Kaiserslautern Baustelle betreten ausdrücklich erlaubt

Zum zehnjährigen Bestehen der Aktion Sonnenschein Westpfalz gibt es nun den Live-Mitschnitt des wunderbaren „Carpe Diem Unerhört“-Konzertes vom 14. September 2012 in der Landstuhler Stadthalle als CD. Gleichzeitig feiert die Band ihr 20-jähriges Bestehen. Die RHEINPFALZ hat in den Silberling mit dem Titel „Baustelle Leben – Mit Behinderungen ist zu rechnen“ reingehört.

Unerhört! In der Tat unerhört gut präsentiert sich die Band der Tagesförderstätte der Reha-Westpfalz auch auf ihrem zweiten Album. Das Betreten dieser „Baustelle“ ist ganz und gar nicht verboten. Im Gegenteil, es ist erwünscht. Gut eine Stunde lang Hörvergnügen versprechen die 13 Titel, die ausnahmslos unter die Haut gehen. Viele Melodien sind Künstlern wie Klaus Hoffmann, Wolfgang Niedecken, Ray Wilson oder Michael Fitz – mit deren Erlaubnis – entliehen, zu denen der Bandleader und Spiritus Rector der Band, Achim Pauli, aber auch Andreas Klotz und Manuel Distler eigene Texte geschrieben haben, die die Situation der behinderten Menschen, ihre Hoffnungen und Träume eindrucksvoll beschreiben. Geschichten wie „Mein Weg“ (Klaus Hoffmann) oder „Kaum zu glauben“ (Michael Fitz) sind Mut-Mach-Lieder, zeigen Menschen mit Beeinträchtigung eine Perspektive, zeigen ihnen, dass es trotz allem ein Licht im Tunnel gibt und das Leben lebenswert sein kann. „Die Tage werden anders sein, mal heller und mal dunkler Schein und nicht mehr so wie früher“, singt Ilona, die mitten im Urlaub von einem Infarkt überrascht wurde und seither schwerstbehindert ist. „Der Neuanfang, der war nicht leicht. Viele Freunde nicht mehr gesehen. Depressionen und viel geweint. Doch aufgegeben habe ich mich nicht“, heißt es schließlich in „Ilonas Lied“. „Nur ’ne Sekunde in der Nacht, nur ’ne Sekunde nicht nachgedacht. Nur ’ne Sekunde ’nen Moment nicht wach“, lautet der Refrain in „Nur eine Sekunde“. Das Motto „Baustelle Leben“ ist natürlich doppeldeutig. „Wir müssen uns wehren“, mahnt Achim Pauli, „wir haben eine Baustelle von Ignoranz, Aggression und sogar rechter Gewalt“. Dazu passt der Song „Kaum zu glauben“ von Michael Fitz: „Möchtest endlich auch ein Wolf sein, harte Hand und fester Tritt. Und schon steigst du auf den Wagen, den der Rattenfänger zieht ... Kaum zu glauben, dass der Wind sich noch mal dreht ... dass die Welt sich rückwärts dreht“. Weit ausgedehnte Intros des fabelhaften Keyboarders Werner Raber erinnern an elektronische Sinustöne von Pink Floyd. Die E-Gitarre von Manuel Distler weint und ergänzt zusammen mit den raffinierten Schlagfolgen des Schlagzeugers und Bluesharpspielers Andreas Klotz die Musik zu einem mitreißenden Tongemälde. Mit musikalischer Feinfühligkeit und emotionaler Direktheit besticht Paulis Gesang. Aber nicht die Profis, sondern die Musiker und Sänger mit Beeinträchtigung sind die eigentlichen Helden der Band. Unter die Haut geht es, wenn Egon Rübel, Otto Korfmann und Steffi Frey, allesamt schwerstbehindert, den Blues „Ach Gott ehr Leit’“ intonieren. Achim Pauli und Marion Aulich verstehen es auf einmalige Weise, diese Menschen in den Vordergrund zu rücken, ihnen Mut zuzusprechen, sie nach gelungenem Vorspiel zu bestärken und zu belobigen. So wie auch Steffi zu ihrem gelungenen Klaviersolo. Das alles zeigt: Auf der „Baustelle“ der „Aktion Sonnenschein“ von „Carpe Diem Unerhört“ verziehen sich die schwarzen Wolken und Sonnenstrahlen dringen durch. Da werden Mauern im Kopf abgebaut. Diese Band ist ein beispielhaftes Projekt für unsere Gesellschaft, in der Behinderte und Nichtbehinderte über Toleranz und Akzeptanz hinaus gemeinsam miteinander harmonieren.

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