Kaiserslautern Im Strudel der Gefühle

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Die Kammgarn-Reihe „Nuit de la Chanson“ mit Pauline Ngoc als Gastgeberin hat sich mittlerweile zur Erfolgsgeschichte entwickelt. Im Mittelpunkt der achten Ausgabe stand am Samstagabend im ausverkauften Cotton Club der wunderbare Sänger und Schauspieler Philippe Huguet aus Besancan, wohnhaft in Kirchheim in der Pfalz, der die Lieder des belgischen Chansonnier Jacques Brel auf seine eigene, großartige Weise interpretierte.

Sind Sie schwindelfrei? Ja? Dann steigen Sie ein in das Karussell. Geben Sie sich ganz der Fliehkraft hin. Sie drehen sich zuerst langsam, dann immer schneller und schneller, bis sich die ganze Welt um Sie zu drehen scheint. Antreiber dieses Teufelsrades ist der talentierte Philippe Huguet, der sich mit der Teilnahme am renommierten Theaterfestival in Avignon einen Namen gemacht hat. Jacques Brel und Huguet, zwei charismatische Rattenfänger. Zwei, die sich kennen, ohne sich jemals kennengelernt zu haben. Der Belgier wächst in einer großbürgerlichen, wohlorganisierten, katholisch geprägten Familie auf. Er sprengt die unsichtbaren Ketten, die ihn so gerne am Boden gehalten hätten, und mit der unbändigen Kraft seiner Fantasie erobert er erst sich und dann die Menschen, die ihm zuhören. Und die sind ganz Ohr. Genau wie bei Philippe Huguet. Da gibt es kein gemütliches Übereinanderschlagen der Beine. Zweimal je eine halbe Stunde hält der „Menschenmaler“ sie auf der Stuhlkante, hängen sie an seinen Lippen, wenn der „Krieger in Sachen Liebe“ singt, flüstert und alles heraus schreit, was ihn bewegt. Dieser Virus des Widerborstigen steckt an. Ein Trommelfeuer der Gefühle hält den Hörer gefangen. Es sind die Benachteiligten, die Außenseiter, die auf der Schattenseite des Lebens sitzen, von denen Huguet singt. Brel hat seinen Liedern aber auch mit plastischen Metaphern Leben eingehaucht. Mit dickem Pinsel verleiht er dem Säufer, den Huren, den Hoffnungslosen im Altersheim („Die ohne Hoffnung sind“), den „Pennern“ im Obdachlosenheim („Bei diesen Leuten“) grelle Farben. „Ihr Herz schlägt ohne Illusion“, singt er, aber sein Herz für diese Leute am Rande der Gesellschaft pulsiert mit glutvoller Wärme. Wenn Huguet von ihren Sinnesbegierden singt, brennt er wie eine Fackel, stürzt er sich in einen wahren Rausch und reißt die Zuhörer mit auf eine Achterbahn der Gefühle. Der ihn begleitende Pianist Peter Schnur aus der Nähe von Worms spielt kongenial, immer schneller, der gemütliche Musettewalzer steigert sich zum Sinnesrausch, der Tango zum flammenden Inferno. Die Verse werden immer kürzer, viermalige Wiederholungen markieren die Ekstase der Sinneslust. So arrangiert der Chansonnier die Lieder wie ein einziges, stets sich steigerndes Crescendo – und lässt sie plötzlich abbrechen. Das „Prinzip Hoffnung“ trägt seine Botschaft trotzdem. Sein Vermächtnis: „Wenn uns nur Liebe bleibt, dann gehört uns die Welt!“ Das geht unter die Haut. Das berührt zutiefst und begeistert zugleich, zumal Huguet seinen Vortrag mimisch und gestisch ausdrucksvoll unterstreicht, ja ausmalt. Damit kopiert er nicht bloß die „Ikone des französischen Chansons“, er erweckt Jacques Brel auch wieder zum Leben. Der Hörer versteht ihn vom Herzen her, auch wenn er des Französischen nicht mächtig ist. Nach diesem Strudel der Gefühle braucht man wieder Luft zum Durchatmen. Eine fetzige Revue voller Esprit bietet Pauline Ngoc mit Liedern wie „Paris s’éveille“ von Jacques Dutronc, „La mer“ von Charles Trenet und mündet schließlich in einem Rock’n’Roll von Elvis Presley („Blue Suede Shoes“), wobei die Chansonnette die ganze Palette weiblicher Verführungskünste entfaltet, wenn sie summt und schnurrt, röhrt und schreit. Samtweich und verführerisch. Großartig dabei die Band mit dem groovigen Wolfgang Janischowski am Bass und Michael Lakatos am Schlagzeug, mit dem Meister blitzschneller Soundbrüche und ungewohnter Registerwechsel am Akkordeon, Vincenco Carduccio, sowie dem Zauberer der Melodie, Guido Allgaier, mit seinen harfenähnlichen, schwebenden Tönen auf der Gitarre. Mit einfühlsamen Texten und großartiger Betonung führt Ina Bartenschläger in die Lieder ein, und Fotos von Isabelle Girard de Soucanton, die die fantastische Atmosphäre aus Paris eingefangen haben, ergänzten perfekt diesen wunderbaren Abend.

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