Kaiserslautern Erschreckend zeitlos

Auf der Treppe: Schauspieldirektor Harald Demmer (am Mikrofon) feierte die Mannschaft, die Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“
Auf der Treppe: Schauspieldirektor Harald Demmer (am Mikrofon) feierte die Mannschaft, die Brechts »Der gute Mensch von Sezuan« auf die Bühne brachte.

Ist moralisch gutes Handeln in unserer Gesellschaft, die an die niedrigsten Triebe appelliert, überhaupt möglich? In zugespitzter Form stellt sich diese Frage in Bertolt Brechts Parabelstück „Der gute Mensch von Sezuan“, das am Samstagabend im Pfalztheater Premiere feierte. Die RHEINPFALZ wollte wissen, welchen Anklang die Inszenierung von Jan Langenheim beim Publikum fand.

Der fünf Minuten lange Schlussapplaus sprach eigentlich schon Bände. Mehrmals forderten die Zuschauer die Schauspieler mit Klatschen und begeisterten Rufen und Pfiffen auf die Bühne. Und das nach einem Halb-Marathon von drei Stunden. In diesen euphorischen Ton stimmte auch Marion Schulz-Reese, Vorstandsmitglied bei den „Freunden des Pfalztheaters“, ein. Total begeistert war sie von der Inszenierung. „Ein Brecht, bei dem nicht permanent der Zeigefinger gehoben wurde“, meinte sie, „und gleichzeitig die Moral bestens herausgearbeitet wurde.“ Völlig überzeugt zeigte sie sich sowohl von dem Bühnenbild als auch von den großartigen, farbenprächtigen Kostümen. „Und ein ganz dickes Lob an alle Schauspieler, die teils in Doppel- und Dreifach-Rollen unglaubliche Wandlungsfähigkeit bewiesen und Spielfreude rübergebracht haben. Ich hätte noch lange zuschauen mögen, so kurzweilig war die Vorstellung.“

Weite Anfahrt nicht bereut

Dieter Rombach

, Vorstandsvorsitzender Science Alliance, war überzeugt, dass das Brecht-Stück „zu den drei Highlights des Jahres im Pfalztheater zählt“. „Der Gute Mensch“ findet er eh als eines der schönsten Stücke überhaupt, „Brecht hat mich schon immer fasziniert. Die Frage, wie kann ich meine Prinzipien, meine Werte auch im Erfolg wahren, ist aktueller denn je.“ Eine erstaunlich gute Leistung fand er, dass die Schauspieler über drei Stunden lang ihr Niveau gehalten hätten. „Das war gut gemacht. Aber auch Zwischentöne wurden herausgearbeitet“, konstatierte Rombach. „Verletzt liegt da einer auf dem Boden, und keiner will`s bezeugen.“ Corinna Zürcher, Osteopathin, und Martin Böttcher, Architekt, waren eigens aus Frankfurt/Main angereist, um sich den Brecht anzuschauen. Und sie bereuten die weite Anfahrt nicht. „Großartige Inszenierung, opulentes Bühnenbild, fantastische Kostüme. Einfach toll!“ Fasziniert waren sie vor allem davon, wie Anja Jungheinrich (Bühne und Kostüme) das Stück auf die japanische Mangakultur, den japanischen Begriff für Comics, übertragen habe. Die Charaktere allerdings fanden sie überzeichnet, und von der schauspielerischen Leistung waren sie nicht zu hundert Prozent überzeugt. Außer dem Wasserverkäufer und den drei Göttern. Die fanden sie ausgezeichnet.

"Endlich wieder Brecht"

Froh, dass endlich mal wieder episches Theater gespielt wurde, darüber zeigte sich Peter Schniz. „Endlich wieder Brecht“, sagte er. Die Frage nach Gut und Böse sei eine wichtige Sinnfrage, aber das rein Gute und das rein Böse gebe es nicht. Das habe die Inszenierung ganz klar gezeigt, von der er meinte, sie hätte ein wenig gestrafft werden können. Seine Frau Sylvia Schniz war ganz begeistert von der Inszenierung und zeigte sich erschüttert von der Machtlosigkeit der Götter. Begeistert von den Maskenfiguren aus der japanischen Mangakultur zeigte sich auch Jürgen Zubiller, Mitglied im Vorstand des Japanischen Gartens. Den „Mensch von Sezuan“ habe er schon vor 47 Jahren, damals noch im alten Pfalztheater gesehen, erinnerte er sich. Damals habe er in der 10. Klasse Realschule ein Referat darüber gehalten. Die aktuelle Inszenierung fand er auf jeden Fall geglückter.

Grundwerte der Gesellschaft in Frage gestellt

Den Mittelweg zwischen dem schulmeisterlichen, belehrenden Brecht und dem Unterhaltsamen fand Arne Oeckinghaus, ehemaliger Bürgermeister und Kulturdezernent der Stadt, „einigermaßen geglückt“. „Anfangs war ich ein bisschen skeptisch, aber dann war es doch ganz unterhaltsam.“ Der Gesang sei allerdings nicht leicht zu verstehen gewesen. Dass die Regie nicht überzogen modernisiert habe, fand er in Ordnung. „Insofern war ich zufrieden.“ Erschreckend zeitlos fand das Stück Doris Koch, Buchhändlerin aus Ramstein. „Die Menschheit hat sich überhaupt nicht geändert“, machte sie ihrem Herzen Luft. „Die Inszenierung zeigt ja die Menschen wie unter einem Brennglas. Das ist ja erschreckend!“ Was seien die Grundwerte unserer Gesellschaft? Gebe es darüber noch einen allgemeingültigen Konsens? An diese Frage knüpfte auch Schauspieldirektor Harald Demmer an: „Als am Wahlabend bekannt wurde, dass die Partei AfD mit 12,6 Prozent der Stimmen in den Bundestag gewahlt wurde, klingelten bei uns die Ohren“, sagte er. Etwas verändere sich zum Unguten in unserer Gesellschaft. Es werde wieder lauter, es werde wieder fanatischer in den Diskussionen der Politik, auf der Straße, im Netz. „Dabei erblühen wir doch gerade durch das Miteinander verschiedener Herkunft, Sprachen, Ideen und Gewohnheiten“, sagte er. Gerade das Theater sei ein Ort gesellschaftlichen Diskurses und müsse sich da einmischen.

x