Kaiserslautern In jener Nacht im August

Zeitzeugen sind überzeugt: Der 6. August 1950 ist die Geburtsstunde Europas. Damals rissen rund 300 Studenten die deutsch-französische Grenzsperre am St. Germanshof nieder. Mit „Eine Nacht im August“ erinnert das Chawwerusch-Theater an die fast vergessene Pioniertat. Dank der Initiative des ökumenischen Arbeitskreises Armut spielte sich „La Nuit au mois d’aout“ am Samstagabend auf der Bühne im Sportzentrum Mehlingen ab.

Die Fakten des Stücks sind schnell erzählt: mit der Überzeugung „Wir kommen aus und bleiben in Europa“ überwältigten jene Studenten die Zollbeamten, zerstörten den Schlagbaum, packten ihre Sachen und gingen. Als Datum hatten sie gezielt den Vortag zur allerersten Sitzung des Europarates in Straßburg gewählt. Nun, gut 60 Jahre danach und 50 Jahre nach Vertragsabschluss des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages, kommt Chawwerusch und macht daraus eine Melange aus Geschichtsdokumentation und Happening. Diese spiegelt vor allem eines wieder: es ist alles möglich, geografisch, politisch, gesellschaftlich, menschlich sowieso. Gleichsam beweisführend treten Schauspieler aus deutschen, pfälzischen, elsässischen und französischen Sprachräumen auf. Eine Art Babel-Sprachwirrwarr des Verstehens. Spätestens wenn die nationalallegorische Figuren „Deutscher Michel“ (gespielt von Ben Hergl) platt auf dem Schleppdach des Grenzhäuschens hängt und die französische „Marianne“ (Felix S. Felix) mit Zigarettenspitze pafft oder sich mal wieder über kollidierende Esskulturen streitet, weiß der ganze Saal: diese beiden Alten können gar nicht anders als sich zu lieben. Demnach kann die viel zitierte Erbfeindschaft doch wohl nur eine politische Finte gewesen sein. Wie verbissen diese jedoch gelebt worden war, offenbaren weniger die Fakten als vielmehr die lakonischen, humorig-komischen oder typisch „chawwerusch-frechen“ Einfälle in Text und Regie, Gestik und Mimik sowie die tragend-feierlich gesungene Ironie (Liedtexte Michael Bauer) zur kollektiv geschwungenen „Säge-Guillotine“, bis der rot-weiße Schlagbaumstamm in drei Teile und ins Feuer fiel. Und ein fabulierender Anlass für Nebenschauplätze: eine Liebesgeschichte beispielsweise, die subtil angedeutet so gar nicht klappen will. Oder der verdrängte und nun bloß gestellte Hitler-Flakhelfer Martin (Stephan Wriecz). Oder die Generationenfrage, wenn die heutige Jugend (Miriam Grimm) mit Blick auf die Kriege meint: „Das fühlt man doch, was falsch und richtig ist.“ Nur die Sache mit den „Malgré- Nous“, jenen eingedeutschten Franzosen, die gegen ihre Landsleute kämpfen mussten, blieb als sperrig-kompliziertes Thema trotz tränenreicher Darstellung im Keim stecken. Glänzend bewährt - speziell ob jener Solitärgeschichten - hat sich das plakativ farbige Bühnenbild, vor dem sich die Truppe nach Herzenslust ausleben konnte. Mit der Schlagbaumaktion in jener „Nacht im August“ wollten einst junge Menschen ihre Grenzen im Kopf loswerden. Mit dem Wissen historischer Fortschreibung bot das Chawwerusch-Ensemble nicht nur kurzweilig spannendes Erzählen. Vielmehr war es auch ein Augenmerk auf Grenzverläufe heutiger Köpfe.

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