Kaiserslautern Gemütliche Bücherwände und die große Bühne

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Es war ein turbulentes (Kultur)wochenende in der Stadt zwischen Premiere und Preisverleihung (Pfalztheater), Abschieds- (Kammgarn), Jubiläums- (Kreuzsteinhalle und SWR), Kirchen- (unter anderem Stiftskirche) und Museumskonzerten (Pfalzgalerie und Zink-Museum). Entsprechend platzte der Terminkalender aus allen Nähten. Eine Hochkaräterin im Programm war dabei die Autorin und Journalistin Elke Heidenreich, die gleich zwei Abende in der Barbarossastadt bestritt: den Samstagabend in der Buchhandling Thalia und den frühen Sonntagabend in der Fruchthalle. Einmal brachte sie ihren (Bühnen)partner Marc-Aurel Floros mit und in die Fruchthalle dann zusätzlich das Kammermusiktrio Vivente. Dabei stellte Heidenreich ihre Wandlungsfähigkeit unter Beweis.

Einen rundrum gelungenen Leseabend darf man dem Duo Heidenreich/Floros bei Thalia bescheinigen. Aus ihrem aktuellen Band „Alles kein Zufall“ las die Autorin, bestens gestimmt trotz der Nachwirkungen eines grippalen Infekts, mit denen sie sichtlich kämpfte. Doch davon lässt sich eine Heidenreich nicht beeindrucken: Mit viel Temperament, ihrer bekannten Schlagfertigkeit und enormer Nahbarkeit begegnet sie dem Publikum und liest, nein: lebt ihre Erzählungen aus dem wahren Leben. Dabei halten sich Komik und Tragik die Waage. Nicht selten blitzt – wie in der Geschichte über die 80-jährige Mutter, die nur allzu gerne anruft und das doch nicht soll – hinter dem Witz Melancholie hervor und gleichzeitig eine gelassene Weisheit, die in Humor verpackt, was am Ende doch schwer zu ertragen ist. Dabei beeindruckt, wie bild- und aussagekräftig diese autobiographisch geprägten Miniaturen oftmals sind und wie Heidenreich diese mit Pointen veredelt. Der Heidenreichschen Leselust stellt ihr Lebens- und Bühnenpartner, der Komponist Marc-Aurel Floros, einen musikalischen Kontrapunkt gegenüber, der in seiner Spielfreude ebenbürtig ist. Nicht selten kommentiert Floros auf dem Klavier direkt die Texte, die Heidenreich spontan aussucht: Nach der Geschichte von der Liebe zu drei Brüdern spielt er augenzwinkernd den „Hochzeitsmarsch“, was wiederum Heidenreich zum Ausruf „Du bist ja verrückt!“ verleitet. Oder er kommentiert die Story vom Krimi-Autorinnen-Treffen mit dem Schlager „Ohne Krimi geht die Mini nie ins Bett“. Dann wieder spielt er das „Rosenlied“ aus Carmen, wo es vorher textlich um Rosen ging, die Schmonzette „As Time Goes By“ nach der Episode um den Alterungsprozess eines Rocksängers, daraufhin Heidenreich entgeistert: „Du ziehst das jetzt durch, oder?“ Dabei beweist sich Floros als stilistischer Tausendsassa, der zwar nicht mit übergroßer spielerischer Eleganz, dafür aber mit kreativem Mutwillen auftrumpft. Am Ende ist es genau dieses humorige Interplay, dieses lückenlose Sichverstehen, das diese Sternstunde im Lesungsprogramm bei Thalia ausmacht. Wie sich Autorin und Musiker künstlerisch necken, macht deutlich: Da haben sich zwei gefunden. Szenenwechsel: Statt heimeliger Bücherwände tags drauf die festliche Fruchthalle, statt familiärer Leseatmosphäre die große Bühne. Doch erneut gelingt es der Autorin, das Publikum mit Geschichten zu bannen. Diesmal allerdings gründen sie nicht auf Alltagsbeobachtungen, sondern auf Biographien: denen Clara und Robert Schumanns sowie Johannes Brahms’. Bekanntermaßen verband sie eine intensive Freundschaft – wie intensiv, liegt bis heute im Dunkeln. Heidenreich schildert ergreifend das Schicksal des Trios: Clara Schumann, die praktisch am Fließband Kinder gebar und daneben ihre Karriere als Pianistin weiterverfolgen musste (finanzielle Gründe), ihr Gatte Robert, der unter – heute würde man sagen – bipolarer Störung litt und sich neben Schaffensschüben in dunkelster Umnachtung und mit aller Macht ertränken wollte, und nicht zuletzt der nur halb so alte Brahms, ein Riesentalent, der die Schumanns verehrte und ganz handfest nach Roberts Tod im Haushalt aushalf. All diese Geschichten beschwören den Menschen hinter der Künstlerfassade herauf. Sie machen damit auch neugierig auf ihre Musik. Ein Zugang, der gerade im nicht einfachen Klassiksektor immens hilft, Publikum zu generieren. So war man auch in der Fruchthalle gespannt auf die Musik der Komponisten, interpretiert vom Trio Vivente. Und wie dieses an Clara Schumanns g-moll-Trio op. 17 und Brahms’ C-Dur-Trio op. 87 heranging, war nicht minder spannend. Vor allem lebendig im dichten Zusammenklang ließen sich die fünf Schumannschen Sätze vernehmen, engagiert herausgearbeitet die Themen und das romantische Klangwallen. Dass die Komponistin selbst über ihr Trio schrieb, es bleibe „immer Frauenarbeit, bei der es hie und da an Kraft und Erfindung mangelt“, wirft eher ein Licht auf die Rolle der Frau in ihrer Zeit, als auf die Faktur des Werkes. Auch das Brahms-Trio lebte von den Qualitäten einer lebhaften, konzentrierten Interpretation, die die lyrischen ebenso wie die kantigen, ruppigen Züge des schwierigen Stücks herausarbeitete, das gerne als Umschreibung der Schatten- und Lichtseiten der menschlichen Natur gedeutet wird. Insgesamt überwogen moderate Tempi, auch in den schnellen Ecksätzen, und dafür eine sehr dichte, gefühlstiefe Ausarbeitung. Neben diesen Werken der Romantik stand die Uraufführung einer Auftragskomposition der Stadt im Zentrum der Aufmerksamkeit: „Eismeer“ betitelt Marc-Aurel Floros sein Stück, das inhaltlich programmatische Dimensionen erreicht und von Heidenreich vorab in Zusammenhang mit Schumanns letzten Monaten in einer Nervenheilanstalt gestellt wurde – ein „Zwangsjackendasein im Eismeer“, so die Autorin. Und tatsächlich vermeint man neben lautmalerischen Beschreibungen arktischer Kälte – etwa in zartem Geigenflirren und scharfsplittrigen Akkordblöcken – auch eine Zustandsbeschreibung der Schumannschen „Kopfangegriffenheit“ herauszuhören, so plastisch lädt Floros sein Klaviertrio auf. Dabei verlässt er den sicheren Boden der romantischen Klangsprache nicht und führt seine Themen und Harmonien behutsam in die Moderne. Es entsteht ein tonales, hörerfreundliches Idiom von großer Suggestivkraft; der zweite der fünf Abschnitte atmet sogar eine impressionistisch getönte Klangmagie. Fügt sich das Werk bestens in den Gesamtzusammenhang des Abends, so ergibt dieser wiederum das schlüssige Bild dreier Künstler, die einmal nicht museal überhöht, sondern in ihrer Menschlichkeit erfasst werden. Ein spannender Zugang! Buch-Tipp Elke Heidenreich: Alles kein Zufall – kurze Geschichten, Hanser-Verlag 2016, im Buchhandel erhältlich als gebundenes und als Hör-Buch (je 19.99 Euro) sowie als E-Book (15.99 Euro).

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