Grünstadt Bach-Kantate soll Lob des Weins singen

Ungefähr 200 Kantaten aus der Feder Johann Sebastian Bachs haben sich bis heute erhalten. Ganz überwiegend ist ihr Gehalt geistlich – denn jeden Sonntag hatte der Kantor ein solches Werk im Hauptgottesdienst aufzuführen, aber es gibt auch Ausnahmen. Durchaus kurzweilig ließ der Thomaskantor auch eine Bauernhochzeit und die unbändige Lust auf Kaffee besingen. Nur eine Weinkantate fehlte – ein Mangel, dem der Kirchheimer Konzertwinter abhelfen will. Die Aufführungen sind für 10. und 11. Januar angesetzt – am 6. Februar, 20.03 Uhr, strahlt Deutschlandradio Kultur das Ergebnis bundesweit aus.

Wo kann eine solche Idee anders geboren werden als beim Wein? Und so war es in der Tat, Rudolf Lutz, Bachspezialist aus St. Gallen, ist den regelmäßigen Zuhörern des Kirchheimer Konzertwinters in bester Erinnerung. Und auch er selbst hat zu Kirchheim Zuneigung gefasst. So ist es keineswegs erstaunlich, dass man nach einer vorzüglichen Bach-Kantatenaufführung des Kirchheimer Konzertwinters unter Lutzens Leitung im Januar 2014 im Diffiné-Haus zu einer Probe vorzüglicher Kirchheimer Weine zusammensaß, welche eben so viel Laune machte, dass die Idee, das Bach′sche Oeuvre um eine Weinkantate zu ergänzen, sozusagen von selbst aus den Köpfen sprang. Dass sie aber nicht zusammen mit der belebenden Wirkung des Rebensafts bald wieder verging, ist vielleicht vornehmlich der appenzellerischen Beharrlichkeit Rudolf Lutzens geschuldet: Er begann nämlich tatsächlich, aus der Weinlaune Ernst zu machen. Zweifellos ist die Idee etwas kurios, über 250 Jahre nach Bachs Tod Musik in dessen Klangsprache neu zu erfinden, indessen hätte sich, die Sinnhaftigkeit einer solchen Unternehmung einmal zugestanden, kaum ein Berufenerer als Rudolf Lutz finden lassen. Denn der Professor für Historische Improvisation an der Schola Cantorum Basiliensis (Forschungs- und Ausbildungsstätte für Alte Musik mit Studenten aus aller Welt in Basel) und künstlerischer Leiter der Bachstiftung St. Gallen ist nicht nur ein vorzüglicher Musiker, sondern ein Mann mit bemerkenswertem humoristischen Talent. Das haben seine Orgelimprovisationen und die sie einleitenden Kommentare in Kirchheim zum allgemeinen Vergnügen gezeigt. Lutz ist weithin geschätzter Orgelimprovisator, exzellenter Bachkenner und anerkannter Komponist, wovon etliche Kompositionsaufträge namhafter Festivals zeugen. So bestellten die Bachfeste in Ansbach und Schaffhausen bei Lutz Festkantaten. „In seiner appenzellischen Heimat führt er monatlich eine Bachkantate auf, die auf DVD festgehalten wird. Ein weltweit einzigartiges Projekt mit dem Ziel, das gesamte vokale Bachschaffen auf DVD zu dokumentieren“, erläutert der Konzertwinter überdies. Und in der Tat könnte man sich kaum intensiver als durch eine solche regelmäßige Bach-Kantatenpflege in ihre Tonsprache einarbeiten. Nicht nur das Lob des Weins, sondern auch der Preis des Weinortes Kirchheims soll über den Text der Weinkantate weithin verbreitet werden. Einen geeigneten Librettisten, der Verse fast ganz im Stil des 18. Jahrhunderts zu fertigen weiß, hatte Rudolf Lutz an der Hand: Es ist Pfarrer i.R. Karl Graf aus St. Gallen. Für das Lokalkolorit bedurfte es natürlich eines Kenners der Kirchheimer Verhältnisse. Und so hat Dominik Wörner, Kirchheimer und Spiritus Rector des Konzertwinters, kräftig an der inhaltlichen Konzeption mitgebastelt: Johann Sebastian Bach nämlich – so der Gang der Handlung – kommt persönlich aus Leipzig an die Weinstraße, um die Hochzeit seines Lieblingsschülers Kittel mit der Kirchheimer Weingräfin durch ein fulminantes Orgelsolo und eine Hochzeitskantate zu verschönen. Dominik Wörner selbst wird als Organist und Bassbariton den Thomaskantor verkörpern. In diesem Zusammenhang treten Kirchheimer verschiedener Zeitepochen auf: die zuletzt amtierende Weingräfin Johanna I., der Stifter des Diffiné-Hauses, Karl Friederich, dessen bis heute jedes Jahr in der Kirchheimer Schule am 28. Januar als Stifter der Karlsbrezel gedacht wird, und der ehemaligen Pfarrer Kirchheims und Dekan Grünstadts, Theo Herzer. Die neue Bachkantate hat insofern einen teilweise geistlichen Charakter, als dem Hochzeitspaar zunächst in der Predigt Jesu Weinwunder bei der Hochzeit zu Kana in der Predigt vorgehalten wird. Dann geht’s zum Fest, und hier fehlt es nicht an Lobsprüchen auf Kirchheim und seinen Wein, bis hin zum feierlichen Schlusschor: „Edles Kirchheim, sei gepriesen! / Großer Dank sei dir erwiesen / für die gute Gastlichkeit. / Glück dem Hause Diffiné, / das im Dorf seit eh und je /Zeugnis ist für Vornehmheit.“ Über die Internetseite wemakeit.com werben die Weinkantatenmacher um Spenden zur Projektfinanzierung.

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