Kaiserslautern Hotel Mama ist pleite

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Dem Deutschen Theater Berlin gilt diesmal ein Programmschwerpunkt der Festspiele Ludwigshafen. Gleich vier Inszenierungen aus der Hauptstadt sind im Pfalzbau zu Gast, allesamt prominent besetzte und teilweise prämierte Inszenierungen. Den Auftakt machte Gorkis „Wassa Schelesnowa“, von Stephan Kimmig ganz gegenwärtig interpretiert und vom Ensemble großartig auf die Bühne gebracht.

Zu Beginn schält Wassa einen Apfel. Sie sitzt ganz still im Halbdunkel des anbrechenden Tages. Es ist der einzige Moment der Ruhe, der ihr hier vergönnt ist. Als es hell wird und der Arbeitstag beginnt, gerät diese Frau in einen Untergangsstrudel, der alles mitreißt: Firma, Familie, letzte Hoffnungen. Corinna Harfouch spielt diese Frau in mittleren Jahren, die mit Liebe, Lügen und eiserner Selbstdisziplin ankämpft gegen den Konkurs des Familienunternehmens und den Zerfall der Familie. Sie muss es mit lebensuntauglichen Söhnen, gefühlsgetriebenen Schwiegertöchtern, einer mit der eigenen Familie gescheiterten Tochter und einem geldgierigen Schwager aufnehmen. Nur der unfähige Ehemann ist kein Problem mehr, der liegt eine Etage tiefer im Sterben. Corinna Harfouch zeigt uns Wassas Überlebenskampf als eine alle Kräfte übersteigende Anstrengung. Wie unter unsichtbaren Lasten bewegt sie sich über die Bühne, eine Getriebene, der manchmal die Beine wegknicken, die sich schwankend bewegt wie eine Schiffbrüchige auf hoher See, immer wieder das rettende Ufer der Teeküche ansteuernd. Harfouchs Wassa ist das Zentrum dieser untergehenden Welt, aber ihre Autorität ist hohl, reicht gerade noch, die aufs Erbe lauernde Mischpoke im Zaum zu halten. Um im knallharten Geschäftsleben zu bestehen, ist das zu wenig. Gespielt wird die erste Fassung des Dramas von 1910. 1935 hatte Gorki, inzwischen anerkannter Staatsdichter, dem Stück in einer überarbeiteten Version mehr revolutionäre Perspektive eingeimpft. Die frühe Fassung, geschrieben zwischen der gescheiterten bürgerlichen Revolution von 1905 und der bevorstehenden proletarischen von 1917, erzählt vom Zerfall einer Familie als kapitalistisches Endzeitdrama. Regisseur Stephan Kimmig hat das Geschehen in die Gegenwart geholt, der Text wurde neu übertragen und inhaltlich angepasst. Statt dampfendem Samowar sind hier Wasserkocher und Teebeutel im Einsatz. Die Söhne, die sich im Hotel Mama eingenistet haben, sind nicht nur unfähig, sondern auch zutiefst gestört. Christoph Frankens Semjon ist eine dickliche Nervensäge, traktiert die anderen mit spitzen Fingern und schrillen Fistellauten, unterstützt von seiner angriffslustig sozialromantischen Ehefrau Natalja (Lisa Hrdina). Alexander Khuons Pawel kompensiert das Scheitern seiner Beziehung durch übergriffige Körperattacken auf alles Weibliche einschließlich der eigenen Mutter. Seine Ehefrau Ljudmilla (Katharina Marie Schubert) ergeht sich derweil in somnambuler Promiskuität, aktuell mit Wassas Schwager Prochor. Den gibt Michael Goldberg als gebräuntes Machomonster, das schwindende ökonomische Macht mit zügellosem Sex kompensiert. Eine mögliche Verbündete hat Wassa nur in ihrer Tochter Anna, die Franziska Machens als trotzige Überlebensstrategin spielt. Kimmig lässt diese Konstellation gnadenlos eskalieren. Als der Vater nach zwei Akten endlich tot ist und die Pleite offenkundig wird, werden aus Missgunst, Eifersucht und nackter Verzweiflung Handgreiflichkeiten und Mordkomplotte. Die zerstörerische Kraft des kapitalistischen Wirtschaftssystems reicht noch immer bis in die Familienstrukturen hinein, wird von dieser Inszenierung behauptet und in sehr direkter, manchmal überraschend komischer Weise vorgeführt. Und anders als bei Gorki ist hier nicht einmal mehr die Hoffnung auf den neuen Menschen im Kommunismus. Das hat sich inzwischen ja auch erledigt. Termine —Weitere Gastspiele des Deutschen Theaters Berlin bei den Festspielen Ludwigshafen: „Onkel Wanja“ (morgen und Sonntag), „Nathan der Weise“ (17. November) und „Gift“ (19./20. November) —www.theater-im-pfalzbau.de

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