Grünstadt Begeisterndes zum 70. Kulturvereinsgeburtstag

Zwei von dreien: am Flügel der großartige Jazz-Pianist David Gazarov. Am Bass steht Mini Schulz.
Zwei von dreien: am Flügel der großartige Jazz-Pianist David Gazarov. Am Bass steht Mini Schulz.

Der Einstieg ins Konzert ist ungemein fein. Mit einer der bekanntesten Melodien Johann Sebastian Bachs, einer Bearbeitung des Chorals „Wachet auf“, setzt das David-Gazarov-Trio ein. Gazarov trägt die Melodie am Klavier vor, in gleichmäßigem Tempo, aber im Detail durch leichte Synkopierung, wie sie für den Jazz typisch ist, belebt. Duftig begleiten Schlagzeug (Obi Jenne) und Kontrabass (Mini Schulz). Das Stück wird lebhafter, löst sich vom Bachschen Wohllaut, um ihn gleichwohl eigentlich immer zu umspielen, zu variieren und zu kommentieren. Das ist so dicht, so abwechslungsreich, so vielschichtig, dass es das Publikum sofort in seinen Bann zieht. Wesentlichen Anteil hat der Mann am Klavier, David Gazarov, ein Armenier, der in Baku zum Konzertpianisten ausgebildet wurde, in Moskau Jazz studierte und 1991 nach München ging. Dort fand er ein Auskommen als Barpianist in einem renommierten Hotel. Der Bayerische Rundfunk wurde auf ihn aufmerksam. Heute gehört Gazarov zu den Ersten seiner Zunft. Sein Klavierspiel ist absolut faszinierend, weil es verschiedene Komponenten verschmilzt. Ganz unaufgeregt und lakonisch laufen Gazarovs Finger mit ungeheuerer Geläufigkeit über die Tasten – absolut cool. Aber im Hintergrund lauert ungebrochenes, romantisches Tschaikowsky-Pathos, Freude am Melodischen, wie es der Jazz amerikanischer Prägung kaum kennt. Der erste Teil des Konzerts in Grünstadt bringt Meditationen über Musik von Johann Sebastian Bach. Als zweites Stück jenes C-Dur-Präludium für Klavier, das Charles Gounod durch Heraushebung einzelner Töne zum weltberühmten „Ave Maria“ gemacht hat. „Das ist unser Gebet, dass die Politiker der Welt ein bisschen Verstand kriegen“, sagt Gazarov und meint das trotz der flotten Formulierung tiefernst. Er intoniert leise gebrochene Akkorde, hinein klingt Becken-Gewisper und Kontrabass-Rumpeln, als amorphes Gewimmel zweifellos das ungeordnete Getriebe der Welt versinnbildlichend. Dahinein setzt Gazarov eindeutig und klar das Ave-Maria-Thema, in durchaus romantischer, metrisch freier Auffassung, indes das grundierende Gewimmel erst zu Hochspannung anschwillt und dann verklingt. Jetzt nimmt das Cello erst mit Bogen, dann gezupft das Thema auf und leitet damit den stärker jazzigen Teil ein. Auch der ist jeden Moment fesselnd, ebenso wie der erste Satz aus Bachs Italienischem Konzert, funkelnd, strahlend und bestens gelaunt verjazzt. Die Begeisterung im Publikum nimmt von Stück zu Stück zu. Trotz der großen Besetzung ist’s im Zuschauerraum mucksmäuschenstill, Zeichen dafür, dass das Publikum gefesselt mitgeht. Es gibt ein Stück des kanadischen Jazz-Pianisten Oscar Peterson. Den langen Klaviereingangsteil spielt Gazarov großartig gelassen. Dann setzen die beiden anderen druckvoll ein und führen das Stück zu einem fulminanten Höhepunkt, voller Ruhe und voller Kraft, der ausgelassen bejubelt wird. Auch Chopin kommt den Jazzern entgegen: „Schon bei Bach und Chopin finden sich die gleichen Phrasen wie im Jazz, sie sind nur anders betont worden“, erläutert Gazarov, Chopins b-Moll-Prélude sei eigentlich schon Bebop. Notengetreu spielt er das Stück in atemberaubenden und gleichwohl mühelos wirkendem Tempo, wozu Jenne und Schulz viel Interessantes einfällt. Aus dem „Minutenwalzer“ wird unter Hinzufügung lateinamerikanischer Rhythmik „Contessa spoke Latin“. Sehr amüsant. Der Applaus nimmt von Stück zu Stück zu und will schließlich kaum enden; zwei Zugaben sind Ehrensache.

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