Grünstadt und Leiningerland Brennendes Flugzeug am Nachthimmel

Der Rumpf lag nach dem Absturz des britischen Flugzeugs am 10. August 1943 auf der Straße zwischen Eiswoog und Ramsen vor der al
Der Rumpf lag nach dem Absturz des britischen Flugzeugs am 10. August 1943 auf der Straße zwischen Eiswoog und Ramsen vor der alten Eisenbahnbrücke. Die Wrackteile wurden vom eigentlichen Absturzort im Wald zum leichteren Abtransport mit Großfahrzeugen dorthin gebracht.

Ramsen: Am 10. August 1943 ist eine englische Halifax auf dem Rückweg von der Bombardierung Nürnbergs am Eiswoog abgestürzt. Vom Wrack wurden damals viele Fotos gemacht. Nach Aussagen von Zeitzeugen geht Heimatforscher Erik Wieman jetzt aber davon aus: Diese Bilder zeigen nicht den wahren Absturzort der Halifax. Auch das ursprüngliche Gerücht von Todesschüssen in Carlsberg ist widerlegt.

Am Abend des 10. August 1943 waren von verschiedenen Flugplätzen aus ganz Großbritannien insgesamt 653 englische Bomber in Richtung Deutschland losgeflogen. Alle Flugzeuge hatten das selbe Ziel: Nürnberg. Für die fränkische Stadt sollte es eine Schreckensnacht werden. Mindestens 585 Menschen starben in dem Bombenhagel, über 5000 Häuser wurden komplett oder zumindest teilweise zerstört. Aber auch für viele Bürger aus Ramsen und den umliegenden Ortschaften war es eine unvergessliche Nacht. Denn ein brennendes Flugzeug am Nachthimmel oder eine ohrenbetäubende Explosion im Stumpfwald waren für die Dorfbevölkerung selbst im Zweiten Weltkrieg etwas Außergewöhnliches. Ebenso die sechs Leichen von der achtköpfigen Besatzung des britischen Bombers, von denen einige noch am nächsten Tag an ihren Fallschirmen in den Bäumen im Ramser Wald hingen.

„Das wird definitiv ein Untersuchungsprojekt“

Zwei, die damals – als Kinder – gleich zum Unglücksort gelaufen sind, haben sich nun auf unseren Artikel „Bilder, die für immer im Kopf bleiben“ als Zeitzeugen bei Heimatforscher Erik Wieman gemeldet. Demnächst werden mit den Männern Treffen vor Ort vereinbart. Doch schon jetzt ist Wieman klar: Der Absturz des englischen Bombers wird demnächst – wie auch das Unglück der deutschen Messerschmitt bei Kerzenheim – „definitiv ein Untersuchungsprojekt“ der Interessengemeinschaft Heimatforschung Rheinland-Pfalz. Denn die Angaben beider Zeitzeugen zum Absturzort der britischen Halifax sind nicht nur glaubwürdig, sondern auch „absolut identisch“, so Wieman; eine Untersuchung des Geländes kann damit räumlich eingegrenzt werden.

Allerdings: „Das Gelände vor der Eisenbahnbrücke, das auf den damals mit dem Wrack gemachten Fotos zu sehen ist, hat nichts mit dem wahren Absturzort zu tun“, folgert Wieman aus den Angaben der Zeugen. Demnach seien damals Flugzeugwrack und Trümmerteile – unmittelbar nach dem Absturz – durch den Wald in die Nähe der Landstraße geschafft worden. Dort konnte der Metallschrott dann leichter auf große Transportfahrzeuge verladen werden. Erst als die Flugzeugüberreste dort gelagert waren, seien die vorliegenden Fotos gemacht worden, so Wieman. Doch nicht nur bei der Bestimmung des genauen Absturzortes war der Heimatforscher bereits erfolgreich – er hat mit seinen Recherchen in britischen Militärarchiven auch das ursprüngliche Gerücht über vermeintliche Todesschüsse an diesem 10. August 1943 in Carlsberg widerlegt.

Lange Zeit wurde nämlich gemunkelt, „dass Dorfbewohner den Fallschirmspringer, der zwischen Fichteck und Hasental bei Carlsberg herunterkam, erschossen hätten“, berichtet Wieman. In Kriegszeiten kommen Übergriffe der zivilen Bevölkerung auf versprengte, feindliche Soldaten immer mal wieder vor; das Gerücht über eine Erschießung des Engländers durch die Dorfbevölkerung war also nicht vollkommen abwegig.

Exhumierung: Leichen ohne Schussverletzungen

Ein Fund Wiemans im Militärarchiv allerdings widerlegt nun die Version von der Carlsberger Erschießung: Denn die Royal Air Force hatte im Jahr 1948 die Exhumierung (inklusive medizinischer Untersuchung) aller sechs Leichen angeordnet. Sie waren vorübergehend in Ramsen bestattet worden und sollten nun auf dem Commonwealth Militärfriedhof in Rheinberg bei Duisburg beigesetzt werden. Ergebnis der Obduktion durch die Engländer: Keine der sechs Leichen wies Schussverletzungen auf.

Wie seine fünf anderen, aus geringer Höhe abgesprungenen Kameraden hatte wohl auch der über Carlsberg abgesprungene Brite bereits den Fallschirmsprung nicht überlebt. Von der achtköpfigen Besatzung der Halifax hatten nur zwei Engländer „ein paar Höhenmeter“ mehr und damit mehr Glück: Im Gegensatz zu ihren Kameraden – vier Engländer, ein Kanadier und der australische Pilot – sind Navigator Sergeant J.A. McLearmon und Funker Sergeant Bostle nicht oben am Hang, sondern weiter unten im Tal gelandet. Offensichtlich waren sie erst in letzter Sekunde – und damit schon hinterm Hang – abgesprungen. Durch die etwas größere Höhe hatten sich Ihre Fallschirme gerade noch rechtzeitig öffnen können. Bostle jedenfalls habe, hat Wieman im Archiv festgestellt, „nach dem Krieg zu Protokoll gegeben, dass er bei zirka 3000 Fuß (etwa 900 Meter) mit dem Fallschirm abgesprungen war“. Die wenigen Meter Höhenunterschied zu seinen am Hang gelandeten Kameraden hatten somit den Unterschied zwischen Leben und Tod ausgemacht.

Zeuge erinnert sich an einen Soldaten ohne Stiefel

Einer der Zeitzeugen, die sich nun bei den Heimatforschern gemeldet haben, hatte damals sogar einen der zwei Überlebenden gesehen. Dieser habe keinen Fallschirm (mehr) gehabt und „was auffällig war, er hatte keine Stiefel an. Daran konnte der Zeuge sich noch genau erinnern“, informiert Wieman aus dem ersten Gespräch mit dem Zeitzeugen. Ob es Bostle oder McLearmon war, konnte noch nicht geklärt werden. Im Gegensatz zum weiteren Verbleib der beiden Überlebenden während des Krieges. In den Archiven ist vermerkt, dass die Zwei nach dem Verhör im Durchgangslager „Dulag Luft“ in Oberursel in das Stammlager der Luftwaffe Stalag Luft III bei Sagan in Polen gebracht worden sind. McLearmon bekam dort die Lagernummer 1326, Bostle die Nummer 1286.

Geklärt ist auch der Grund des Absturzes: Das britische Flugzeug war im Luftkampf von einem deutschen Nachtjäger getroffen worden. Den Abschuss der Halifax JD369 hatte Pilot Hans-Georg Birkenstock vom Nachtjägergeschwader 6 für sich verbucht, so Wieman. Er flog eine Messerschmitt und war in Mainz-Finthen stationiert. Birkenstock selbst fiel dann am 19. Mai 1944 bei Saint Vith in Belgien.

Die Zeit bis zu den Vor-Ort-Gesprächen mit den Zeitzeugen wollen die Heimatforscher um Wieman schon mal nutzen, um mit Nachfahren der beim Eiswoog gestorbenen Besatzungsmitglieder in Kontakt zu kommen. „Erfahrungsgemäß wissen Nachfahren nichts oder kaum etwas von den Todesumständen ihrer Familienmitglieder“, weiß Wieman. Das hatte sich nicht nur bei der unlängst abgeschlossenen Suche des abgestürzten britischen Transportflugzeugs am Nackterhof mit 23 Toten eindrucksvoll bestätigt. An den dortigen Absturzort wollen in diesem Jahr über 100 Nachfahren aus Kanada, USA und England kommen, um einen Gedenkstein offiziell einzuweihen.

Frau J. Wagner und ihr Neffe

Bis zu einem eventuell möglichen Gedenkstein bei Ramsen wird noch viel Wasser in den Eiswoog fließen. Schließlich werden beim Projekt Nackterhof fast vier Jahre vergangen sein von den ersten Gesprächen der Heimatforscher mit Zeitzeugen bis zu der offiziellen Feier im kommenden August. Der erste, ganz entscheidende Schritt ist jedoch gemacht. Genau wie beim Absturz des deutschen Flugzeugs am 12. September 1944 bei Kerzenheim. Bei den beiden künftigen Projekten der IG Heimatforschung stehen nun ins Detail gehende Vor-Ort-Gespräche mit Zeitzeugen an. Dann werden alle Daten gesammelt, die zuständigen Stellen informiert und Genehmigungen beantragt. Das wird wohl etwas länger dauern, denn wegen Corona haben die ehrenamtlich tätigen Heimatforscher bereits einige Projekte aufschieben müssen. „Wenn dann alle Genehmigungen vorliegen, ist für die Beweissicherung eine Prospektion des in Frage kommenden Geländes geplant“, geht Wieman davon aus, dass die Forscher frühestens Ende 2021 ihre Suche nach Überresten des Flugzeugwracks aufnehmen können. 78 Jahre, nachdem – wie laut Wieman in einem Protokoll des britischen Militärs steht – „Frau J. Wagner und ihr Neffe Fallschirmspringer am Nachthimmel gesehen hatten, die alle aus einem brennenden Flugzeug über Carlsberg gekommen waren“.

Gefallenenliste der am 10. August 1943 bei Ramsen abgestürzten Halifax aus dem britischen Militärarchiv.
Gefallenenliste der am 10. August 1943 bei Ramsen abgestürzten Halifax aus dem britischen Militärarchiv.
Bei einem ersten Abgehen des vermeintlichen Absturzgeländes gefunden: ein Elektrokabel, wie es in den britischen Halifax-Flugzeu
Bei einem ersten Abgehen des vermeintlichen Absturzgeländes gefunden: ein Elektrokabel, wie es in den britischen Halifax-Flugzeugen verbaut worden ist.
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