Kaiserslautern In der Warteschleife

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Rund 350 Asylbewerber wohnen in Kaiserslautern, fast zwei Drittel davon sind in den beiden Wohnblöcken im Asternweg untergebracht. RHEINPFALZ-Redakteur Andreas Sebald hat sich mit den dort lebenden Menschen getroffen, ihre Geschichten angehört und sie hier aufgeschrieben. Geschichten von Vertreibung und Ablehnung, aber auch Geschichten von sicherer Zuflucht und Plänen für die Zukunft.

fghanistan, Pakistan, Iran, Griechenland, Mazedonien, England und Deutschland. Mit seinen 21 Jahren hat Nadeem Mohammad schon einiges gesehen von der Welt. Nach sieben Wanderjahren würde der Afghane gerne in Deutschland bleiben. Es gefällt ihm hier. Im Moment ist er aber zum Warten verdammt. Zum Warten auf eine Bleibeerlaubnis. Das schönste Land, das er bisher gesehen hat? „Griechenland“, erzählt er. „Da war die Luft so gut.“ Dort setzte er das erste Mal seinen Fuß auf europäischen Boden. Aber mit dem Land mit der guten Luft verbindet der 21-Jährige auch schlechte Erinnerungen. „Ich habe dort viel erlebt, musste auf der Straße schlafen.“ Er hält inne. Die Augen blicken in die Ferne. „Es war eine schlechte Zeit.“ Mohammads Reise beginnt vor sieben Jahren etwa. Da ist er von zu Hause weg. Er stammt aus Afghanistan, aus der Stadt Laghman, berichtet er. Aber seine Familie habe früh über die Grenze nach Pakistan flüchten müssen. Dort ist er auch zur Schule gegangen. „Dort habe ich auch viel Ablehnung erfahren“, erzählt Mohammad. Der junge Mann erzählt ruhig, leise fast, in fließendem Deutsch. Keine Perspektive habe er gesehen, da habe er sich aufgemacht, sei geflohen. „Ich wollte nicht mehr dort leben. Wir wurden dort auch mit dem Tod bedroht.“ Mit 14 Jahren, ohne seine Familie, zu der er im Moment auch keinen Kontakt mehr hat. Dann begann seine Reise, die ihn nach fünf Jahren nach Deutschland führte. In England war er auch, in Newport. „Dort haben sie mich aber nicht akzeptiert.“ Nun also Deutschland. Es gefällt ihm hier, erzählt er, auch weil es hier viele Ausländer gebe. „Das ist hier ganz normal.“ Nach ersten Erfahrun-gen mit der Bürokratie – „Das System hier ist schwer zu verstehen“ − verbringt er seine Tage mit Warten. Warten auf einen positiven Bescheid, auf ein Schreiben, das ihm garantiert, dass er bleiben darf. Seit zwei Jahren ist er in Deutschland, kam über Gießen und Trier nach Kaiserslautern. Nach einem Sprachkurs, den er besucht hat, fehlt ihm für Aufbaukurse das Geld, erzählt er. An seinen Sprachkenntnissen – nach knapp zwei Jahren hier spricht Mohammad sehr gut Deutsch – feilt er mittels Videos auf der Internetseite „Youtube“. Außerdem spricht er gut Englisch sowie einige Brocken Griechisch, Russisch sowie Kroatisch und Schwedisch. Moment: Schwedisch? War er dort auch? „Nein, aber ich habe mir überlegt, dass das ein schönes Land ist und ich dort leben könnte.“ Nun hat er aber seine Meinung geändert, nach einiger Zeit in Deutschland hat er auch an diesem Land Gefallen gefunden. „Ich hatte keine Ahnung von Deutschland.“ Und Kaiserslautern kannte er auch nicht. Die Stadt findet er „gut“, lobt das „Angebot und das soziale Leben“ in der Stadt. Allerdings sei es schwer für Menschen wie ihn, die nicht mobil sind, die kaum Geld haben, die keine Arbeit haben, hier Fuß zu fassen. Aber Mohammad steckt nicht auf. „Wenn man etwas will, dann kann man alles erreichen.“ Im Moment würde ihm ein kleines Stück Papier mit einer Aufenthaltsgenehmigung reichen. iele braucht der Mensch. Mohammed Hanifa hat eins, wie es für einen 19-Jährigen nicht ungewöhnlich ist: „Ich würde gerne Informatik studieren.“ Eigentlich kein Problem. Die Schule hat er abgeschlossen, mit der Technischen Universität (TU) wäre in Kaiserslautern ein passendes Institut quasi direkt vor der Haustür. Wenn, ja wenn da nicht die Sache mit der Aufenthaltsgenehmigung wäre. Die braucht der junge Syrer, der aus der Stadt Al-Nabek, etwa 80 Kilometer nördlich von der Hauptstadt Damaskus gelegen, kommt, nämlich noch. Darauf wartet er seit zehn Monaten. Die Zwischenzeit nutzt er, um die deutsche Sprache zu lernen. Im Gespräch schleichen sich dann und wann noch einige englische Begriffe ein, die fallen aber in seinem Sprachfluss nicht weiter auf. Sprachniveau B1 hat Mohammed (fast) erreicht. Das entspricht in der Nomenklatur des vom Europarat festgezurrten Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen einem Niveau, das es dem Sprecher ermöglicht, „über Erfahrungen und Ereignisse“ zu berichten und „Träume, Hoffnungen und Ziele“ zu beschreiben, wie es in den Erläuterungen heißt. Das kann Mohammed zweifellos. Problemlos berichtet er von seinem Weggang aus Syrien, von seiner Familie, zu der er Kontakt übers Internet hält, von seinem älteren Bruder, der auch weggegangen ist und von seiner Mutter und den drei jüngeren Brüdern, die noch im Land sind. Sein Vater sei auch noch da, aber der sei „verschwunden“. Dann hilft ihm auch das B1-Sprachniveau nicht mehr. Sein Erzählfluss gerät ins Stocken. Nein, dazu könne und wolle er nicht zu viel sagen. „Wenn ich nicht gegangen wäre, dann wäre ich womöglich auch verschwunden“, sagt er noch, und das alles irgendwie mit dem Bürgerkrieg zusammenhänge. Wollen seine Brüder und seine Mutter nachkommen? Nach Deutschland? „Meine Mutter würde niemals ohne meinen Vater ausreisen.“ Außerdem sei es sicherlich nicht so einfach für seine Familie, das Land zu verlassen. Neben Deutsch spricht Mohammed Hanifa auch sehr passables Englisch. An der Uni – er hat ein Semester Informatik studiert – und in der Schule habe er „ein bisschen“ Englisch gelernt. „Und ganz viel durch Filme und das Internet“, schiebt er die Quellen seiner Sprachkenntnisse hinterher. Die kommen ihm nun zugute, weil er durchs Internet nicht nur Kontakt in die Heimat hält, sondern auch geflohenen Landsleuten mit Übersetzungen weiterhilft. Bekommt er Kurznachrichten auf sein Handy, verwirren die fremden Schriftzeichen und die ungewohnte Lesart des Arabischen – von rechts nach links – das ungeübte Auge. Macht ihm im Umkehrschluss die europäische Schreibweise von links nach rechts nicht auch zu schaffen? Mohammed Hanifa grinst. „Das bin ich vom Englischen her gewohnt. Das habe ich als Kind schon gesehen.“ Als Kind begann auch sein Interesse an Deutschland, erzählt er. „Deutschland ist ein Traumland für mich. Auch ohne den Bürgerkrieg wäre ich gern nach Deutschland gekommen.“ Als Kind habe er viel über Land und Leute gelesen. Über die Türkei und Italien ist er nach Deutschland gekommen. Und? Sind seine Erwartungen bestätigt? Kaiserslautern findet er ganz schön und recht preiswert. Dann lacht er. „Aber der Dialekt ist schwer zu verstehen.“ Schafft er die Prüfung am Ende des B1-Kurses, dann will er weiter machen. Allerdings zahle das Bundesamt nur Kurse bis zum B1-Niveau. Also muss er selbst dafür in die Tasche greifen. Das hat er fest vor. Denn nur so kann er es an die Uni schaffen. ch liebe meinen Beruf.“ Die strahlenden Augen der jungen Frau unterstreichen ihre Worte. Farzaneh Shad ist gelernte Zahnarzthelferin, hat in ihrem Job auch lange gearbeitet. In Teheran, der Hauptstadt Irans. Im Moment befindet sie sich aber in der Warteschleife im Asternweg, wartet auf eine Aufenthaltsgenehmigung. Kontakt in die Heimat? Zu ihrer Familie? Zu Freunden? Hat sie nicht. Dreimal lautet die Antwort „Nein“. Auseinandersetzungen habe sie gehabt, mit ihrer Familie, hauptsächlich mit ihrem Vater, aber auch mit der Regierung, berichtet sie. Die ausweichende Antwort auf die Frage, welcher Religion sie angehöre, lässt erahnen, warum sie das Land verlassen hat. Sie hat sich ein Visum besorgt, vor etwa zwei Jahren und ist damit nach Italien ausgereist. Das eigentliche Ziel sei aber Deutschland gewesen, erzählt die junge Frau. Dort lebt ihr Bruder, genauer gesagt in Köln. Den besuche sie ab und an. Die junge Frau spricht fließend Deutsch, scheut sich auch nicht, bei sprachlichen Hürden nachzuhaken: „Ich verstehe nicht“, fragt sie dann lächelnd, aber bestimmt. Sie würde gerne in Deutschland bleiben, hier auch in ihrem Beruf arbeiten. Da sie schon einige Zeit da ist, dürfte sie auch arbeiten, hat aber bisher keine Anstellung gefunden. „Es ist nicht ganz so einfach, eine Stelle zu finden“, berichtet sie. Ihren Pass und ihr Diplom hat sie bei ihrer Ausreise mitgenommen nach Europa, ihren Führerschein nicht. Insgesamt konnte sie nur wenig einpacken. „Ich habe sehr, sehr wenig mitgenommen.“ Also wartet sie. Ihre Deutschkenntnisse verbessert sie mit digitaler Unterstützung. Mittels einer App poliert sie ihren Wortschatz auf. Ein paar Worte Englisch spricht Farzaneh Shad auch. Mit Behörden und öffentlichen Einrichtungen hat die junge Frau nicht nur gute Erfahrungen gemacht, berichtet sie. „Bei manchen Stellen sind die Leute nicht so nett, besonders dann nicht, wenn sie merken, dass man Ausländerin ist.“ Und was gefalle ihr an Deutschland? Farzaneh Shad überlegt. Dann sagt sie nur ein Wort: „Freiheit“. er aus dem kahlen Gang im ersten Wohnblock im Asternweg in die Wohnung der Familie Mehanovic tritt, wird von einer wohligen Atmosphäre empfangen. Dass in den Wohnungen das Badezimmer fehlt, fällt auf den ersten Blick gar nicht auf. Seit Mai wohnt die vierköpfige Familie, Vater Nihad, Mama Selma sowie die beiden Kinder Lejla und Dzenan, im Asternweg. Die Familie stammt aus der Nähe der Stadt Tuzla, mit rund 120.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt in Bosnien-Herzegowina. Sie liegt im Nordosten des Landes, nahe der serbischen Grenze. Der 38-Jährige, der technischer Zeichner gelernt hat, arbeitete in einer Druckerei, seine zehn Jahre jüngere Frau verdiente in einer Bäckerei ihre Brötchen. „Wir hatten ein Haus, ein Auto und hatten beide einen Job“, berichtet Nihad Mehanovic in fließendem Englisch. Die Familie hat im Frühjahr gemeinsam die Heimat verlassen. Warum? Mehanovic zögert kurz. „Ich hatte Probleme mit dem Polizeichef.“ Seine Geschichte geht ungefähr so: Dem Chef der örtlichen Polizei konnte er wohl Fakten nachweisen, die dem nicht gut zu Gesicht standen. Insbesondere dann nicht, als sie an die Öffentlichkeit kamen. Einschüchterungen folgten, er wurde bedroht. Kurzzeitig verließ er das Land, hoffte, dass so etwas Gras über die Sache wachsen könne. Bei Anrufen daheim berichteten ihm dann aber seine Eltern, dass die Schikanierungen nicht aufhörten, eher sogar zunahmen und letztendlich seine Frau und die Kinder bedroht wurden. Da sah es Nihad Mehanovic an der Zeit zu gehen. Für die Probleme, vor die seine Familie gestellt wurde, hat er nur ein Wort: „Mafia.“ Zunächst reisten die vier in die Schweiz, dort lebt die Schwester des Familienvaters. Von dort ging es dann weiter nach Trier ins Übergangsheim für Asylbewerber. „Dort war es sehr schwer.“ Mehanovic schweigt erneut. Sehr eng sei es in dem Heim gewesen, zudem nicht sauber. An Privatsphäre sei kaum zu denken gewesen. Nach der Ankunft in Kaiserslautern und der Zuteilung der Wohnung wartet auch noch eine Heidenarbeit auf die Familie. Sieben Tage hätten sie gebraucht, um die Spuren der vorherigen Bewohner zu beseitigen und die Unterkunft bewohnbar zu machen. „Jetzt ist es besser, jetzt ist es ganz gut“, sagt Selma Mehanovic. Die 28-Jährige spricht gebrochen Deutsch, die Kinder dagegen verstehen fast jedes Wort, mit dem Sprechen tun sie sich noch ein wenig schwer. Der kleine Dzenan, kurz vor Weihnachten fünf Jahre alt geworden, geht in den Kindergarten, die fast siebenjährige Lejla besucht die Geschwister-Scholl-Grundschule. Wie geht es weiter? Nihad Mehanovic überlegt, spielt mit der Tischdecke. Zurück in die Heimat? „Würden wir gerne. Aber nur, wenn sich was ändert.“ Er macht eine Pause. „Aber da wird sich nichts ändern.“ Also doch das Glück in Deutschland versuchen? „Wir würden gerne bleiben“, sagt er. „Ich muss nur Arbeit finden.“ Im März wird wohl entschieden, ob die Mehanovics wieder zurückgehen müssen. Die Familie will die Unterstützung vom Staat nicht geschenkt. „Ich habe immer gearbeitet, seit ich 18 Jahre alt bin. Ich will nichts umsonst“, sagt Nihad Mehanovic. Eigentlich gefällt es ihnen in Deutschland, sie haben Kontakt zu anderen bosnischen Familien hier, treffen sich wochenends mit Freunden und Bekannten. „Ich spreche viel mit den Leuten und keiner hat Probleme hier. Es ist alles okay.“ Dann macht er eine Pause. Schaut seine Kinder an und seine Frau. „Wir sind hier, und wir sind hier sicher. Das ist wichtig.“

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