GRÜNSTADT Post-Covid-Rehasport: Ehrgeizig ins Leben zurückschaffen

Mit leichten Kniebeugen will die Diplom-Sportwissenschaftlerin Corinna Weise das Herz-Kreislauf-System der Post-Covid-Patienten
Mit leichten Kniebeugen will die Diplom-Sportwissenschaftlerin Corinna Weise das Herz-Kreislauf-System der Post-Covid-Patienten in ihren Reha-Sportgruppen stärken.

Extreme Müdigkeit, Atemnot, Muskelschwäche, Wortfindungsstörungen – 203 unterschiedliche Beschwerden in zehn Organen können nach aktuellen Studien längerfristig bleiben, wenn die Akutphase einer Corona-Erkrankung überstanden ist. In Reha-Sportgruppen wird dagegen angekämpft. Mitunter eine sehr mühsame Angelegenheit.

Die Teilnehmer umfassen mit beiden Händen einen Stab, der auf den Boden gestellt wird, und machen Kniebeugen. „Ich möchte das Herz-Kreislauf-System ein bisschen stärken, außerdem ist eine trainierte Bein- und Po-Muskulatur die beste Sturzprophylaxe“, erläutert Corinna Weise die Ziele der Übung, die sie in ihren Reha-Sportgruppen für Post-Covid-Betroffene bei der TSG Grünstadt anbietet. Jeder folgt ihrer Anleitung so gut, wie er kann. Perfekt muss nichts ausgeführt werden. Das ist auch nicht möglich, denn alle haben seit der Infektion mit SARS-CoV-2 unter verschiedenen Einschränkungen zu leiden.

„Vor der Ansteckung war ich topfit“

Harald Dörr muss eine Pause einlegen. Er lehnt sich an die Wand und ringt nach Luft. „Das Gefühl zu ersticken, habe ich erstmals am 29. März 2020 gehabt“, erinnert sich der 73-Jährige, der sein Leben lang sportlich war und nie geraucht hat. „Als ich mich mit Corona angesteckt habe, war ich topfit“, sagt das TSG-Ehrenmitglied. Damals hielt er sich zum Skifahren in Galtür auf, rund zehn Kilometer entfernt von Ischgl, jenem österreichischen Ort, von dem aus sich das Virus in Europa ausbreitete. „Am 13. März wurden wir alle heimgeschickt. Wir sollten 14 Tage in Quarantäne“, so Dörr. Während der Isolation stellten sich Symptome ein. Als die Atemnot kam, wurde er ins Kreiskrankenhaus Grünstadt eingeliefert.

Nach drei Tagen auf der Intensivstation wurde Dörr ins Diakonissenkrankenhaus Speyer gebracht und ins künstliche Koma versetzt, um ihn beatmen zu können. „Nur 47 Prozent der Patienten überleben das“, weiß er und ist froh, dass er dazu gehört. Allerdings zunächst im Rollstuhl. „Ich hatte 18 Kilogramm Muskelmasse verloren“, sagt der Senior, der von 1992 bis 2016 im TSG-Vorstand saß, davon 14 Jahre als Vorsitzender. Nach einer vierwöchigen Reha „konnte ich wieder drei Kilometer auf ebener Strecke langsam gehen“, blickt der pensionierte technische Geschäftsführer der Grünstadter Stadtwerke auf mühsam erarbeitete Fortschritte. „Aber bis heute bin ich ständig erschöpft.“ Er erlebe bessere und schlechtere Tage, manchmal habe er Probleme, aufzustehen. Aber Dörr gibt nicht auf. „Ich genieße den Augenblick und lasse mich zum vierten Mal impfen“, sagt er. Der Rehasport in der TSG tue ihm gut, helfe, die Beweglichkeit zu steigern.

„Psychische Belastung nicht zu unterschätzen“

Die zertifizierte Übungsleiterin Weise betont: „Im September 2021 waren wir die erste derartige Gruppe in Rheinland-Pfalz.“ Mit 15 Personen war sie bereits beim Start voll belegt und es gab eine Warteliste. Die Teilnahme wird von der Krankenkasse bezuschusst. Inzwischen begleitet die Diplom-Sportwissenschaftlerin 26 Post-Covid-Patienten zwischen 28 und 77 Jahren in zwei Gruppen.

Die Multi-Organ-Erkrankung sei wie ein Chamäleon, erläutert sie. Die Beschwerden reichten von Kopf- und Gelenkschmerzen über Geschmacks- und Herzrhythmusstörungen bis zu Atemproblemen und dem sehr häufigen Fatigue-Syndrom (chronische Erschöpfung). „Nicht zu unterschätzen sind auch psychische Belastungen, Depressionen, Angst- und Schlafstörungen.“ Die Schicksalsgemeinschaft in ihren Reha-Sportgruppen gebe Halt wie in einer Familie. „Erfahren zu haben, wie fragil das Leben ist, schweißt zusammen, ist ein stark verbindendes Element“, sagt Weise, die mit Corona-Selbsthilfegruppen zusammenarbeitet und vom Behindertensportverband gefragt wurde, ob sie Post-Covid-Fortbildungen für Trainer leiten würde.

„Größte Sorge, im Kopf nicht mehr klar zu sein“

„Es tut gut, Menschen zu treffen, denen es genauso geht wie mir“, findet Wolfgang, der seinen Nachnamen nicht nennen will. Er hatte sich vor zwei Jahren irgendwo in Grünstadt angesteckt und dann ähnliches durchgemacht wie Harald Dörr. Der Witwer, der allein mit seinem Hund wohnte, brach plötzlich zusammen, wurde zunächst im Kreiskrankenhaus beatmet und als dieses wegen zu vieler Corona-Fälle am 9. April 2020 für einige Tage schließen musste, in Landau weiterbehandelt. Es kam zum Nierenversagen. „Meine größte Sorge nach dem Aufwachen aus dem Koma war, dass ich im Kopf nicht mehr klar sein könnte“, so der Senior. Im „Oberstübchen“ habe alles funktioniert, „aber die Arme konnte ich nicht bewegen, um mich zu waschen“. Einmal sei er aus dem Rollstuhl gefallen und habe die Notfallklingel nicht erreichen können, weil die in Sitzhöhe angebracht war.

Vor der Infektion sei er ewig nicht beim Arzt gewesen, jeden Tag zwei Stunden mit dem Hund Gassi gegangen, so der einstige Rettungsschwimmer. „Das Schlimmste war das Treppensteigen“, blickt der 77-Jährige auf den ersten Aufenthalt in einer Reha-Klinik zurück. Inzwischen überwindet er jeden Tag 105 Stufen – ohne sich am Geländer festzuhalten. Den Physiotherapeuten habe er irgendwann nicht mehr besucht, „da war jedes Mal ein anderer Betreuer, der wieder nicht Bescheid wusste“. Wolfgang begann seine Muskeln nach Anleitungen aus dem Fernsehen aufzubauen und meldete sich dann als einer der ersten bei der Reha-Sportgruppe der TSG an.

„Kann nicht verstehen, dass Leute Corona verharmlosen“

Corinna Weise bescheinigt dem Grünstadter, dass er sich „ehrgeizig wieder ins Leben zurückgeschafft“ habe. Nun fordert sie ihre Kursteilnehmer auf, den Stab an gestreckten Armen hoch über dem Kopf zu halten. In dieser Position wird der Körper leicht nach hinten überstreckt, sodass es in der Bauchdecke zieht. Dann neigt man sich nach links, anschließend nach rechts. Jede Bewegung soll mit bewusster, tiefer Atmung unterstützt werden. Zum Schluss werden die Badminton-Schläger herausgeholt. Weise pustet ein paar Luftballons auf, die als Federbälle dienen sollen.

„Ich kann nicht verstehen, dass es immer noch Leute gibt, die Corona verharmlosen“, sagt die 52-Jährige. Eine Frau in ihrer Gruppe habe ihren Mann durch die Krankheit verloren und sie kenne Menschen, die sich trotz durchgemachter akuter Infektion, mehrfacher Impfung und weiterhin bestehenden Post-Covid-Syndroms erneut mit SARS-CoV-2 angesteckt haben.

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