Kaiserslautern Anno 2019 hinter Lotte hechelnd

Fabulierte als Gast der Untiere zum Schieflachen über irrsinnige EU-Verordnungen und Wahnwitz im Kreisverkehr: Thomas Freitag.
Fabulierte als Gast der Untiere zum Schieflachen über irrsinnige EU-Verordnungen und Wahnwitz im Kreisverkehr: Thomas Freitag.

Am Aschermittwoch kam im restlos ausverkauften Edith-Stein-Haus der Freitag. Dieses Paradoxon sollte nicht die einzige Absurdität eines denkwürdigen Abends bleiben. Allerdings hatte das Leitthema der Kabarettisten „Die Untiere“ mit Gaststar Thomas Freitag einen personifizierten Grund. Ansonsten folgten alle dem Puls der Zeit, deckten in weiteren rhetorischen Stilmitteln – wie Oxymoron – Widersprüche, Antinomien und Auswüchse auf.

Selten hat man das kantige Urgestein der Gruppe, Leitwolf Wolfgang Marschall, so in Rage erlebt: mit erhobener Stimme und ebensolchem Zeigefinger auf schmerzende Wunden weisend. Wunden assoziieren semantisch Wunder, und so wirkte das „Wunder von Bern“ mit dem Triumph unter Beteiligung der fünf Spieler aus der legendären „Walter-Elf“ noch nach: in Marschalls Rückblick auf Bundesliga-Schlagerspiele, Meistertitel und Pokalsiege bis zur WM 2006 mit Spielen in Kaiserslautern. Und jetzt? Marschall analysiert wie ein sezierender Gerichtsmediziner in seiner Rage und Emphase; das gipfelte in der bitteren Erkenntnis, man stehe in der Dritten Liga sogar hinter Lotte. Wer hätte das gedacht? Ein Lichtblick hätte vielleicht die kürzlich erfolgte Eheschließung des Oberbürgermeisters sein können. Allerdings auch hier Bitternis, weil die Kabarettisten nicht geladen waren, obwohl sie mit vereinten Kräften und mit der Komposition eines Singspiels (über den heldenhaften Kampf gegen Überschuldung) des OBs enorme Popularität erhöht hätten, sinniert Marschall – und dann so etwas. Zum Thema FCK hatten die Untiere mit Moderator Günther Jauch einen weiteren Prominenten engagiert. Jauch (Philipp Tulius) leitete eine Podiumsdiskussion mit Reiner Calmund, Mario Basler und Lothar Matthäus, Lieferanten vieler Sprüche und Anekdoten, die Tulius als Steilvorlage für treffsichere Pointen nutzte zur brisanten Frage: „Wer oder was hat den FCK zu Fall gebracht?“ Das rhetorische Spiel mit Worthülsen, verbalen Seifenblasen, das Alternieren von Stimmlage, Dialekt und charakteristischer Denkweise gelang Tulius vorzüglich. Was er bietet, ist mittlerweile grandios. Man glaubte die „Expertenrunde“ wahrhaftig vor sich zu haben: Baslers Stammtischparolen, Matthäus’ Selbstverliebtheit, Calmunds verbales Ablenken und Taktieren bewirkten wahre Lachsalven. Dann schlug die große Stunde der Kabarett-Ikone Thomas Freitag. Mit seinem Soloprogramm „Europa, der Kreisverkehr und ein Todesfall“ deckt er den Widerspruch von Kulturnationen auf (etwa Griechenland), die nach dichterischen Meisterwerken eines Homer nun in einem europäischen Konglomerat absurde Verordnungen und Anleitungen verfassten: So in 3000 Seiten über den zulässigen Fluss von Wasser durch einen Duschkopf. Da sei in Erinnerung gerufen, dass Freitag mit dieser Passage hervorragend zu den Untieren passte; Marschall hatte in einem früheren Programm eine EU-Verordnung ausgegraben, die Gebrauch und Beschaffenheit von Schnullerketten regelt. Nach Homers Odyssee nun eine Irrfahrt durch Paragrafendschungel! Freitag schlüpft parodistisch in die Rolle des EU-Bürokraten Peter Rübenbauer und entdeckt ausgerechnet den für Lautern oft geschmähten Irrsinn des Kreisverkehrs wieder, um darin zu verunglücken. Auch listet Freitag unter Hohngelächter Kuriositäten auf: wie die, dass etwa Hundertjährige eine Einschulungsaufforderung bekommen. Die auch von Marschall gestellte, nach christlichen, philosophischen und ideologischen Aspekten untersuchte Frage der Leitkultur greift Freitag im zweiten Teil auf - und zeigt, wie gut diesmal die Programmteile miteinander korrespondieren. Bei Freitag ist die Leitkultur in seinem Sarkasmus eine materialistisch-kapitalistische: Die Gier nach Wachstum sei nicht gegen die Religion gerichtet, sondern sie sei unsere Religion! Und die aufgelisteten Dauerbaustellen wie Berliner Flughafen und Stuttgarter Bahnhof seien nicht nur in dieser Darstellung Ausdruck von Größenwahn, sondern auch ein Fingerzeig auf die Großbaustelle Europa. Immerhin trat zum versöhnlichen Finale Marina Tamássy als Merkel auf, um ihre politische Persönlichkeitsentwicklung hin zu Gelassenheit und buddhistischer Versenkung zu zelebrieren. Vielleicht hilft ja dies dem Patienten „Europa“?

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