Frankenthal „Wir reden hier unter Kollegen“

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Herr Raacke, Nuran David Calis als Regisseur – das wird doch sicher spannend.

Das glaube ich auch. Ich kenne ihn noch nicht so wirklich. Deswegen ist es auch jetzt zu Probenbeginn auch noch ein bisschen früh, um in die Tiefe zu gehen. Aber er macht einen sehr guten Eindruck. Auch der Autor Albert Ostermaier, der bei den Proben dabei ist und dann möglicherweise noch was umschreibt. Ich freue mich, dass es jetzt hier losgeht. Außerdem entdecke ich gerade die Provinz. Die müssten Sie doch kennen, sind Sie nicht in Hanau aufgewachsen? Eben. Und jetzt gehe ich wieder zurück in die Provinz. Da habe ich gestern drüber nachgedacht. Wir sind so metropolenorientiert – Berlin gilt als der Ort, wo man zu sein hat. Der Großteil des Lands ist aber Provinz. Und gerade merke ich, dass mir das ganz gut gefällt. Was spielen Sie in Worms? Ich bin ein Klatschreporter, ein Boulevard-Journalist. Wir reden hier also unter Kollegen. Das ist ja schon so ein spezielles Verhältnis zwischen den Protagonisten und den Journalisten. Beide – zumindest sieht Scheumer das so – brauchen einander. Der Journalist braucht die Themen, die er da kriegen kann, und die Schauspieler brauchen Aufmerksamkeit. Es sind Menschen, die vielleicht eine gewisse Eitelkeit mit sich herumtragen, die Anerkennung brauchen. Jeder will aber nicht gleich so viel von sich preisgeben. Da stellt sich für Scheumer die Frage: „Wie kriegt er jemanden dazu, sich zu öffnen?“ Ich glaube, es hat viel damit zu tun, dass man suggeriert und einfach mal in Menschen reinsticht und Behauptungen aufstellt: „Ich habe gehört, Sie hatten Depressionen. Wie war denn das?“ Solch eine Suggestivfrage habe ich auch: Der Abschied vom „Tatort“ ist Ihnen nicht schwer gefallen. Wie das? Ja, das stimmt. Weil es nach 14 Jahren Zeit war, einen Strich zu ziehen. Den haben die anderen gezogen. Und was soll ich da großartig machen? Damit muss man umgehen und sagen: „Das war eine super Zeit, das hat mir sehr viel Ruhm und Anerkennung und Bekanntheit gegeben, die wichtig ist in meinem Beruf.“ Und gleichzeitig muss man akzeptieren, dass neue Leute ran sollen. Das habe ich ja unterstützt. Für mich war das auch eine Befreiung – jetzt geht’s auch mal in eine neue Richtung. Sie haben im Abgang aber viel Kritik geübt an der deutschen Fernsehlandschaft, etwa an der wachsenden Zahl von Krimis. Das habe ich schon immer gemacht. Das war keine Rache. Das schien vielleicht so in der äußeren Wahrnehmung. Meine Kritik richtet sich nicht nur gegen Krimis. Es kommt auf die Machart an. Eine solche „Tatort“-Rolle ist ja ein bisschen wie Schauspielerbeamtentum. Wie war denn die Landung im nicht abgesicherten Leben? Natürlich gibt einem so ein Ding eine Grundsicherheit. Aber ich habe immer auch andere Sachen gedreht, Lesungen gehalten, Drehbücher geschrieben und (lacht) bin in Krimiserien aufgetreten. Es gibt genug zu tun für mich. Das sind Rollen, die ich vorher wohl nicht gespielt hätte – als „Tatort“-Kommissar in einem anderen Krimi den Verdächtigen zu spielen, ist schon komisch. Insofern gibt es jetzt wieder mehr Möglichkeiten für mich. Das geht mir doch auch so: Wenn ich einen Kollegen sehe, der sich sehr über die Rolle als Kommissar definiert, da frage ich mich: „Was macht denn der da in der Liebesgeschichte?“ Wenn man aus einer solchen Sache raus geht, erhöht sich die Chance, wieder vielfältiger zu arbeiten. Aber ich habe nichts dagegen, wenn die Leute sagen: „Hallo, Herr Kommissar.“ Es ist doch klar, dass die Leute mich auch nach drei Jahren noch stark mit dem „Tatort“ verbinden. Dass wird sich erst ändern, wenn ich eine andere starke Marke habe. Es ist ja auch ein tolles Format. Da trauen sich die Sender was. Und der „Tatort“ hat Ihnen Bekanntheit eingebracht. Da kennen Sie sicher reelle Vorbilder für Ihren Klatschreporter Peter Scheumer? Der Klassiker ist Paul Sahner. Ich habe ihn einmal erlebt bei einem Interview mit der „Bunten“. Da saß er aber nur dabei. Die waren zu dritt. Das war ganz schön aufwendig für einen Menschen. Sahner saß nur im Hintergrund und hat vielleicht mal eine Bemerkung gemacht. Er hatte ja so eine Art, erst einmal sehr weich, sehr empathisch, sehr warm heranzugehen an eine Person. Klar, weil Wärme öffnet. Es gibt auch andere Methoden. Wenn man jemandem einen Stich versetzt, trifft man immer. Jeder Mensch hat seine Schwächen und Verwundbarkeiten. Die Taktik, wie ich da rangehe, muss ich ausprobieren. Aber das ist ja auch das Schöne am Theater, dass man das kann, mehr als im Film. Da kommt man an den Set und dreht. Wollen Sie sich an Baby Schimmerlos aus „Kir Royale“ orientieren? Das ist eine tolle Figur, die Franz Xaver Kroetz da verkörpert hat. Wo Paul Sahner eher der ruhige, nette, ältere Herr war, war Baby Schimmerlos ein emotionaler Berserker. Nuran hat den Dennis Hopper in „Apocalypse Now“ erwähnt, der mit Kameras herumrennt, auch ein völlig Wahnsinniger, immer unter Drogen, wie viele damals im Vietnam-Krieg. Oder Billy Wilders „Reporter des Satans“, der Geld aus der Geschichte schlägt, dass jemand in einer Höhle eingesperrt ist und schließlich seinetwegen stirbt. Im Film gibt es viele Vorbilder. Ich hoffe, dass ich es schaffe, meine eigene Version zu kreieren. Gehört für Sie Skrupellosigkeit dazu? Man kann versuchen, die anderen auszuspielen. „Ich habe gehört, der verdient ja viel mehr als Sie, der Ochsenknecht.“ Oder: „Die sieht aber mitgenommen aus. Hat die Probleme?“ Für die andere Seite kann das Spiel grausam sein. Wenn man nicht sehr trainiert und abgebrüht ist, kann man dem anderen auf den Leim gehen. Wie Boris Becker, der mit einer gewissen Naivität an Sachen herangeht, wofür man ihn liebt, und der dann in die Pfanne gehauen wird. Wo man dann sagt: „Wie konnte der sich so nackt machen?“ Ist das vorstellbar, dass ein Journalist so ins Geschehen eingreifen kann? Ich glaube schon. Kommen Sie mal mit auf die Proben. Wir sind jetzt noch alle sehr kollegial miteinander, wir wollen versuchen, eine gute Zeit zu haben und den Menschen einen unterhaltsamen Abend zu bieten. Aber wenn man das tatsächlich vorhat, dann ist die Chance hoch, dass man ganz schön Unruhe stiften kann. Speziell wegen der besonderen Disposition von Schauspielern? Schauspieler sind emotionale Wesen, sehr fragil. Das ist ein Auf und Ab. Mal sind sie von sich eingenommen, mal fühlen sie sich klein und unwichtig. Das hängt mit dem Beruf zusammen. Schauspieler sind ihr eigenes Produkt und haben keinen Abstand zu ihrem eigenen Bild. Wenn man da reingeht, kann man sie manipulieren und ihnen wehtun. Schauen wir mal, wie weit ich das hinkriege (lacht). Im Fernsehen sind Journalisten immer als Leute dargestellt, die stören und Ermittlungen behindern. Da ist was dran. Das hat mir schon mal ein Journalist gesagt. Wir hatten auch mindestens eine Geschichte, bei der der Reporter so eine Ratte war, der einem immer hinterherlief. Aber wenn ich in die Realität schaue ... ... ist es ganz anders, weil ihr ganz Liebe seid (lacht). Aber ich glaube schon, dass die sogenannte Boulevard-Presse noch mal ganz anders auftritt. Wie gesagt: Das ist ein bisschen wie ein Deal. Es ist Teil des Berufs, dass man sich in der Öffentlichkeit zeigt. Weil Leute immer wissen wollen: Wie ist er denn so, was denkt er denn, wie steht er dazu? Und gleichzeitig gibt es sehr ernste Themen, bei denen man nicht weiß, wie man damit umgehen soll. Ich weiß nicht, wie es bei Dennenesch Zoudé war. Sie hatte ja gerade einen großen Verlust – ihr Mann ist gestorben. Aber ich habe das auch schon erlebt. Das ist nicht einfach. Versteckst du dich, dann schreiben sie was. Mal bist du zu sehr das, mal zu wenig jenes. Es ist sehr schwierig, sich da richtig zu verhalten. Karten Tickets für die Wormser Nibelungen-Festspiele vom 15. bis 31. Juli vor dem Wormser Dom gibt es über die Hotline 01805 337171 und im Internet auf www.nibelungenfestspiele.de.

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