Grünstadt Wenn Wort und Tat auseinanderdriften

„Ich weiß, sie tranken heimlich Wein – und predigten öffentlich Wasser.“ So endet eine Passage aus „Deutschland – ein Wintermärchen“ von Dichter und Schriftsteller Heinrich Heine aus dem 19. Jahrhundert. Dort sparte er nicht mit giftiger Satire und legte den Finger in eine Wunde, die es wohl schon immer gegeben hat. Danach ist der Satz zum geflügelten Wort geworden für jene, bei denen Wort und Tat weit auseinanderdriften. Was man anderen abfordert, daran hält man sich selbst nicht im Geringsten. Das aber macht unglaubwürdig. Nicht selten – so auch bei Heine – bezieht sich diese Kritik auf die Kirche: Wasser predigen, Wein trinken. Wort und Tat stimmen nicht überein. Aber je höher der Anspruch, den man vertritt, desto höher liegt für einen selbst die Messlatte: Was ich von anderen fordere, muss ich mir selbst abverlangen und mich nicht heimlich davon dispensieren. Das wäre Heuchelei. Johannes schreibt in seinem 1. Brief: „Meine Kinder, wir wollen nicht mit Wort und Zunge lieben, sondern in Tat und Wahrheit“ (1 Joh 3,18). Und Jesus selbst hat in der Auseinandersetzung mit den Pharisäern den Finger in genau dieselbe Wunde gelegt: „…denn sie, die Pharisäer, reden nur, tun selbst aber nicht, was sie sagen…“ (Mt 23,3b). Ein Glaube, der sich nicht in der Tat, das heißt konkret in der Liebe zeigt, überzeugt nicht. Und wir selbst erfahren es ja auch so: Überzeugende Vorbilder sind jene, die den Glauben vorleben. Das bewirkt mehr als bloße Worte. Aber können wir das durchhalten? Können das Eltern im Blick auf die Erziehung ihrer Kinder durchhalten? Kann ich das durchhalten? Kann das der Bischof, der Papst durchhalten? Können das Menschen, die öffentliche Verantwortung haben, durchhalten? Ist nicht der Anspruch immer größer als seine Verwirklichung im eigenen Leben? Gibt es jemanden, bei dem Anspruch und Verwirklichung völlig deckungsgleich sind? Nein, das gibt es wohl nicht. Müssen wir dann also schweigen von unserem Glauben? Ist dann jedes Wort eines zu viel? Der Verfasser des Ersten Johannesbriefes geht genau darauf ein. Er schreibt: „Denn wenn das Herz uns auch verurteilt – Gott ist größer als unser Herz und er weiß alles. Wenn das Herz uns aber nicht verurteilt, haben wir gegenüber Gott Zuversicht.“ (1 Joh 3,20f). Das heißt, wir wissen, dass wir selbst immer dem Anspruch hinterherhinken, dass aber Gott uns deswegen nicht fallenlässt, sondern annimmt und aufnimmt. Das macht zuversichtlich. Und so wird der Anspruch, den das Evangelium, den der Glaube an uns stellt, nicht zur Moralkeule gegenüber den anderen, weil ich mich selbst diesem Anspruch stelle in der gläubigen Gewissheit: Gott ist größer als dein Herz. Er lässt dich nicht fallen. Nicht nur die anderen, sondern auch ich bin auf die Barmherzigkeit Gottes angewiesen und zuversichtlich, dass er mir gegenüber barmherzig ist. Wer selbst weiß, dass er auf Barmherzigkeit angewiesen ist, der drischt nicht auf andere überheblich ein. Wer im Vertrauen zur eigenen Unvollkommenheit steht, versucht, Wort und Tat in größtmögliche Deckung zu bringen und dann so wie mit sich selbst auch mit anderen gnädig umzugehen. Gott selbst ist ja auch barmherzig. Beides gehört zusammen: Wort und Tat. Christ-Sein, das Christentum ist nicht nur „Gut-Sein“. Christentum, Kirche, ist keine bloße Wertegemeinschaft, sondern Glaubensgemeinschaft, Bekenntnis zu Jesus Christus. Aber ohne die Tat, ohne das eigene Beispiel, ohne die Liebe bleibt das Bekenntnis wertlos und überzeugt nicht. Der Autor Alfred Müller ist Pfarrer der katholischen Pfarrei Heilige Elisabeth in Grünstadt.

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