Eisenberg Zu viele Entlassungen bei Gienanth: So reagieren die Insolvenzverwalter auf den Vorwurf

Ingo Schorlemmer ist Sprecher der Kanzlei Schultze & Braun, die in den Sanierungsprozess bei Gienanth eingebunden war.
Ingo Schorlemmer ist Sprecher der Kanzlei Schultze & Braun, die in den Sanierungsprozess bei Gienanth eingebunden war.

War die Gienanth-Insolvenz notwendig? Hätten wirklich so viele Menschen entlassen werden müssen? Ingo Schorlemmer, Sprecher der an der Sanierung beteiligten Kanzlei Schultze & Braun, antwortet.

Herr Schorlemmer, man hat sich bei Gienanth im vergangenen November entschlossen, einen Antrag auf Sanierung in Eigenverwaltung zu stellen. Wie wir jetzt erfahren haben, hatte die Dihag aber schon vorher ein Angebot zum Kauf der Gruppe abgegeben. Warum wurde dies seitens der alten Eigentümer damals nicht angenommen? Was sprach dagegen?
Einen Insolvenzantrag stellt man nicht einfach so aus freien Stücken. Es gibt klare Regeln, an die sich Geschäftsführer halten müssen. Tun sie das nicht, ist das Insolvenzverschleppung – und die ist strafbar. Ein Geschäftsführer ist verpflichtet, innerhalb von drei Wochen, nachdem er von der Zahlungsunfähigkeit seiner Gesellschaft Kenntnis erhalten hat, einen Insolvenzantrag zu stellen. Je früher dies geschieht, umso höher sind die Sanierungschancen für das Unternehmen.

Insofern können Sie als Geschäftsführer in solch einer Situation nicht warten, bis Verhandlungen mit einem potenziellen Übernehmer zu Ende verhandelt sind. Ein finales, verbindliches und finanziertes Angebot lag zum Zeitpunkt der Insolvenzanträge für die Mehrzahl der Gienanth-Gesellschaften nämlich nicht vor. Wichtige Stakeholder hatten ohnehin signalisiert, dass das Angebot für sie aufgrund der damit verbundenen Bedingungen nicht annehmbar war. Die Entscheidung über einen Verkauf trifft ohnehin nicht die Geschäftsführung, sondern obliegt außerhalb einer Insolvenz den Eigentümern des Unternehmens.

Allein auf dem Vertrauen, dass das Angebot nachgebessert werden könnte, um alle Stakeholder zufrieden zu stellen, können Sie in einer Situation, in der sich die Gienanth-Gruppe zu besagtem Zeitpunkt befand, aber keine verlässliche Unternehmensplanung aufbauen. Hinzu kamen die Auswirkungen des Großbrandes im Chemnitzer Werk, der die Liquidität des Unternehmens sehr stark belastete. Insofern fehlte die Zeit, die Verhandlungen mit Interessenten noch vor dem Insolvenzantrag zu Ende zu führen.

Mit dem Insolvenzantrag startete Gienanth dann einen gezielten M&A-Prozess, in den auch dieser Bewerber offen einbezogen wurde und die Gelegenheit hatte, um die Gienanth-Gruppe oder Teile davon mitzubieten.

War es im Grunde schon das erklärte Ziel, die Gienanth-Standorte einzeln zu verkaufen?
Dass im Zuge des Insolvenzverfahrens ein M&A-Prozess, also eine gezielte Suche nach Investoren, durchgeführt wird, war von Beginn an klar und wurde von der Gienanth-Gruppe auch entsprechend kommuniziert. Ein solcher M&A-Prozess läuft nach festen Regeln und Vorgaben und ist sehr transparent. Die Beratungsgesellschaft Roland Berger hat hier einen sehr guten Job gemacht.

Bei dieser Vielzahl von Beteiligten mit unterschiedlichen Interessen sowie der gerichtlichen Aufsicht ist es im Übrigen gar nicht möglich, das Verfahren in eine bestimmte Richtung zu lenken. Sie können bei einem solchen offenen Prozess nicht im Vorfeld planen, wie viele Interessenten und wie viele Angebote sie am Ende haben werden und auf welche Standorte sie sich beziehen. Ziel war es, die Gruppe als Ganzes zu verkaufen, denn dann wäre eine Lösung auch für uns am schnellsten zu erreichen gewesen.

Ein solcher M&A-Prozess ist aber ein fairer Bieterwettstreit, bei dem am Ende die Gläubiger – nicht die Geschäftsführung – entscheiden, welches Angebot oder welche Angebote zum Zuge kommen. Sind die verbindlichen Angebote für die gesamte Gruppe insgesamt niedriger als die verbindlichen Angebote zu einzelnen Standorten in der Summe, dann werden sich die Gläubiger für den Einzelverkauf entscheiden. Das ist ein völlig normaler Prozess und wirtschaftlich aus Gläubigersicht absolut nachvollziehbar. Denn die Gläubiger sind die Geschädigten eines Insolvenzverfahrens.

Am Ende sind 100 Menschen entlassen worden. Hätte der Stellenabbau so groß ausfallen müssen? Zumal potenzielle neue Eigentümer „Wunschlisten“ abgegeben hatten, welche Mitarbeiter ein Stellenabbau bitte nicht treffen möge.
Solange es keinen Deal gibt, helfen „Wunschlisten“ wenig. In einem Insolvenzverfahren ist die Geschäftsführung verpflichtet, besonders sorgsam mit den Unternehmensfinanzen und potenziellen Risiken umzugehen. Es hätten Haftungsrisiken entstehen können, wenn die Geschäftsführung die Kostenstruktur an dieser Stelle nicht angepasst hätte und der Deal – und damit auch die „Wunschliste“ – nicht zustande gekommen wäre. In einem Insolvenzverfahren steht die Befriedigung der Gläubiger an erster Stelle und nichts anderes. Danach haben die Geschäftsführung und sämtliche Berater ihr Handeln auszurichten. Dieser Verpflichtung sind die Beteiligten während des gesamten Verfahrens in vollem Umfang nachgekommen.

Der Umfang der Anpassung wurde sorgsam auf Basis des bestehenden Auftragsbestandes und der angekündigten neuen Aufträge der Kunden berechnet und anschließend noch einmal mit dem Betriebsrat verhandelt, inklusive der Sozialauswahl, die wiederum gesetzlich vorgeschrieben ist. Insofern: Ja, er hat in diesem Umfang stattfinden müssen und konnte keine Rücksicht auf externe Wunschlisten nehmen. Dem stehen gesetzliche Regelungen entgegen.

Warum kam da bei Gienanth in Eisenberg am Ende nochmal so eine Dynamik rein mit Schließung der Konten?
Bei Fragen zur konkreten Unternehmensfinanzierung handelt es sich um Betriebsinterna. Bitte haben Sie dafür Verständnis, dass ich diese Frage daher nicht kommentieren werde.

x