Grünstadt Weihnachten bedeutet für mich ...

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Standpunkte: Weihnachten ist mit Ostern und Pfingsten eines der drei Hauptfeste des Kirchenjahres. Christen feiern das Fest der Geburt Jesu Christi. Können wir noch unbeschwert feiern? Oder ist der Sinn des Festes zum Teil verloren gegangen? Mitarbeitende der RHEINPFALZ Grünstadt haben aufgeschrieben, was für sie ganz persönlich Weihnachten bedeutet.

Anja Benndorf:

und schon ist wieder Heiligabend! Bis zur letzten Sekunde dreh ich mich in einer Mühle, ähnlich einem Hamsterrad: Die berufliche Arbeit häuft sich, jeder will noch schnell dies, das und jenes, zusätzlich sollen die Wohnung auf Hochglanz gebracht, das Festessen geplant, die Zutaten, der Baum und Geschenke besorgt werden. Mit fortschreitendem Dezember sehne ich mich mehr und mehr danach, mal die Seele baumeln lassen zu können, nach gemeinsamen Stunden mit der Familie. Doch es ist klar, wie es endet: Spätestens am zweiten Feiertag geht man sich dermaßen auf den Keks, dass sich alle heftig zusammenreißen müssen, damit’s unterm Christbaum nicht knallt. Das Abschalten, die Besinnung bleiben aus – wie in 90 Prozent der Jahre auch der schallschluckende und damit Stille implizierende Schnee. Erst Konsumterror und Adventslieder-Gedudel, dann Harmoniezwang: Meinetwegen müsste es Weihnachten nicht geben. Ich kann ebenso wenig auf Knopfdruck besinnlich sein wie pünktlich zur Fasnacht fröhlich. Alina Benndorf: Ein reichlich geschmückter Tannenbaum, ausgefallenes Essen und vor allem Geschenke – das bedeutete Weihnachten noch vor wenigen Jahren für mich. Heute ist es ein unverwechselbares, kindlich-glückliches Gefühl auf der einen Seite und ein Gemeinschaftsgefühl auf der anderen, das diese Zeit zu etwas Besonderem macht. Ein fester Ablauf ist mir sehr wichtig – insbesondere an Heiligabend. Mittags in die Kirche, aber bloß nicht mit dem Auto. Nein, zu Fuß und das am liebsten durch knöchelhohen Schnee. In dem Gotteshaus dann gute Freunde treffen, mit ihnen Lieder singen und der Predigt lauschen. Obwohl ich nicht gläubig bin, ist das für mich ein fester Bestandteil von Weihnachten. Anschließend gibt es eine leckere Mahlzeit zu Hause und dann ein gemeinschaftliches Ausklingenlassen in der Familie, wo jeder sich über seine Geschenke freut und über ein Lächeln auf den Gesichtern der anderen. Bettina Bostan: Nachdem ich mehrere Jahre mit meinem Sohn Weihnachten in Österreich verbracht habe, freue ich mich in diesem Jahr auf Weihnachten zu Hause. In Österreich hieß Weihnachten Schnee, Berge, Gottesdienst mit Krippenspiel in einer kleinen Kapelle, bescheidene Bescherung und am nächsten Tag Ski- und Schlittenfahren, gutes Essen, ausspannen. In diesem Jahr bedeutet Weihnachten festlich geschmückter Weihnachtsbaum, Krippe, Kerzen und Weihnachtsbeleuchtung im ganzen Haus, Heiligabend mit meinem Vater bei gutem Essen und mit schönen Erinnerungen, Bescherung mit den leuchtenden Kinderaugen meines Sohnes, der mir seit Anfang Dezember schon jeden Tag sagt: „Mama, ich freu mich so auf Weihnachten“, weil er weiß, dass er bekommt, was er sich schon so lange wünscht. Und wenn er sich freut, ist das für mich das schönste Geschenk! Julia Brandt: Weihnachten bedeutet für mich, ganz klassisch, Zeit mit der Familie. Seit ich klein war, feierten wir aber meistens nur zu dritt: Meine Eltern und ich. Von Großeltern und Tanten hatten wir nichts gehört und nichts gesehen, teilweise für zehn Jahre nicht. Weil sich zu keiner Zeit irgendjemand aus der Verwandtschaft kümmerte, schmiss Mama sogar ihre Arbeit. Für mich. Papa arbeitete umso mehr, auch nachts. Für uns. Als Kind sah ich das alles nie als das, was es ist: ein Geschenk. Noch dazu wurden meine materiellen Wünsche immer erfüllt. Liebe Eltern, danke. Ein Geschenk ist aber auch die liebe Frau Nachbarin von Gegenüber, die nicht nur Weihnachten an uns denkt. Blut ist eben doch nicht so viel dicker als Wasser. Und Verwandtschaft nicht wichtiger als Freundschaft. Familie? Das sind meine Eltern und meine besten Freunde. Gerhard Laubersheimer: Weihnachten bedeutet für mich eine Zeit der Ruhe, Besinnung und Freude, eine Zeit des Abschaltens, der Entspannung und Erinnerungen an die eigene Kindheit. Dies insbesondere deshalb und umso intensiver, wenn die Familie zusammenkommt, wenn die Enkel ihre Geschenke auspacken. Es ist das schönste Fest für die Kinder, für mich auch Symbol für eine friedliche Welt, die wir alle wollen, was aber anscheinend nie zu erreichen ist. Weihnachten ist auch eine Zeit, in der sich Politiker fragen sollten: „Habe ich im zurückliegenden Jahr nicht über die Stränge gehauen?“ Es wäre gut, würde sich so mancher zum Fest der Liebe darüber intensiv Gedanken machen, vor allem was Toleranz und Benehmen, die Achtung des Anderen betrifft und wie er diese bedeutenden demokratischen Grundsätze in Zukunft realisiert und verbessert. Weihnachten wäre der passende Anlass. Jessica Noetzel: Bratapfelduft, Kerzenschein, Tannenbaum, Schnee und besinnliche Stunden mit der Familie sind romantische Vorstellungen. Und ich liebe sie! Aber sie sind oft weit von der Realität entfernt. Stattdessen herrscht eher Chaos, Hektik und Stress. Familien hetzen von einem Besuch zum nächsten, Mütter stehen stundenlang in der Küche und Kinder streiten sich darum, wer das bessere Geschenk bekommen hat. Für mich ist Weihnachten jedes Jahr von neuem der Versuch, etwas Hoffnung, Glaube, Zusammengehörigkeit und Liebe zu finden und zu geben. Aber genauso treibe ich jedes Jahr die Umsatzzahlen der Geschäfte hoch. Denn ich schenke unheimlich gern und freue mich, wenn meine Geschenke voll ins Schwarze treffen. Und es ist ein Fest für und mit der Familie, bei dem es turbulent zugeht mit Streitigkeiten und wundervollen gemeinsamen Stunden. Es wird gelacht, gegessen, erzählt und gestritten. Die eigentliche, die religiöse Bedeutung, die Geburt von Jesus Christus, rückt dabei gänzlich in den Hintergrund. Dorothea Richter: Weihnachten bedeutet für mich manchmal viel, manchmal weniger. Das wechselt von Jahr zu Jahr, ist abhängig von dem, was im Alltag zu tun ist, von meiner Stimmung und vom Wetter. Weihnachten bedeutet etliche To-do-Listen: Wer schenkt was den Kindern, was müssen wir im Auftrag der Großeltern besorgen? Was muss noch eingekauft, erledigt werden? Weihnachten gar nicht feiern, sich aus allem raushalten? Das ist, zumindest wenn man eine Familie hat, unrealistisch. Und das möchte ich auch nicht. Weihnachtsmomente gibt es für mich immer wieder im Alltag: Dann, wenn ich meine Lieblingsweihnachts-CD mit den englischen Weihnachtsliedern - A-Capella gesungen – auflege, einfach so zwischen Putzen und Bügeln zusammen mit meiner Mutter ein Glas Prosecco trinke, die Erinnerungen an meine Oma, wenn ich ihre selbst gebastelten Strohsterne in der alten Kiste mit Weihnachtsschmuck finde. Weihnachten ist viel, ist anstrengend, alles kommt auf einmal und manchmal wünschte ich mir, es würde sich alles etwas entzerren. Eine anstrengende Zeit, eine Zäsur, aber auch s c h ö n anstrengend. Joerg Schifferstein: Ja, ich gestehe, ich bin ein Grinch! Ich hasse Weihnachten, all den Stress, seit Wochen, gehetzte Menschen um mich rum, jeder muss noch was fertigstellen, Projekte, Texte, Nachfragen, das nervt! Begründet ist meine Ablehnung darin, dass mir als Atheist der geistliche Gedanke von Weihnachten grundsätzlich abgeht. Gut, ich genieße die freien Tage. Aber die bräuchte ich nicht in dieser verregneten Jahreszeit. Ein weiteres verlängertes Wochenende Ende Juli bis Mitte August, das wär`s. Ich steh’ auch nicht auf Geschenke, will keine erhalten oder machen, nicht wegen Weihnachten – sonst gerne, am liebsten ohne Anlass. Weihnachten wird ausgehen wie immer, die freie Zeit nutze ich, um die Steuererklärung vorzubereiten, ich werde mehr essen als nötig, am Weihnachtsbaum im Elektro-Kerzenschein vielleicht nett lächeln, für meine Umwelt – echt, das brauche ich nicht! Kym Schober: Weihnachten, das Fest der (Nächsten-) Liebe und Besinnlichkeit … Als Kind habe ich Weihnachten entgegengefiebert. Je älter ich wurde, desto sensibler wurden meine Antennen dafür, wie viel Arbeit hinter diesem Fest steckt. Wer möchte was essen, welche Farbe soll die Weihnachtsdeko haben und überhaupt: Bei wem wird gefeiert? Alle zusammen, das verbot sich trotz kleiner Familie von selbst: Oma T und Gegen-Opa M an einem Tisch ohne Seitenhiebe und gegenseitiges Aufwiegeln? Unmöglich! Kurzum: Weihnachten war irgendwie stressig. Umso mehr staune ich über Mitmenschen, die mit Beginn der Adventszeit die Besinnlichkeit einläuten – und sie, komme, was wolle, auch umsetzen. Wie bitte funktioniert das? Man stelle sich bloß vor, die Mitarbeiter im Einzelhandel würden ihr Recht auf Besinnlichkeit gerade jetzt einfordern? Oder medizinisches Personal, Polizei, Feuerwehr? Nicht anders verhält es sich mit der Fürsorge den Mitmenschen gegenüber: Jetzt wird gespendet und Gutes getan, was das Zeug hält. Nur sind Arme das ganze Jahr über arm und Obdachlose das ganze Jahr obdachlos. Weihnachten ist für mich deshalb auch ein Stück weit „Mogelpackung“ geworden: Besinnlichkeit wird zu Gefühlsduselei und das Fest zum Ventil, mit guten Taten schnell ein ruhiges Gewissen zu haben. Familie, Freunde, Achtsamkeit den Mitmenschen gegenüber sollten nicht nur an verordneten Feiertagen den Alltag prägen. Gaby Sprengel: Weihnachten in der Kindheit vor fünf Jahrzehnten war bescheiden und schön. Heute verbinde ich mit Weihnachten vor allem einen unsäglichen Kommerz. Und den großen Hype um das Essen. Echt nervig ist die präzise Menüfolge für Heiligabend, den ersten und zweiten Feiertag, die mir jede, aber wirklich jede Verwandtschaft und Bekanntschaft, sobald das Thema Weihnachten aufs Tapet kommt, aufdrückt. Was, so frage ich mich, ist bei diesen Aufzählungen samt Beilagen, Vor- und Nachspeisen so wahnsinnig interessant? Dann teilt mir Freundin Sabine mit, dass die Küche tapeziert werden muss – „noch vor Weihnachten“. Und Onkel Herbert den neuen Fernsehsessel geliefert haben will – „noch vor Weihnachten“, während Tante Berta eine ondulierte Dauerwelle braucht – „noch vor Weihnachten“. Alle fügen hinzu: „Wann norre des Fescht schun widder rum wär!“ Da bleibt nur die Flucht in den Pfälzerwald. Verbunden mit einer geruhsamen Wanderung, einer spartanischen Brotzeit und der Hoffnung auf ein paar Schneeflocken. Heiligabend kommt aber nächstes Jahr wieder, exakt am 24. Dezember. Welch eine Überraschung! Klaus Stemler: Weihnachten ist ein Fest, das mir durch die – gefühlt – zwei Monate lange Vorweihnachtszeit verleidet wird. Wenn sich Osterhasen als Nikoläuse kostümieren, wenn süßer die Kassen nie klingen und allüberall Weihnachtsgedudel das Trommelfell traktiert, dann sehne ich den 24. Dezember herbei. Wenn an diesem Tag um 13 Uhr in der Grünstadter Innenstadt mit einem Schlag das laute Leben verstummt, sich die letzten Passanten mit einem „Allah dann“ ein frohes Fest wünschen und die Kehrmaschine ihre Runden dreht, dann kommt langsam ein bisschen Feststimmung auf. Wenn um 14 Uhr von der Martinskirche her der Posaunenchor mit Herz und Gefühl Weihnachtslieder intoniert, dann kehrt endlich ein bisschen Ruhe ein, um zuzuhören. Und wenn in der Heiligen Nacht das Lied von der stillen Nacht erklingt, dann ist Weihnachten. Aber nur für kurze Zeit. Weil oft an den folgenden Tagen Rituale abgearbeitet werden müssen. Und weil es im nächsten Jahr wieder eine Vorweihnachtszeit geben wird. Barbara Wygasch: Weihnachten, das ist für mich vor allem die Erinnerung an eine ganze Reihe von Missgeschicken, an meine Mutter, die ob der zerfallenden Markklößchen in Tränen aufgelöst war, an Geschenke, die an Heiligabend trotz intensiven Suchens unauffindbar waren, an den Christbaum, der – festlich geschmückt natürlich – vom Hund umgerissen wurde, an eine Weihnachtsgans, die statt mit Salz mit Zucker eingerieben wurde, an die arme Katze, der Rizinusöl verabreicht wurde, weil man sie verdächtigte, beim Naschen am Ragout fin einen Ring verspeist zu haben – Geschichten, die heute zuverlässig Gesprächsstoff liefern, sobald die Rede auf Weihnachten kommt. Ebenso zuverlässig sorgen sie für Gelächter: Weißt du noch? Vermutlich kann jede Familie solche Geschichten erzählen. Weihnachten, eine Geschichte des Scheiterns? Vielleicht. Aber möglicherweise können wir die Festtage entspannter angehen, wenn wir in Betracht ziehen, dass nicht alles so glatt und so perfekt ablaufen könnte, wie uns das Werbefernsehen vorgaukelt. In diesem Sinne: Nicht die Nerven verlieren! Ist doch Weihnachten; nur in echt.

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