Kaiserslautern Burschenherrlichkeit im Pflegeheim

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Eine Uraufführung an zwei Orten: Zeitgleich haben die Theater in Heidelberg und Göttingen Kevin Rittbergers Parabel zum Thema Fremdenfeindlichkeit mit dem Titel „PEAK WHITE oder Wirr sinkt das Volk“ herausgebracht.

Es geht es um demente Burschenschafter, die sich auch im Pflegeheim nicht unbedingt fremdenfreundlich äußern. Man könnte meinen, AfD- und Pegidahetzer wie Frauke Petry, Alexander Gauland und Lutz Bachmann säßen 2040 zusammen und träumten in dementer Zerrissenheit von alten Zeiten. Da braucht es inszenatorische Effekte wie in Göttingen eigentlich nicht. Sinnvoller ist da schon, Stärken des Textes dort heraus zu arbeiten, wo sie vorhanden sind. Dass das funktioniert, hat in Heidelberg mit Kevin Rittbergers inszenatorischem Zugriff zu tun. In der nordbadischen Hochburg des Burschentums widmet sich der Autor selbst dem Text und situiert die Verbindungs-Untoten in einem zeitlosen Niemandsland der Beckett-Klasse. Sie wandeln weiß getüncht durch einen Theatertext, der auch insofern außergewöhnlich ist, als er gleich von zwei Theatern beauftragt wurde und am gleichen Tag zur Uraufführung kam. Einer der Gründe des doppelten Interesses liegt auf der Hand. Göttingen und Heidelberg sind altehrwürdige Universitätsstädte und warten mit einer Vielzahl von Burschenschaften auf. Ausgangspunkt des Abends zum Thema Xenophobie war wohl auch eine Recherche Kevin Rittbergers im Umfeld jener Gesinnungslagen, die 1817 im Wartburgfest ihren Ursprung haben, spätestens in der Weimar Republik aber völkisch national eingefärbt wurden. Er hat sicherlich auch in burschenschaftliche Veranstaltungen rein geschnuppert, sehr viel Aromen scheint er aber nicht wahrgenommen zu haben. Wie sonst wäre zu erklären, dass es im finalen Text kaum noch um die ursprüngliche Idee geht? „PEAK WHITE oder Wirr sinkt das Volk“ startet wie eine gut gebaute schwarze Komödie. Die Insassen im Pflegeheim intonieren Pegida-Parolen und geben fremdenfeindliche Weisheiten von sich. Diesen Erzählstrang übermalt Rittberger aber immer wieder mit allem, was ihm sonst noch in den Sinn kommt. Gleich zu Beginn holt die Altenpflegerin Amsel zu einem Exkurs über das Theater an sich aus. Eigentlich, so Amsel, sei sie ja Schauspielerin, irgendwann aber habe sie all das partizipatorische Theater gehasst, das immer mehr Mode wurde. Als Altenpflegerin dagegen ist sie jetzt ganz in ihrem Element, dumm nur, dass ihr das nichts nützt. Rittberger holt schon zur nächsten Volte aus: Amsel muss das Altenheim verlassen, für sie kommt die elektronische Atlanta. Da sitzen zwar noch die Herren Elsass, Nagel, Lunov, Etsch und es geht nebenbei immer noch um das Thema „Demenz“, plötzlich ist da aber auch die Grundfrage, ob eine auf künstlicher Intelligenz basierende Altenpflege ethisch vertretbar ist. Rittberger überfüttert sein Stück, sortiert dann als Regisseur den Gemischtwarenladen aber erstaunlich gut und kann sich auf ein spielfreudiges Heidelberger Ensemble verlassen. Gespielt wird in einer gipfelweißen Kulisse (Bühne: Marc Bausback), an deren Rückwand klebrig, weiße Masse strömt, während die Inszenierung sich auf den altenpflegerischen Grundton des Stücks und ein stimmiges Altherren-Ensemble (Martin Wißner, Dominik Lindhorst-Apfelthaler, Maria Magdalena Wardzinska, Benedict Fellmer) konzentriert. Das ist zumindest was und steht in Kontrast zur Göttinger Uraufführung, wo Regisseurin Katharina Ramser die Schwächen des Stückes eher unterstreicht, als dass sie einen Mantel des Schweigens über sie breiten würde. Die Inszenierung in der südniedersächsischen Burschenmetropole bietet nicht nur einen elektronischen Fuhrpark für die Heiminsassen. mit dem diese mächtig Betrieb machen, sondern unter anderem auch eine in die Arbeitslosigkeit entschwebende Altenpflegerin Amsel, die in der Höhe des Schnürbodens wie die dereinst beim Führer so beliebte Marika Rökk trällert. Spätestens da dürfte dem letzten Zuschauer klar sein, dass heutige Rechtsnationale irgendwie doch was mit der braunen Ursuppe von damals zu tun haben. Sollte es zu diesem Zeitpunkt immer noch Begriffsstutzige geben, werden die am Ende noch mal bedient. Kevin Rittberger wartet mit einem finalen Salto mortale auf. Plötzlich sind die alten Herren doch keine dementen Burschenschafter, sondern klar denkende V-Männer aus einer Zeit, da der Verfassungsschutz anscheinend ein Sponsor des nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) war. Man nimmt auch das zur Kenntnis und verlässt erschöpft das Theater.

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