Grünstadt Strahlender Kantatenmarathon

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Nur Gutes, was das Musikalische anbelangt, ist über das Konzert des Kirchheimer Konzertwinters am Samstagabend mit fünf geistlichen Kantaten von Christoph Graupner und einer weltlichen Kantate von Johann Sebastian Bach zu sagen. Hier wurde gesangs- und instrumentaltechnisch glänzend, interpretatorisch grundsätzlich richtig, dazu bis in die kleinsten Details interessant gestaltendend und die musikalische Rhetorik ausdeutend musiziert – und ein herrliches Fest für die Ohren war das Konzert sowieso.

Ein Wermutstropfen im sonst prall gefüllten Freudenbecher ist indes zu vermerken: Zweidreiviertel Stunden ohne jede Fünfminutenpause in der anfangs mollig warmen, dann aber rasch immer kälter werdenden protestantischen Kirch reg- und wegen der Rundfunkaufnahme, wie ausgiebig gemahnt wurde, auch hustenlos zu verharren, führte manchen an seine physischen Grenzen. Und doch verging die Zeit wie im Fluge – so spannend wurde diese großteils seit 250 Jahren nicht mehr gespielte Musik serviert. Für das Epiphaniasfest des Jahres 1734 hat Christoph Graupner die Kantate „Erwacht ihr Heiden“ komponiert. Der Tenor, Georg Poplutz, ruft mit heller Stimme die Heiden. Differenziert, transparent und lebhaft erfreut die Instrumentalbegleitung, die insgesamt zwölf in wechselnder Besetzung zusammenspielenden Instrumentalisten unter Leitung der Konzertmeisterin Sirkka-Liisa Kaakinen-Pilch. Den Reigen der Arien eröffnet Dominik Wörner (Bass). Er hat gleich zu Anfang lange Haltetöne im Piano anzustimmen und langsam wachsen zu lassen. Es gelingt ihm bestens. Die lebhafte, anschauliche, sofort gefällige Diktion der Graupnerschen Musikerfindung findet in Wörner einen ausdrucksstarken, wandlungsfähigen Interpreten. Da gibt es zum Beispiel – wir können hier nur einzelne Punkte in dem langen Programm ansteuern – eine Arie, in der – so will es der Textdichter – „schwere Wetter krachen“ und „des Glaubens Schifflein“ in Bedrängnis bringen. Auch bei Graupner ist das ein Füllhorn rhetorischer Figuren und musikalischer Malerei; der Bass hat sozusagen mit dem Textvortrag auch das Gewitter darzustellen. Dominik Wörner macht das ganz vorzüglich; seine Stimme ist auch in tiefster Lage leicht und doch sonor und durchs ganze Kirchenschiff tragend da, er springt behände in die oberen Lagen, als wäre das nichts. Bei alledem hält seine Textausdeutung eine wirklich glückliche, geradezu optimale Mitte zwischen Expressivität und Zurückhaltung, er stellt sich den darzustellenden Effekten durchaus zur Verfügung, ohne sich von der überschwänglichen barocken Diktion zu fettem Pathos verführen zu lassen. Er singt mit Spannkraft und Noblesse, stimmlich klar und bestens intoniert, ohne je äußerliche Auftrumpf-Effekte zu suchen. Wörner hat, wie vor dem Konzert zu hören war, zusammen mit Andreas Gräsle, dem Mann am Cembalo, in Darmstadt die fünf Kantaten aus den über 1400 noch vorhandenen ausgewählt und aus den Handschriften aufführungsfähiges Notenmaterial gemacht. Wer will es dem künstlerischen Leiter der Kirchheimer Konzertreihe verargen, dass er dabei sein Fach, den Bass, besonders glänzen lässt? Die Arien und Rezitative, die Dominik Wörner zu singen hat, sind unterschiedlichen Charakters, es gibt Energisches ebenso wie Lyrisches, und am Ende, in Bachs Bauernkantate, auch Humoristisches, das Wörner mit einer gewissen gravitätischen Wonne zelebriert. In all diesen Passagen macht er stimmlich und interpretatorisch hervorragende Figur. Sängerisch an zweiter Stelle, was den Umfang der Partien betrifft, stand der Solosopran. Andrea Laureen Brown war für die ursprünglich angekündigte, erkrankte Sopranistin eingesprungen. Die Graupner-Kantaten beherrschte sie, stimmlich war sie vorzüglich disponiert, sie zeigte vielfältige Ausdrucksnuancen, allerdings ging sie bei der Textausdeutung nicht so expressiv ins Detail wie das Wörner tat. In der Bauerkantate mit ihrem manchmal arg schwerfälligen Humor indes ließ sie sich indes kaum einen amüsanten Effekt entgehen und war Dominik Wörner eine vollkommen adäquate Partnerin. Dann der Tenor, Georg Poplutz, auch er tadellos gut, klar bei Stimme, prägnant aber nicht exzentrisch in der rhythmischen Gestaltung. Nur wenig zu tun hatte Altus Kai Wessel, der seine Sache tadellos machte und viel zur Strahlkraft die vierstimmigen Choräle beitrug. Manchmal geschah es, dass ich vom – wunderschönen – Sologesang abgelenkt wurde und allein noch der herrlich musizierenden Continuo-Gruppe lauschte, dem Cembalisten Andreas Gräsle und dem famosen Cellisten Balázs Máté, die alles ungemein fein belebten. Oder den herrlich mild klingenden und ungemein subtil gespielten Blasinstrumenten, der Flauto d’amore und Oboe d’amore, dem Chalumeau, einer frühen Klarinette in Tenorlage, und auch der Viola d’amore. Graupner setzt diese oft solistisch als konzertierende Gegenüber zum Sologesang ein. Es ist kaum zu schildern, wie wundervoll farbenreich, elegant und angenehm diese Instrumente geblasen wurden. Einzig der differenzierte und rhythmisch prägnante Streichersatz wirkte manchmal etwas zu spröde und sachlich.

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