Kaiserslautern Hart dran am Lebensdreck

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Er wird der Grandseigneur des deutschen Indierock genannt: Phillip Boa alias Ernst Ulrich Figgen. Der 53-jährige Sänger und Gitarrist aus Dortmund zählt zu den wenigen deutschen Musikern, die auch international Anerkennung finden. So arbeitete er nicht nur mit Bowie-Produzent Tony Visconti, sondern auch mit Mitgliedern von Faith No More und Slayer. Auf seinem mittlerweile 21. Studioalbum „Blank Expression“ singt er gegen Oberflächlichkeit an und musiziert zwischen entfesseltem Indiepop und avantgardistischem Rock. Am Samstagabend gastiert er im Kulturzentrum Kammgarn. RHEINPFALZ-Mitarbeiter Olaf Neumann fühlte dem unbarmherzigen Kämpfer für das Wahre, Schöne und Gute auf den Zahn.

Das Album „Blank Expression“ markiert Ihre Rückkehr zum Universal-Konzern. Ist das ein Gefühl, als käme man nach langer Zeit zurück nach Hause?

Die Songs sind dort seit 25 Jahren zuhause, mein Katalog wird für immer bei Universal bleiben. Das ist auch der Grund, weshalb ich jetzt wieder mit ihnen zusammenarbeite. Sie hatten Interesse daran, eine Werkschau zu erstellen. Sie ist viel schöner geworden, als ich dachte. Sie kamen zu Universal, als Tim Renner Chef war. Was ist heute anders an der Zusammenarbeit mit diesem Konzern? Tim Renner hat mich auch rausgeworfen. 1998 gab es von der Konzernzentrale die Order, weltweit 500 Bands runterzuhandeln oder rauszuwerfen. Ich habe mich für den Rauswurf entschieden, weil mein Stolz verletzt war. Jetzt schreiben wir 2016. In der Zwischenzeit haben wir immer wieder mal mit Universal zusammengearbeitet, wenn wir Alben remastert haben. Da sitzt jetzt eine neue Generation, von der ich keinen mehr kannte. Die wurden immer netter und aufgeschlossener. Obwohl meine Ideen ein bisschen irreal sind, hat Universal sich immer mehr drauf eingelassen. Das wird jedes Jahr besser. Und jetzt haben wir mal etwas Großes zusammen gemacht. Unter dem Musikern in Deutschland haben Sie wahrscheinlich die meisten Plattenfirmen verschlissen. Wie kommt das? Ich verschleiße die Plattenfirmen ähnlich wie Mark E. Smith von The Fall, weil ich keine Kompromisse eingehe. Ich möchte einfach meine Linie durchsetzen, und ich mochte keine Promo machen vor Veröffentlichung des Albums. Auch David Bowie hat das so gehalten, und das ist für mich der Weg. Da musst du erstmal eine Plattenfirma finden, die dich danach nicht rauswirft. Wenn man meine Songs kommerziell mixen oder fremdproduzieren ließ, um daraus Mainstream-Singles zu machen, gab es früher immer eine Menge Ärger. Ich möchte nicht ins TV und am besten auch nicht im Radio gespielt werden. Mit solchen Dingen bringe ich Plattenfirmen zum Verzweifeln. Ich habe seit fünf Jahren keinen Radiopromoter mehr, weil das zwecklos ist. Meine Songs sind zu individuell fürs Mainstreamradio. „Container Love“ war damals in England kurz davor, ein Hit zu werden. Aber man wollte einfach den traurigen Anfang wegschneiden und ich sagte: Nur über meine Leiche! Da war die Karriere zerstört. Ich will einfach das tun, was ich für richtig halte. Wenn ich das überhaupt nicht mehr durchsetzen kann, würde ich sofort mit der Musik aufhören. Wo ziehen Sie eine Grenze? Joachim Witt war im Promi-Big-Brother-Haus. Haben Sie ähnliche Angebote bekommen? Keine Ahnung, warum der darauf eingegangen ist. Ich will keinen anderen Künstler schlecht machen, aber sowas kann man machen, wenn man 21 ist. Ich wurde auch gefragt, aber es ging dabei nicht um solche schlimmen Dinge. Ich lehne fast alle Angebote ab, die vom Fernsehen kommen. Johnny Rotten hat auch schon beim Dschungelcamp mitgewirkt, aber er stammt aus der Arbeiterklasse, was ihn von vielen anderen Künstlern unterscheidet. Er steht dazu. Außerdem kann er machen, was er will, er macht das nur, um die Leute anzupinkeln. Das respektiere ich. Und mit dem Geld vom Fernsehen kann er dann wieder eine P.i.L.-Platte finanzieren. Musiker wie er und ich können nicht auf Laptops arbeiten. Wenn man ein Album richtig macht, kostet das eine sechsstellige Summe. War Ihre neue Platte auch so teuer? Das neue Album war etwas günstiger, aber die zwei davor waren sechsstellig. Das spielt man nicht mehr ein, die Verkaufszahlen sehen heute ein bisschen anders aus als früher. Ich gebe so viel Geld aus, weil ich meine Arbeit liebe. Ich bin davon überzeugt, dass es nur so wirklich gut wird. Klar könnte man das auch anders machen, aber für mich käme das nicht mehr infrage. „Blank Expression“ ist eine etwas eigentümliche Mischung aus Best-Of und einem neuen Studioalbum unter dem Titel „Fresco“. Wessen Idee war das? Es war meine Idee. Ich bezeichne „Fresco“ nicht als wirklich neues Album. Das sind zwölf neue Songs, die parallel zu der Archivarbeit entstanden sind. Diese Songs habe ich vollkommen ohne Druck geschrieben und sie wurden immer besser und immer mehr. Ich wollte sie dann auch veröffentlichen und damit nicht zwei Jahre warten. Das hat Universal gerne getan. „Fresco“ ist das italienische Wort für frisch. Worauf ist das gemünzt? Dahinter steckt nichts Intellektuelles. Ich wurde aufgefordert, innerhalb kürzester Zeit einen Übertitel für diese zwölf neuen Songs zu liefern. Das gefiel mir ganz und gar nicht. Das erste, was aus meinem Unterbewusstsein hoch kam, war „Fresco“. Ich kann nicht erklären, was dahinter steckt, aber es klang ok. Manchmal erwache ich mitten in der Nacht aus einem Traum und schreibe ihn sofort auf. Reagieren Sie mit Ihren Songs auf aktuelle Ereignisse? Ich bin kein politischer Songschreiber, bei mir passiert das eher indirekt. Ich würde nie über aktuelle Vorgänge schreiben. Vor allem, weil ich die Maxime habe, dass meine Songs in 20 Jahren noch aktuell klingen sollen. Wie kam es zu dem Song „Death Is A Woman“? Das ist eine wahre Geschichte, sie passierte mir vor 20 Jahren in einem Hamburger Hotel. Ich kam zu spät, und jemand hatte das Fenster aufgelassen, so dass das Zimmer voller Mücken war. Sie machten mich wahninnig, aber da ich kein anderes Zimmer bekommen konnte, verbrachte ich die Nacht damit, diese Mücken zu zerstören. Als ich um sieben zum Frühstück runterkam, saß am Nebentisch Charles Bronson. In dem Augenblick kam ich mir vor wie ein Serienkiller, der 2000 Moskitos getötet hat. Und dann sitzt neben dir Charles Bronson und entpuppt sich als das Gegenteil von seinem Image: nämlich als total lieb. Und in meinem Song ist Charles Bronson halt eine Frau. In den späten 70ern und frühen 80ern herrschte allerorten eine musikalische und künstlerische Aufbruchstimmung. Was ist davon übrig geblieben? Also, ich finde es heute immer noch genauso aufregend wie 1985. Die Bewegung davor hieß ja Neue Deutsche Welle, und die war ganz schnell kaputt. Aus diesen Trümmern sind ein paar Bands entstanden, dazu gehöre zum Beispiel ich mit meinem Voodooclub. Wir waren stark beeinflusst vom britischen Postpunk. Meine Vorbilder waren Bands wie XTC und Talking Heads. Ich war damals wirklich in Aufbruchstimmung, und überraschenderweise hat es auch geklappt. Aber es gibt auch heute noch coole Bands, die so ein Gefühl haben und nach Berlin gehen. Verlangen Sie jetzt aber keine Namen von mir. Mit „Container Love“ oder „This is Michael“ hatten Sie passable Hits, arbeiteten mit dem Produzenten von David Bowie und verkauften in 30 Jahren rund zwei Millionen Tonträger. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf Ihre bisherige Karriere zurück? Mit extrem guten. Das einzig Negative ist meine persönliche Krise in den Nullerjahren gewesen. Ich bereue nichts – bis auf meine Anflüge von Arroganz, die ich heute als Dummheit bezeichne. Ich bin stolz auf das Erreichte, ich habe 400 Songs geschrieben, und wie man sieht, sterben die nicht aus. Die Mixer, die damals für mich gearbeitet haben, sind noch immer am Start, siehe Tony Visconti. Wir haben immer so gearbeitet wie die großen internationalen Acts. Sie sind bis heute der einzige deutsche Musiker, der jemals von dem Bowie-Intimus Tony Visconti produziert wurde. Würden Sie diese Zusammenarbeit gerne fortsetzen? Es gab immer wieder mal Annäherungsversuche, aber er ist einfach total ausgebucht. Visconti ist sehr fit, er kann noch ewig arbeiten. Ich will das nicht ausschließen, es ist ein kleiner Traum von mir. David Bowie ist der Künstler gewesen, den ich am meisten respektiere. Sein Tod machte mich wirklich traurig, aber ich hatte es geahnt, weil die Texte auf seinem letzten Album darauf hindeuteten. Kann man so jemandem wie Tony Visconti Anweisungen geben oder ist er im Studio der Boss? Tony ist ein Produzent, der darauf wartet, dass ein Künstler ihm etwas anbietet. Viele gehen ins Studio und denken, der Produzent macht schon alles. Das ist aber grundsätzlich falsch, das muss von der Band kommen. Der Produzent muss die Ideen filtern und richtig genial auf ein Album bringen. Ohne den Input der Künstler funktioniert es nicht, die sitzen aber oft nur rum und warten, dass der Produzent ihnen sagt, was sie machen sollen. Unser alter Produzent Eroc ist auch so ein genialer Typ. Eroc hat Ihre erfolgreichsten Singles neu gemastert. Wie viel ist aus alten Aufnahmen klangtechnisch herauszuholen? Nicht so viel wie man denkt. Gemastert ist ja nicht gemixt. Das Schöne am Mastering ist, dass der Song und der Mix nicht angegriffen werden. Wir haben die alten Songs sehr vorsichtig und fein gemastert, weshalb man jetzt manche Feinheiten etwas besser heraushören kann. Es springt dich mehr an. Man könnte aber genauso die alten Vinylplatten auflegen, ein bisschen lauter machen und mehr Höhen reindrehen. Das ist nicht so viel anders. Was hat sich bei Ihnen in letzter Zeit persönlich noch verändert? Die Welt um mich herum hat sich verändert, aber ich bin immer noch derselbe. Ich liebe es, Songs zu schreiben und Konzerte spielen. Ich habe jetzt wieder größten Ehrgeiz. Eine Zeit lang war ich sehr down und kurz vorm Aufhören, weil die Band live nicht mehr so gut funktioniert hat. Aber seit ein paar Jahren ist es ganz anders und die Band ist wieder erfolgreich, warum auch immer. Musiker zu feuern ist manchmal bereinigend. Spielen Sie bei dieser Tour ein reines Best-Of-Programm? Wir spielen einen Teil neuer Songs und der Rest ist praktisch die neue Best-Of-CD. Anders würde es nicht funktionieren. So arrogant, „Container Love“ nicht zu spielen, bin ich heute nicht mehr. Das hat sich auch gerächt. Aber es ist trotz allem ein guter Song. Wird die Sängerin Pris wieder mit der von Partie sein? Nein, sie ist bereits wieder ausgestiegen. Ich habe aber eine neue gefunden, ihren Namen kennt noch niemand. Ansonsten ist Evi Vine aus London auf standby. Sie hat ihre eigene Band. Wir spielen mit mehreren Optionen, bis wir die richtige Sängerin gefunden haben. Das ist ein bisschen wie bei David Bowie, der immer wieder andere Leute hatte und manchmal kamen die alten wieder zurück. Ich habe einen gigantischen neuen Bassisten, er heißt Thilo Ehrhardt. Ich muss ihm noch den Lebensdreck beibringen, beim Voodooclub muss man Musik nicht nur spielen, sondern auch erleben. Wenn er den dann in die Band mit reinbringt, ist sie noch ein bisschen besser. Ich danke fürs Gespräch. Konzert Phillip Boa am Samstag, 25. Februar, 20 Uhr, im Kulturzentrum Kammgarn; Karten im Vorverkauf bei Thalia, 0631/36219814, Pop Shop, 0631/ 64725, Soundcheck, 0631/891712, daneben Abendkasse. |ofn

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