Grünstadt „Ich lasse Mitleid nicht zu“

Nach seinem Motorradunfall 1992, bei dem Florian Sitzmann seine Beine verloren hat, galt er lange Zeit als bekanntester deutsche
Nach seinem Motorradunfall 1992, bei dem Florian Sitzmann seine Beine verloren hat, galt er lange Zeit als bekanntester deutscher Rollstuhlfahrer neben Wolfgang Schäuble.

„Ich bin eine Rampensau“, sagt Florian Sitzmann über sich. „Ganz viel muss auf der Spaßebene ablaufen, das Leben ist schon schwer genug.“ Seinen Humor und seine positive Lebenseinstellung teilt der 43-Jährige bei seinen Lesungen gerne mit anderen. Am Freitag, 14. Juni, kommt „Flo“ nun auch wieder nach Frankenthal. Schon 2017 heilt er eine Lesung im Pfalzinstitut für Hören und Kommunikation. Er erinnert sich noch gerne an den Abend und den großen Zuspruch der Zuhörer: „Es waren viele Jugendliche da, die meine Welt wegen ihrer Beeinträchtigung erst recht nachvollziehen konnten“, sagt der 43-jährige Sitzmann. Seit fast 30 Jahren sitzt er „in der Karre“, wie Sitzmann selbst seinen Rollstuhl bezeichnet. Behindert und eingeschränkt fühle er sich dadurch jedoch nicht – vielmehr aber durch die Gesellschaft. 2009 schrieb der gebürtige Hesse sein erstes Buch „Der halbe Mann – dem Leben Beine machen“, in dem er seinen Motorradunfall im August 1992 verarbeitet hat. In seinem zweiten Buch „Bloß keine halben Sachen – Deutschland ein Rollstuhlmärchen“ von 2012 geht es Sitzmann um „das große Thema Inklusion“. Darin sucht er nach Alltagshelden. Denn aus eigener Erfahrung weiß er, wie wichtig Idole sein können: „Nach meinem Unfall habe ich mir alle möglichen Vorbilder gesucht, um wieder klarzukommen“, heute seien sogar seine Kinder schon kleine Vorbilder für ihn, weil sie „so frei und ehrlich sind“, sagt der dreifache Familienvater stolz. „Bekanntester Rollstuhlfahrer neben Wolfgang Schäuble“ Dennoch wisse er auch, dass die Gesellschaft sich dafür ändern müsse. Bei ihm sehe man sein Handicap sofort, aber „schlimmer geht es denen, die in ihren Köpfen eingeschränkt sind“, sagt Sitzmann selbstbewusst. Mit seinen Büchern und Lesungen will er die Menschen zum Nachdenken anregen und ihnen Mut machen. Auf seinen Lesetouren kann man Sitzmann deshalb als Moderator und Motivator erleben. Als Motivationscoach sieht er sich aber nicht. „Mit dieser Bezeichnung hab’ ich so meine Probleme“, gibt er zu. Oft wurde er als der bekannteste deutsche Rollstuhlfahrer neben Wolfgang Schäuble betitelt. Das passe insoweit auch ganz gut, als er sich selbst als „Helfer für das Gemeinwohl“ sehe. In die Politik wolle er deshalb trotzdem nicht. Sitzmann nutzt die Öffentlichkeit lieber, um Berührungsängste abzubauen. Kurz vor dem Abheben von der Familie geerdet Als Sitzmann seine Geschichte öffentlich gemacht hatte, immer wieder in Talkshows im Fernsehen zu sehen war, „da war ich schon an der Schwelle kurz vorm Abheben“, gibt er zu. Doch seine Familie habe ihn immer wieder geerdet und ihm Halt gegeben. „Wenn man heimkommt, und alle rufen Papi“, könne er immer gut abschalten. Seine Erfahrungen geben ihm letztlich mehr Freiheit, Dinge und Missstände in der Gesellschaft anzusprechen. „Ich hab’ ja nichts mehr zu verlieren“, scherzt er. Nach seinen internationalen sportlichen Erfolgen mit dem Handbike ist Florian Sitzmann seit rund zehn Jahren mit seiner Lebensgeschichte auf Tour. Man könnte annehmen, dass er oft mit Mitleid oder Bewunderung konfrontiert wird. „Mitleid lasse ich aber nicht zu, das bringt mir und den Leuten nichts“, gibt Sitzmann zu. Zudem gingen die Menschen immer davon aus, dass es ihm schlecht gehen müsse wegen seiner Einschränkung. „In solchen Situationen muss man lernen, nein zu sagen, auch wenn es niemand glauben mag.“ „Schlechten Gefühlen“ will Sitzmann keinen Raum geben Trotzdem hat Sitzmann nicht nur gute Tage. „Nervenschmerzen gehören dazu. Aber schlechten Gefühlen gebe ich keinen Raum.“ Seine Zeit steckt er lieber in neue Projekte. So sollen seine Lesungen keine Motivationsseminare sein, sondern „ein Dialog aus Geben und Nehmen“. Dass Sitzmann seine Zuhörer mit seiner Lebensfreude anstecken kann, zeigen seine Zuschriften: „Das ist wie ein Kreislauf aus Kraft, das ist super“, sagt er. Termin Florian Sitzmann liest am Freitag, 14. Juni, um 20 Uhr im Kulturzentrum Gleis 4, Johann-Klein-Straße 22. Musikalische Begleitung: Jörg Schreiner. Karten im Vorverkauf und an der Abendkasse. Mehr Infos unter www.kuz-gleis4.de.

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