Donnersbergkreis Geschlagen, gefoltert, gequält: Ein Syrer erzählt

Tlass ist froh, in Sicherheit zu sein.
Tlass ist froh, in Sicherheit zu sein.

Auf der ganzen Welt werden Menschen zu Unrecht in Gefängnissen festgehalten. Auch in der Region leben Menschen, die wegen ihrer politischen Ansichten zu Unrecht im Gefängnis waren. Ein Betroffener erzählt.

Seine Heimat war Syrien. In der Stadt Al-Rastan im Bundesstaat Homs ist Tlass geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen, wohnte mit seiner Familie dort. „Es ist uns gut gegangen, wir haben ein gutes Leben geführt, mein Vater war der Erste Staatsanwalt in Homs, die Familie betrieb einen Nachtclub, wir hatten Geld“, erzählt Tlass heute.

Dann war plötzlich nichts mehr, wie es einmal war. Friedliche Proteste auf den Straßen im Süden Syriens Anfang 2011 markierten den Beginn des Syrienkonflikts: Die Menschen waren inspiriert von den Protesten des Arabischen Frühlings in Tunesien und Ägypten. Sie forderten politische Reformen, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit. Am 15. Februar 2011 sprühten einige Schulkinder in ihrem Schulhof in der Stadt Daraa in Syrien zwei Graffiti auf eine Mauer, welche ins Deutsche übersetzt „Du bist dran, Doktor!“ und „Nieder mit dir Assad!“ bedeuteten.

Mit Doktor war Assad gemeint, der vor seiner Präsidentschaft als Augenarzt gearbeitet hatte. Nachdem der Schulleiter anderntags die Polizei informiert hatte, wurden einige Kinder verhört, um die Namen der Urheber der Graffiti in Erfahrung zu bringen. Diese wurden anschließend verhaftet und gefoltert – die Kinder besuchten die siebten Klasse, waren also 13 und 14 Jahre alt. Die Eltern der Schüler waren die ersten, die in Daraa auf die Straße gingen und gegen die Inhaftierung protestierten. „Gebt uns unsere Kinder zurück“, riefen sie. Es fielen die ersten Schüsse auf friedliche Demonstranten.

Familie wurde geächtet

„Viele meiner Familie mit Namen Tlass arbeiteten bis zu diesem Zeitpunkt für die Regierung“, erinnert sich Tlass und ergänzt: „Als sich mein Cousin, der als Erster Offizier für Assad arbeitete, dem Schießbefehl auf die Demonstranten widersetzte und sich damit gegen Assad stellte, wurden alle, die den Namen Tlass trugen, geächtet und besonders streng behandelt“, erzählt der 41-Jährige.

Der syrische General Mustafa Tlass, der vier Jahrzehnte lang in Syriens Machtzentrum agierte, bekannt als Kriegsherr, Henker und Herausgeber antisemitischer Hetzschriften, war jahrzehntelang Verteidigungsminister von Hafiz al-Assad. Nach dessen Tod war er engster Vertrauter und ebenfalls Verteidigungsminister von dessen Sohn Baschar al-Assad. 2011 war er wegen gesundheitlicher Probleme bereits in Frankreich, sein Sohn Manaf desertierte 2012 aus der syrischen Armee.

Mustafa Tlass war der Cousin von Tlass Vater. „Auch ich ging damals auf die Straße zum Demonstrieren und wurde verhaftet“, berichtet der Syrer. Man steckte ihn einen Monat lang ins Gefängnis. „Bevor ich freikam, musste ich eine Verpflichtungserklärung unterschreiben, dass ich nicht mehr demonstriere“, erinnert er sich. Er sei trotzdem wieder auf die Straße gegangen, wie Tausende mit ihm. „Am 1. April 2011 wurde die Statue von Assads Vater in Daraa gestürzt. Menschen filmten mit, man konnte die Videos auf YouTube sehen. Soldaten schossen wieder auf die Demonstranten – ich war dabei“, sagt er.

Blätter von den Bäumen gegessen

Wenig später rollten Panzer in Daraa ein. Doch die Stadtbewohner hatten sich vorbereitet und bewaffnet. Der Bürgerkrieg hatte begonnen. „Wir hatten lange Zeit die große Hoffnung, wir demonstrieren ein, zwei Monate und dann geht Assad und die Regierung, ähnlich wie in Tunesien oder Ägypten“, sagt er. Wieder wurde er verhaftet, wieder musste er einen Monat ins Gefängnis, wieder unterschrieb er die Verpflichtungserklärung.

Weil die Demonstrationen nicht aufhörten, sperrte die Regierung einige Städte von der Außenwelt ab, auch seine Heimatstadt Al-Rastan. Keiner kam mehr raus, keiner rein, auch keine Lebensmittel. „Auf den Straßen wurden Checkpoints eingerichtet und weil es keine Lebensmittel mehr gab, haben die Leute auch die Blätter von den Bäumen gegessen“, erzählt er.

Mit neun anderen Männern machte er sich deshalb auf den Weg, um illegal aus der Stadt zu kommen und um Lebensmittel zu besorgen. „Als wir draußen waren, waren wir plötzlich von Polizei umzingelt, wir wurden alle verhaftet und in Damaskus ins Gefängnis geworfen“, erinnert er sich.

Gleich zu Beginn seiner Inhaftierung habe er eine Art Geständnis unterschreiben müssen, auf dem fünf Gründe für seine Verhaftung standen: 1. Er habe an Checkpoints mit Waffen geschossen. 2. Er habe die Regierung und den Staat beleidigt und somit das Ansehen des Staates untergraben. 3. Vandalismus – er habe öffentliches und privates Eigentum beschädigt. 4. Behinderung des Straßenverkehrs auf Autobahnen und Landstraßen durch Teilnahme an Demonstrationen 5. Unterstützung von Demonstranten und somit Unterstützung von Vandalismus.

Folter an der Tagesordnung

Dann begann sein Martyrium. In den nächsten drei Jahren habe er feststellen müssen, dass alles, was er bis zu diesem Zeitpunkt im Gefängnis erlebt hatte, ein Kinderspiel gewesen war. „Ich saß mit verbundenen Augen in einem Raum, als man mir diese Vorwürfe vorgelesen hat, dann nahm man meinen Finger und drückte ihn auf irgendein Papier – ob es dieses Geständnis oder etwas anderes war, konnte ich nicht sehen – das war die militärische Geheimpolizei“, weiß er. „Auf dem Papier stand, das alles hätte ich gemacht, also wurde ich geschlagen, gefoltert, gequält – aber im Grunde ist es egal, was du gemacht hast, du bist dort im Gefängnis, also wirst du gefoltert“, sagt er.

Sechs Monate sei er in Einzelhaft gewesen, eingesperrt in einen Raum im dritten Untergeschoß des Gefängnisses: eine Zelle von zwei auf einen Meter Größe, mit einem Ventilator, einer Lampe, einer Toilette. Das Essen gab es durch eine Klappe in der Tür. „Nach sechs Monaten verlegte man mich in ein anderes Gefängnis, in eine Zelle in der Größe von etwa sechs auf vier Meter – hier war ich zusammen mit rund 150 anderen Häftlingen“, erzählt er.

Keine Betten im Gefängnis

Betten habe es keine gegeben, die Männer hätten abwechselnd schlafen müssen. „Einer hat sich auf den Boden gelegt und ein wenig geschlafen, dann stand er wieder auf und ein anderer konnte sich hinlegen – immer im Wechsel, mehr Platz gab es nicht“, so Tlass. „Jeden Tag gab es Tote durch Folter, schlechte Luft, viele hatten Hautprobleme“, erinnert sich der Syrer. Alle Häftlinge trugen nur Unterwäsche, zweimal im Monat durften sie duschen, immer zehn Männer zusammen. „Die Duschen waren Wasserschläuche mit Löchern drin, wer länger zum Duschen brauchte als zwei Minuten, wurde geschlagen, gefoltert“, erzählt er.

Da sich zeitgleich der Sohn des ehemaligen Verteidigungsministers Manaf Tlass öffentlich gegen Assad stellte, seien alle Häftlinge mit dem Namen Tlass noch mehr gequält worden. „Neun der Männer, mit denen ich inhaftiert wurde, sind in der Haft gestorben, ich bin der Einzige, der überlebt hat“, sagt er. Nach 18 Monaten habe man ihn erneut in ein anderes Gefängnis verlegt, in dem die Haftbedingungen etwas besser gewesen seien.

Ein Mitarbeiter habe ihn dort erkannt und seinem Vater erzählt, dass er noch lebe – die Familie war zu diesem Zeitpunkt davon ausgegangen, dass er tot sei. „Mein Vater hat den Richter mit 10.000.000 Syrischen Lira (umgerechnet 35.000 Euro) bestochen – dafür hätte man in Syrien damals zwei Häuser kaufen können – und drei Monate später war ich frei“, erinnert er sich. Noch am gleichen Tag verließ er auf Schleichwegen Syrien und wartete sechs Monate in der Türkei auf seine Frau und seine drei Kinder. „Als sie bemerkten, dass ich weg war, verhafteten sie meine Frau und sagten, wenn ich nicht zurückkomme, bleibt sie in Haft – nur, weil ihr Onkel ein hoher Offizier war, kam sie wieder frei und kam mit den Kindern zu mir in die Türkei“, so Tlass.

Über den Balkan nach Deutschland

Auf der Balkanroute, teilweise mit dem Schlauchboot, schaffte die Familie schließlich die Flucht nach Deutschland, wo sie im Dezember 2015 ankam. „In Abwesenheit wurde ich später in Syrien zu sieben Jahren Haft aus drei Gründen verurteilt, für die zwei anderen Gründe habe es keinen Nachweis gegeben“, sagt er. Da man ihn im Gefängnis unter Folter auch mit einer Eisenstange auf den Kopf geschlagen habe, leide er häufig unter starken Kopfschmerzen. Bis heute träume er immer wieder, er sei noch im Gefängnis, obwohl das schon viele Jahre her ist.

„Das ist rund ein Prozent meiner Geschichte“, sagt Tlass am Ende des Interviews. Er arbeitet im Leiningerland, ebenso sein ältester Sohn. Die anderen gehen in Schule und Kindergarten. Er weiß, dass er großes Glück hat, noch zu leben. Er sagt: „Wir geben uns Mühe und vor allem sind wir dem deutschen Staat und der Bevölkerung unendlich dankbar für jede Hilfe, die wir hier erfahren dürfen. Wir wollen etwas zurückgeben, bezahlen unsere Steuern, sind integriert und danken von Herzen für ein Leben in Sicherheit und Freiheit.“

Zerstörte Gebäude im syrischen Homs, 2013.
Zerstörte Gebäude im syrischen Homs, 2013.
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