Kaiserslautern Die dunkle Wolke wird einfach weggepustet

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Längst ist das Jahres-Abschlusskonzert des Erwin-Ditzner-Twintetts am Vor-Silvesterabend in Schneckenhausen Kult geworden. Mit Virtuosität, Lebensfreude, unverbesserlichem Optimismus und Humor pusteten die Vanecek-Zwillinge und der unvergleichliche Schlagzeuger Erwin Ditzner die dunkle Wolke weg, die sich über das vergangene Jahr gelegt hatte. Die Besucher in der rappelvollen Festhalle waren aus dem Häuschen. Überraschungsgäste waren übrigens auch dabei.

Hier waren wieder drei Künstler am Werk, Virtuosen gar, die sich nicht auf gesunde Schonkost einließen, sondern auf Experimente des Würzens. Leidenschaftslose Gehirnarbeit verabscheuen sie genauso wie akademische Gewissenhaftigkeit. Stattdessen sind rhythmische Impulsivität und Gefühlsemphase ihr Ding. Und dennoch bewiesen die Drei beim Konzert in Schneckenhausen ein Höchstmaß an Disziplin, Koordination und wacher Konzentration. In bester New Orleans-Manier brachten sie das Uhrwerk zum Laufen und das mit einem eleganten Augenzwinkern: Mit einem Funeral-March (zu Deutsch: Begräbnis-Marsch) marschierten sie ein wie New-Orleans-Musiker bei einem Leichenbegängnis. Die Trauer währte aber nur bis zur Bühne. Kaum hatten sie die Bretter betreten, verbündete sich der Teufel Jazz mit der Avantgarde und spielte höllisch auf. Ob „Blue Suede Shoes“, „Birdsong“ oder „Shades of Grey“ – die beiden letzten von Bernhard Vanecek: Roland Vanecek legte nicht nur einen unentwegt pulsenden Bass als Hauptschlagader für die faszinierende Klang-Konstruktion an, er beherrschte seine dicke Tuba so virtuos wie normalerweise Trompeter spielen. Er holte aus dem eigentlich schwerfälligen Instrument Effekte heraus wie Growls, besondere Klangbilder und Klangfarben, die individuell ganz unterschiedliche Assoziationen auslösten. Staccati spuckte er förmlich aus, und das in einem höllischen Tempo, dass man sich fragte, wo der Kerl nur die Luft herholt. Sein urgewaltiger Ton spähte dabei ständig nach Fluchtmöglichkeiten. Im „Kanon“ von Pachebel spielte Roland sogar die Überblastechnik, sodass sein Instrument zweistimmig klang. Und in der ersten Zugabe fühlte sich der Hörer auf dem Bauernhof, wo Kühe zu muhen, Pferde zu wiehern und Hühner zu gackern schienen. Dass Roland auch ein toller Klavierspieler ist, demonstrierte er unter anderem in seinem von ihm geschriebenen Titel „Weesich Sonnet Nr. 1“. Bestechend war sein kraftvoll swingender Stil ebenso wie seine differenzierte Anschlagskultur. Mit derselben lavaähnlichen Power präsentierte sich Bernhard Vanecek an der Posaune: mit einer kraftvoll-treibenden Mischung aus Substanz, Aussagekraft und Schwerelosigkeit. Er beherrschte – wie ein Trompeter – das lupenreine High-Note-Blowing ebenso mühelos wie die grummelnden Down-Growls, die schneidenden Riffs, die peitschenartigen Linien und die akkuraten Phrasierungen sowie die samtweichen, mit und ohne Dämpfer geblasenen Akkorde. Kratzig, wie mit Sandpapier bearbeitet. Bestes Beispiel: „Pussy Wiggle“ von Don Ellis. Hier zeigte sich aber auch, dass die beiden Messinggötter ewige Lausbuben geblieben sind. Das C-Dur-Präludium von Bach verquickten sie mit „Mack The Knife“, bei „Bird“ vernahm man einen Zilpzalp, und im „Kanon“ begleitete Bernhard seinen Zwillingsbruder imaginär mit dem Posaunenzug wie mit einem Geigenbogen. Dann wiederum erinnerten die Tonkonstellationen an Kristallblumen mit Effekten wie in der zeitgenössischen Musik. Beifallsstürme erntete immer wieder Erwin Ditzner, Markenzeichen roter, orientalischer Fes, der sich mit atemberaubend-zirzensischen Kunststückchen auf dem Schlagzeug in einen Rausch spielte. Mehrere fulminante Soli demonstrierten: Er ließ die Bleche und Fellchen nicht nur swingen, sondern auch klingen. Er modellierte echte Noten und schuf handfeste Musik. Seine Elastizität war bestechend. Überraschungsgäste gab es auch noch: Der schelmische Ditzner zauberte drei Kunststoff-Schweinchen aus dem Zylinder und demonstrierte auf ihnen feinst verwirbelte Percussion und afrikanische Polyrhythmik, die den Hörer verzauberten. Fazit: Da gediehen auf nährstoffreichem Humus, durch liebevolle Pflege und ganz ohne künstlichen Dünger Pflänzchen von natürlicher Schönheit. Bio-Musik gleichsam – garantiert ohne Nebenwirkungen. Und auf höchstem Niveau. Begeisterter Beifall. Zwei Zugaben.

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