VOR 50 JAHREN 22. Dezember 1971: Als der RAF-Terror nach Kaiserslautern kam

Zeitdokument aus der RHEINPFALZ vom 23. Dezember 1971: „Eine erregte Menschenmenge versammelte sich unmittelbar nach dem Überfal
Zeitdokument aus der RHEINPFALZ vom 23. Dezember 1971: »Eine erregte Menschenmenge versammelte sich unmittelbar nach dem Überfall vor dem Bankgebäude und diskutierte über das Verbrechen. Die Polizei sperrte den Tatort ab.«

Terroristen der Roten Armee Fraktion (RAF) versetzten jahrelang ein ganzes Land in Angst und Schrecken. Zu den ersten Mordopfern der linksextremistischen Terrorvereinigung gehörte der Kaiserslauterer Polizeiobermeister Herbert Schoner. In einem spektakulären, fast zwei Jahre andauernden „kleinen Baader-Meinhof-Prozess“ in der ehemaligen Kartoffelhalle am Kniebrech wurde Haupttäter Klaus Jünschke, ein 24-jähriger Psychologie-Student aus Mannheim, zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.

„Überfall – alles an die Wand! Hände über den Kopf!“ Die drei mit Strickmützen maskierten Täter lassen keinen Zweifel an ihren Absichten. Es ist kurz nach 8 Uhr, in der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank herrscht zu dieser Zeit wenig Betrieb. Ein Kassettenrekorder wird eingeschaltet, durch den Kassenraum dröhnt Musik der „Rolling Stones“. Zur gleichen Zeit parken Unbekannte einen grauen VW 1300 und einen roten, wenige Monate zuvor in Stuttgart gestohlenen Alfa Romeo 1750 Berlina vor den beiden Einfahrten der Polizeidienststelle in der Lauterstraße, um das Ausrücken der Streifenwagen zu verzögern.

Es ist mild an diesem Mittwochmorgen in Kaiserslautern. Nur wenige Meter von der Bank entfernt steht zur gleichen Zeit ein weinroter VW-Bus mit Neunkirchener Kennzeichen im Halteverbot. Polizeiobermeister Herbert Schoner begleitet in diesen Minuten einen Angestellten der pfälzischen Regierungskasse zu Fuß bei einem Geldtransport. Als Schoner den Fahrer ansprechen will, setzt der Bus plötzlich zurück, reißt ein Halteverbotsschild um und fährt dann ein Stück nach vorne und wieder zurück. Als der Polizist zur Wagentür geht, feuert der Fahrer mehrere Schüsse durch das rechte Seitenfenster auf ihn ab. Schwerverletzt schleppt sich der Hundestaffelführer im Polizeibezirk Kaiserslautern zur Eingangstür der Bank, wo er von den hinauseilenden Terroristen erschossen wird. Eine ganze Stadt hält den Atem an, leidet und fühlt mit der 28-jährigen Witwe und den beiden kleinen Kindern, die der Polizist hinterlässt.

Handwerker wollen Ulrike Meinhof gesehen haben

Vier Tage zuvor, am 18. Dezember 1971, meldete sich ein gewisser Michael Schütz aus Düsseldorf bei Architekt Folker Fiebiger. Er suche eine „Appartement-Leerwohnung, Atelierstil, in bester Wohnlage Kaiserslauterns ab sofort“ zu mieten. Am 28. Dezember will der Vermieter den Mietvertrag unterschreiben lassen, doch das Reihenhaus im Almenweg ist zu diesem Zeitpunkt längst verlassen. Die Polizei findet in der konspirativen Wohnung auf einer Packung Schweinskopfsülze mit Ei die Fingerabdrücke von Klaus Jünschke. Garnreste aus der Wohnung sind identisch mit dem Material der Pudelmützen, die die Täter in einem Auto zurückgelassen hatten.

Im Obergeschoss befinden sich drei provisorische Schlafgelegenheiten. Eine Kugel, die Schoner getroffen hat, stammt aus derselben Waffe, die der Terrorist Jan-Carl Raspe bei seiner Festnahme im Juni 1972 benutzen sollte. Weitere Spuren legen den Verdacht nahe, dass wohl auch Ulrike Meinhof, Wolfgang Grundmann und Manfred Grashof in der Wohnung waren. Unter anderem wollen Handwerker Ulrike Meinhof im Haus gesehen haben. Grashof wird 14 Tage zuvor beobachtet, als er in der Buchhandlung Senftleben einen Stadtplan von Kaiserslautern kauft.

Der Terror in der Region ging weiter

An Heiligabend, nur zwei Tage nach der schrecklichen Tat, wird Herbert Schoner in seiner Heimatgemeinde Weilerbach beigesetzt. Rund 1000 Menschen, darunter allein 400 Polizisten, nahmen an der Beerdigung teil. Noch am Grab verspricht der damalige rheinland-pfälzische Innenminister Heinz Schwarz einen besseren Schutz von Polizisten. Zwei Monate vor dem Mord in Kaiserslautern wurde bereits in Hamburg ein Polizist von Mitgliedern der RAF erschossen. Schwarz ist es auch, der als erster einen Zusammenhang zur Baader-Meinhof-Bande herstellt. Erst sehr viel später sollte er in seiner Annahme bestätigt werden.

Denn der Terror ging weiter. Drei Monate nach dem Banküberfall in Kaiserslautern und dem Mord an Herbert Schoner überfallen acht RAF-Terroristen, mit Fasnachtsmasken getarnt, die Filiale der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank am Ludwigsplatz in Ludwigshafen und erbeuten rund 286.000 Mark. Im Mai 1972 explodieren zwei Autobomben der RAF im europäischen Hauptquartier der US-Truppen in Heidelberg, drei US-Soldaten sterben. Dann der nächste Schock: RAF-Sympathisanten besetzen im Februar 1973 das Amtszimmer des Ermittlungsrichters Wolfgang Strack in Kaiserslautern. Am 6. Juli wird vor Stracks Wohnung eine Bombe gefunden, mehrere Richter und deren Angehörige bekommen daraufhin Polizeischutz. Es sind Tage voller Angst.

Im Mai 1975 beginnt der „Stammheim-Prozess“

Am 21. Mai 1975 begann am Oberlandesgericht Stuttgart der „Stammheim-Prozess“ gegen die Anführer der RAF aus der sogenannten ersten Generation. Angeklagt waren Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe. Ihnen wurde Mord in vier Fällen und versuchter Mord in 54 Fällen vorgeworfen. Parallel dazu sollte in Kaiserslautern ein zweiter Baader-Meinhof-Prozess stattfinden. Doch die Barbarossastadt und ihre Justiz waren darauf überhaupt nicht vorbereitet.

Der rheinland-pfälzische Justizminister Otto Theisen intervenierte deshalb beim Generalbundesanwalt, der SPD-Bundestagsabgeordnete Adolf Müller-Emmert sprach besorgt im Bundesjustizministerium vor und sein CDU-Kollege Jürgen Todenhöfer schickte ein Protest-Telegramm nach Bonn. Und in Kaiserslautern verfassten die Richter Stiefenhöfer, Rubel und Heinrich einen neun Seiten langen Antrag an den Bundesgerichtshof (BGH), der das Schlimmste verhindern sollte: nämlich doppelter Aufwand und doppelte Kosten. Alle Bemühungen waren vergebens, das BGH lehnte die „Verfahrensbindung“ ab.

Die Kartoffelhalle am Kniebrech wird zur Festung

Nur wenige Monate später gleicht die Sportanlage am Kniebrech einer Festung. Acht bewegliche Kameras inspizieren das Gelände rund um die Uhr, zwei Stacheldrahtzäune und 300 Polizisten sichern das Gebäude. In der alten Kartoffelhalle, die für 500.000 Mark zu einem Gerichtsgebäude umfunktioniert und für weitere 500.000 Mark polizeilich gesichert wurde, begann am 2. September 1975 der Prozess gegen Klaus Jünschke und seine Mitangeklagten Manfred Grashof und Wolfgang Grundmann. 250 Zeugen und Sachverständige sollten in den folgenden 21 Monaten verhört werden, die Prozesskosten summierten sich auf nahezu 1,3 Millionen Mark. Am 2. Juni 1977 dann das Urteil: lebenslange Haft für Klaus Jünschke und Manfred Grashof, vier Jahre Gefängnis für Wolfgang Grundmann.

Prozessbeobachter sollten später von „richterlicher Souveränität“ berichten. Das Schwurgericht habe den Prozess „mit Augenmaß“ geführt. Adolf Stiefenhöfer, 48 Jahre alt, früherer Amtsrichter in Rockenhausen und danach Richter am Landgericht Kaiserslautern, bereitete sich auf die Verhandlung mit äußerster Akribie vor, tauchte gedanklich in die Welt der Terroristen ein, die sich so gerne selbst als Guerilla-Kämpfer verstanden. Und er studierte die Werke von Theodor Adorno, die der Hauptangeklagte Jünschke als Rechtfertigung für seine Gräueltaten immer wieder anführte. Der Prozess verlief entgegen aller Befürchtungen ohne Zwischenfälle.

Jünschke wurde 1988 begnadigt

Klaus Jünschke, Codename „Spätlese“, wurde 1988 vom rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel begnadigt und aus der Haft entlassen. Zwei Jahre zuvor rief er seine Mitstreiter in einem offenen Brief dazu auf, „den bewaffneten Kampf einzustellen“. Es war die erste Begnadigung eines RAF-Mitglieds in Deutschland. Der 74-Jährige arbeitet heute als Sachbuchautor in Köln. Die ebenfalls nach Ansicht der Ermittler am tödlichen Bankraub beteiligten RAF-Mitglieder Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe richteten sich in ihren Gefängniszellen in Stuttgart-Stammheim selbst. Richter Adolf Stiefenhöfer starb am 17. Juli 2011 im Alter von 82 Jahren.

Die Kartoffelhalle im Jahr 2010. Am 31. Januar 1975 wurde ein ähnliches Foto veröffentlicht. Der Text damals lautete: „In dieser
Die Kartoffelhalle im Jahr 2010. Am 31. Januar 1975 wurde ein ähnliches Foto veröffentlicht. Der Text damals lautete: »In dieser Halle, südlich der Bahnlinie, unweit des PSV-Sportgeländes, soll noch in diesem Jahr der Prozeß gegen drei Mitglieder der Baader-Meinhof-Bande beginnen.«
Polizist Herbert Schoner mit Diensthund.
Polizist Herbert Schoner mit Diensthund.
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