Kaiserslautern Früherer Pfalztheater-Liebling Peter Nüesch wird 75

75 und kein bisschen alt: Multitalent Peter Nüesch.
75 und kein bisschen alt: Multitalent Peter Nüesch.

Der Schauspieler, Regisseur, Intendant, Autor und auch ansonsten von den Musen reich gesegnete Peter Nüesch ist ein Phänomen. Obwohl sein Engagement am Pfalztheater Kaiserslautern noch ins vorige Jahrhundert fällt, hat er von seinem Nimbus als Liebling des hiesigen Publikums keinen Deut eingebüßt. Am kommenden Montag wird er 75 Jahre alt.

Ein Künstler mit Talent für Komik wird hierzulande erst gewürdigt, wenn er auch im ernsten Fach überzeugen kann. Von Wilhelm Busch über Ringelnatz und Morgenstern bis Hans Moser, Heinz Erhardt und Loriot gilt: Die Deutschen nehmen sich gegenseitig nur ernst, sofern sie ernsthaft und gravitätisch daherkommen. Das gilt für humoristische Literaten und bildende Künstler ebenso wie für komische Schauspieler und Komödienregisseure.

Deshalb eine ernsthafte, ergo wichtige Feststellung vorweg: Der im St. Galler Rheintal geborene Bauernsohn Peter Nüesch - vereidigter Siegelbewahrer des Komischen - ist von Haus aus Lehrer! Er unterrichtete in einem Töchterheim für schwer erziehbare Mädchen und vertauschte erst als Mittzwanziger den Klassensaal mit der Schauspielschule.

Komödiant von hohen Gnaden

Nach einem Chef-Testlauf in Zürich leitete er ein eigenes Theater in Regensburg, war Intendant des Theaters an der Rott in Eggenfelden und übernahm schließlich 2007 die Direktion der Burgfestspiele im rheinland-pfälzischen Mayen. Dort hat er neben vielen anderen Rollen den sterbenden Nabob „Jedermann“ gespielt, der sich im Angesicht des Todes selbst in Frage stellt. Ernster geht’s also nicht.

Oder doch? Mit Zuckmayers „Hauptmann von Köpenick“ führte Nüesch in Personalunion als Regisseur und Titelheld höchst anschaulich vor, wie die Grenzen zwischen kommisköpfiger Seriosität und absurd-infantiler Anarchie aufbrechen, wie Pfiffigkeit sich über Pickelhauben-Patriotismus erhebt, wie Lebensangst und Lächerlichkeit zerfließen.

„Burgschauspieler“ in Kaiserslautern und Mayen

Peter Nüesch hat in Mayen mehrfach Molière gespielt und inszeniert, war in Kaiserslautern der vom Neid zerfressene Komponisten-Rivale von Shaffers „Amadeus“. Wo immer er sich gerade aufhielt, brachte er den „Kontrabass“ seines Jahrgangsgenossen Patrick Süskind auf die Bühne: den melancholischen Monolog eines unglücklich verliebten Orchestermusikers, der übers Leben und die Menschheit und die Musik und die Welt räsoniert. Ein unverwüstlich zeitloses Stück, durch Nüesch ein Kabinettstück erlesenen Komödiantentums von höchsten Gnaden.

Zum ersten Mal habe ich ihn im Kino gesehen, im unsäglichen Blut-, Sex- und Krimi-Reißer „Jack the Ripper, der Dirnenmörder von London“, in dem er neben Klaus Kinski und mit einer fremden Synchronstimme einen Londoner Polizeidiener spielte. Schwamm drüber. Dann nahm ich im Herbst 1983 im Pfalztheater die Arbeit eines Bekannten aus Karlsruhe in Augenschein: Matias Bleckman inszenierte das Musical „Fantasticks“. Der eben erst an die Lauter gewechselte Peter Nüesch gab den anreißerischen, sprach- und stimmgewaltigen Chef einer Schmierentruppe.

Glückliches Händchen am Regiepult

Er kann sich heute kaum noch an diese Rolle erinnern. Ich aber war ver- und bezaubert und von Stund’ an ein Peter-Nüesch-Fan. Ohne lange nachzudenken, kommen mir die unterschiedlichsten Rollen und Rollenfächer an verschiedenen Bühnen in Erinnerung: der Sohn aus gutem Hause in Edward Bonds „Sommer“, der allürenhafte König im „Ritter Blaubart“ von Offenbach, der Derwisch im „Nathan“, der Zettel im „Sommernachtstraum“, der Herodes in „Jesus Christ Superstar“, der jüdische Obst-Importeur in „Cabaret“, der greise Abbé in Andy Kuntz’ Musical-Fassung des „Grafen von Monte Christo“, der theaterbegeisterte Streifenpolizist in „Arsen und Spitzenhäubchen“.

Nicht zu vergessen der zwetschgenschnapsselige Gefängniswärter Frosch in der „Fledermaus“. Als Regisseur brachte er mit Peter Turrinis weihnachtlicher Einsamkeits-Elegie „Josef und Maria“ das zeitgenössische Volkstheater nach Kaiserslautern. Sogar „Pfälzers Höllen- und Himmelfahrt“ von Paul Münch war bei dem singenden und tanzenden Ostschweizer in unerwartet guten Händen.

Krönung einer Komikerkarriere

In „Warten auf Godot“ - dem von Beckett ersonnenen Welttheater um zwei Tippelbrüder im Geiste Laurels & Hardys - gab er 1986 am Pfalztheater unter der Regie von Götz Burger den Wladimir (seinen landstreichenden Kumpan Estragon spielte Ekkehard Halke). Erst kürzlich war er in Regensburg als einer der beiden alternden Komödianten in den „Sunny Boys“ von Neil Simon zu erleben (der andere war Werner Steinmassl). Für Nüesch ist diese Figur „die Krönung einer Komikerkarriere“.

Vom Mayener Intendatenposten ist er 2017 zurückgetreten, der Burgbühne blieb er treu. Erst im Vorjahr nahm er offiziell Abschied, der dem Zirkuspferd nicht leicht gefallen sein dürfte. Und soeben ließ er per Handynachricht wissen: „Ich habe wunderbare Freunde und ein erfülltes, wunderbares Leben hinter mir. Jetzt stürzen wir uns auf das, was noch vor uns liegt.“ − Klingt das ein bisschen ernst? Nach traurigem Clown? Keinesfalls. Aber Komik schließt Nachdenklichkeit und Intellekt ja nicht aus. Der liebe Gott segne das beglückte Lachen und die weisen Spaßmacher. Sie tun uns allen wohl.

2004 als Regisseur hinter den Kulissen des Pfalztheaters.
2004 als Regisseur hinter den Kulissen des Pfalztheaters.
Süskinds „Kontrabass“ begleitet ihn sein Künstlerleben lang.
Süskinds »Kontrabass« begleitet ihn sein Künstlerleben lang.
Peter Nüesch, der inzwischen in der Eifel lebt, vollendet heute sein 75. Lebensjahr.
Peter Nüesch, der inzwischen in der Eifel lebt, vollendet heute sein 75. Lebensjahr.
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