Muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“ ist am Freitag, 23. August, um 19.30 Uhr im Großkarlbacher TAW-Sommertheater Am Storchenpfad. Weitere Termine zur selben Uhrzeit an den Samstagen, 24. August und 7. September. Das Stück wird in der kommenden Spielzeit im TAW in der Wormser Straße wiederholt.

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