Kaiserslautern Eltern und Kinder passen nicht zusammen

91-86364228.jpg

Bei Loriot heißt es: Männer und Frauen passen nicht zusammen. Bei Maren Ade: Eltern und Kinder passen nicht zusammen. Wer das im Hinterkopf behält, erlebt die knapp drei Stunden, die „Toni Erdmann“ dauert, wie einen einzigen langen Sketch, in dem viel Wahrheit steckt. Und viel Humor.

Es ist normal, dass sich die Eltern auf ihre Kinder stürzen, wenn sie sonst nichts mehr im Leben haben. Wie Winfried, der Alt-68er, der sich als Klavierlehrer und Clown durchs Leben schlägt. Die Ehe ging schon vor Jahrzehnten kaputt, aber immer noch besucht er seine Ex-Frau. Dort ist gerade seine Tochter Ines zu Besuch, die ihren Geburtstag einen Tag vorfeiert wegen des Jobs. Nur das zählt für sie. Sie ist Unternehmensberaterin: hübsch, kalt, gefühllos, ihr Lächeln wirkt gespielt. Ein Kotzbrocken. Der überraschte Winfried hat natürlich kein Geschenk dabei und kann kaum mit Ines sprechen, sie telefoniert dauernd. Das ist Ades Variante der Kinder, die dauernd aufs Smartphone starren. Das „Ich besuch’ dich mal in Bukarest“, das Winfried zu Ines sagt, nimmt Ines nicht ernst. Wie sie überhaupt ihren Vater mehr ignoriert als respektiert. Immer diese undankbaren Kinder, denkt Winfried. Immer diese nervtötenden Eltern, denkt Ines. In einer Mischung aus Ehrlichkeit und Unbeherrschtheit verliert Winfried seinen letzten Klavierschüler, denn er sagt seiner Mutter, dass der Junge nicht reif sei für schwere Stücke. Winfried seufzt. Er lebt allein mit seinem alten, grauen Hund. Als der stirbt, ist Winfried am Ende, könnte in eine Depression fallen oder sich dem Suff ergeben, aber er kratzt sein letztes Geld zusammen und fliegt zu seiner Tochter nach Rumänien. Er will Ines aus der Reserve locken. In seiner Clownsmaske mit den schiefen Zähnen und der schwarzen Langhaarperücke geht er in ihr Büro. Natürlich erkennt Ines ihn sofort, beachtet ihn jedoch nicht, weil sie sich schämt. So wie sich Kinder immer für Eltern schämen, die im falschen Moment im falschen Outfit auftauchen und das Falsche sagen. Natürlich spricht sie später doch mit ihm und nimmt ihn sogar mit zu einem Empfang – allerdings mehr aus Verzweiflung. Dort beeindruckt Winfried Ines’ Geschäftspartner mit Small Talk und seiner Lockerheit: Er habe sich eine Ersatztochter engagiert, weil Ines nie zu Hause sei, sagt er so nebenbei – und alle bewundern ihn. Diese erste halbe Stunde des Films führt die Hauptpersonen gut ein und macht den Zuschauer mit Ades Subtilitätenkabinett bekannt. Das ist wie bei Loriot, nicht nur wegen Winfrieds Maske, die ihn per se schon wie eine Loriot-Figur aussehen lässt. Es kommt auf jedes absurde Detail an. Man könnte permanent kichern. Das gilt auch für Ines, den Kontrollfreak in Perfektion – selbst beim Sex. Für einen deutschen Film ist das eine große Portion intellektueller Humor, den man nicht erwartet. Deshalb wurde der Film beim Festival von Cannes von Kritikerin und Filmschaffenden aus aller Welt (in Cannes gibt es keine normalen Zuschauer) so stürmisch gefeiert. Eine ungewöhnliche Vater-Tochter-Beziehung, eine Eltern-Kind-Beziehung, eine Frauenstudie, eine Männerstudie, ein Kommentar zu Wirtschafts- und Sozialthemen (Ines schlägt den Unternehmen vor, Leute zu entlassen, um Kosten zu sparen) und zur Politik (das EU-Land Rumänien kommt in deutschen Filmen bislang kaum vor) – all das steckt in diesem langen Film, der damit alle Klischees über den deutschen Film bricht. Mal gibt sich Winfried als Freund von Ion Tiriac aus, mal als deutscher Botschafter und Ines als seine Sekretärin. Ines spielt mit, weil sie insgeheim über die wunderschönen Späße doch lacht. Langsam verändert sie sich: Bei einer Party schmettert die Businessfrau aus vollem Hals Whitney Houstons „The Greatest Love of All“. Und auf ihrer Geburtstagsparty, zu der sie die Kollegen aus der Firma eingeladen hat, beschließt sie spontan, die Besucher an der Tür nackt zu empfangen – und verlangt auch von ihnen, dass sie ihre Hüllen fallen lassen. Was in jedem anderen Film wohl peinlich oder blöd wäre, ist bei Ade komisch und liebevoll. In den vergangenen 20 Jahren hat es in Deutschland kein Filmregisseur geschafft, Familienprobleme so humorvoll auf den Punkt zu bringen, dass man sich als Zuschauer mitunter sogar ertappt fühlt. Das Meisterwerk gelang nicht zuletzt deshalb, weil die gebürtige Karlsruherin sich den Luxus leisten konnte, sieben Jahre an dem Film zu feilen. Sie drehte 120 Stunden Material, drei sind übriggeblieben. Vor allem aber hat sie zwei grandiose Hauptdarsteller: Sandra Hüller als Ines wächst einmal mehr über sich hinaus, und der im Kino sonst nur Nebenrollen spielende 70-jährige Österreicher Peter Simonischek hat als Winfried endlich den verdienten Durchbruch.

x