Kaiserslautern Ein Feindbild der Dutschke-Generation

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Er war einer der umstrittensten Historiker der Nachkriegsgeschichte und zugleich einer ihrer brillantesten Denker. Gestern ist der Geschichtsprofessor Ernst Nolte, der 1986 den Historikerstreit über den Umgang mit der deutschen Vergangenheit auslöste, im Alter von 93 Jahren gestorben.

Die Tageszeitung „taz“ bezeichnete ihn einmal als „zu spätgeborenen Hitlerjungen“, der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki warf ihm vor, Juden mit Ungeziefer verglichen zu haben. Und fragte: „Ist dieser Nolte überhaupt noch zurechnungsfähig?“ Selten hat ein deutscher Historiker so viel Hass und Feindschaft auf sich gezogen. Warum? Der Ursprung dieser Ablehnung gründet in einem Essay, den Ernst Nolte im Juni 1986 in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ veröffentlicht hatte. Titel: „Vergangenheit, die nicht vergehen will“. Der Historiker forderte darin eine Umwälzung der deutschen Erinnerungskultur. „War nicht der ,Klassenmord’ der Bolschewiki das logische und faktische Prius des ,Rassenmords’ der Nationalsozialisten?“, fragte er. Und meinte damit: Waren die sowjetischen Straflager nicht eine Blaupause für Auschwitz, war Hitler nicht eine Reaktion auf Stalin? Mit diesem kausalen Nexus, wie Nolte seine These nannte, löste er den sogenannten Historikerstreit aus, in den sich über Jahre hinweg Geschichtswissenschaftler aus dem In- und Ausland verbissen. Viele Kollegen sahen in Noltes Aussagen den Versuch, den Holocaust zu relativieren. Der Philosoph Jürgen Habermas entpuppte sich dabei als sein schärfster Kritiker, der Nolte für seine „apologetischen Tendenzen“ immer wieder rügte. Dass Martin Heidegger einer von Noltes Lehrern war, galt nicht gerade als Gütesiegel, weil sich der Philosoph aus dem Schwarzwald als Freiburger Unirektor zum Nationalsozialismus bekannt hatte. Nicht nur deshalb umwehte Nolte, diesen hageren Mann mit Haiaugen, immer etwas Reaktionäres. Für die Generation der Dutschkes und Cohn-Bendits war er ein klassisches Feindbild im Talar – und Nolte gefiel das auch irgendwie. Dabei hatte der Sohn eines Volksschullehrers, der 1923 in Witten an der Ruhr geboren worden war, die Bühne der Geschichtswissenschaft mit einem lauten Knall betreten. Mit seinem Werk „Der Faschismus in seiner Epoche“ war er einer der ersten Historiker, der den eigenständigen Charakter dieser Ideologie herausarbeitete und ihn vom Sowjetkommunismus abgrenzte. Damit trug er mit zur Aufarbeitung der deutschen Geschichte bei. Bis zuletzt wurde Nolte von seinen Kollegen als Aussätziger behandelt. Nicht zuletzt, weil er nie von seinen Thesen über den Holocaust abrückte, die inzwischen als widerlegt gelten. Im Ausland fand der Berliner Professor hingegen bis ins hohe Alter Bewunderer – etwa in Italien. Gestern ist der widersprüchliche Denker im Alter von 93 Jahren in Berlin gestorben.

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