Kaiserslautern „Junge“ mit der Mundharmonika

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Premiere nach 54 Jahren: Mit „Blue & Lonesome“ veröffentlichen die Rolling Stones heute zum ersten Mal in ihrer langen Laufbahn ein reines Coveralbum. Die Sammlung von 13 Stücken eignet sich sowohl als Pausenfüller wie als Alterswerk. Eines jedoch soll auch sie noch nicht sein: der Abschied der Musikveteranen.

Selbst Rocklegenden können sich nicht aussuchen, wer sich auf sie beruft. So verwies der saarländische Altlinke Oskar Lafontaine neulich ausgerechnet auf Mick Jaggers fortdauernde Bühnenpräsenz, um seine eigenen Ambitionen auf einen Platz im nächsten Saarbrücker Landtag zu untermauern (wir berichteten auf der Seite „Südwestdeutsche Zeitung“ vom 18. November). Während nicht auszuschließen ist, dass der 73-jährige Jagger sich durch so ein Hohelied auf seine Vitalität doch irgendwie geschmeichelt fühlen könnte, dürfte Gitarrist Keith Richards (72) für derlei Anbiederung wohl bestenfalls ein sarkastisches Grinsen übrig haben, wüsste er davon. Gitarrenkollege Ron Wood (69) und Schlagzeuger Charlie Watts (75) wäre sie wohl schlicht egal – und das nicht zu Unrecht. „Traurig und einsam“ kommt sie nun also daher, die dienstälteste Piratenbande des Musikgeschäfts. Gekapert haben die ewigen Freibeuter um Captain Mick und Totenkopf-Keith eher weniger bekannte Blues-Stücke von Musikern wie Howlin’ Wolf (1910–1976), Jimmy Reed (1925–1976) und Willie Dixon (1915–1992). Beim Blick auf deren Lebensdaten fällt es nicht allzu schwer sich vorzustellen, dass Jagger und Richards die Bluesmen schon vor 54 Jahren bewunderten. „Blue & Lonesome“ erweist ihnen die Ehre, und natürlich sind die Stones Profis genug, in ihren Kommentaren zum neuen Album zu unterstreichen, dass sich damit ein musikalischer Kreis zu ihren eigenen Blues-Anfängen schließt. „Es fühlt sich an wie ein Déjà-vu. Manche dieser Songs haben wir seit 1962 oder 1963 nicht mehr gespielt. Aber meine Finger können sich noch daran erinnern“, sagt Richards. „Für meine Generation war der Blues das, was für die weißen Jugendlichen von heute der Rap ist – sehr weit weg von deinem eigenen kulturellen Hintergrund“, ergänzt Jagger. Und Charlie Watts souffliert: „Wenn du Jazz spielst, spielst du auch Blues.“ Für Ron Wood schließlich boten die Aufnahmen nach eigenen Worten die Gelegenheit, das ursprüngliche Blues-Feeling mit den Stones nachzuholen, nachdem er in der ersten Bandphase noch nicht mit dabei war. Glaubt man den Aussagen der Musiker, war diese Hommage so eher nicht geplant, sondern kam vergleichsweise spontan zustande. Im vergangenen Dezember fanden sich die älteren Herren in den Londoner British Grove Studios ein, um – man höre und staune – zehn Jahre nach ihrem bisher letzten Studioalbum an neuem Songmaterial zu arbeiten. Zum Aufwärmen spielten sie ein bisschen Blues, und auf einmal verselbstständigte sich das Ganze. Kollege Eric Clapton, der im Nebenstudio praktischerweise gerade selbst an einer neuen Platte werkelte, kam ebenfalls auf einen Sprung vorbei. So entstanden Aufnahmen, von denen die Stones erst einmal nicht so genau wussten, was sie damit anfangen sollten, wie sie treuherzig versichern. Schließlich dürften manche die reinen Coverversionen auf „Blue & Lonesome“ nun als endgültigen Beweis dafür ansehen, dass die Steine aufgehört haben zu rollen. Nach allem, was man über die Band weiß, könnte es gut und gern Keith Richards gewesen sein, der seine Kollegen – womöglich garniert durch manche nicht jugendfreie Vokabel – dennoch überredete, das Zeug einfach zu veröffentlichen. Nicht die schlechteste Entscheidung: „Blue & Lonesome“ wird sicherlich nicht als größtes Rolling-Stones-Album aller Zeiten Musikgeschichte schreiben, aber ein nachdrückliches Lebenszeichen ist es allemal. Herausragend fällt das über fünfminütige „I Can’t Quit You Baby“ zum Album-Abschluss aus: Während sich Richards’ und Woods Gitarren wie verwundete Tiere dahinschleppen, gibt Jagger den von Liebesqual Heimgesuchten, der den Mond anheult – eine Leistung, die „I Got A Spell On You“ in der Version von Screamin’ Jay Hawkins alle Ehre macht. Überhaupt Mick Jagger: Der Stones-Boss glänzt nicht nur als Sänger, sondern vor allem auch als kraftvoller und variabler Mundharmonikaspieler, der sein Instrument jaulen und bellen lässt. Richards und Wood lassen ihre Gitarren schön scheppern, krächzen oder quietschen, sodass es angemessen roh und dreckig tönt. Denn schließlich ist das hier kein Kindergeburtstag oder „süßlicher Pop“, wie Jagger es nennt. „Just Your Fool“ von Little Walter präsentiert einen Mann, der damit droht, sich ein Gewehr zu kaufen und um sich zu schießen, wenn seine Frau ihn verlässt. Noch ein Höhepunkt: Jaggers klagendes Liebesleid im Titelstück – Einsamkeit allein ist im Blues noch lange nicht genug. All das ist logischerweise nicht neu oder innovativ, aber es steht gehörig unter Dampf. Und was ist nun mit den neuen Songs, an denen die Stones gerade schraubten, als der Blues über sie kam? „Aktuell werden die neuen Sachen von den Blues-Songs in den Hintergrund gedrängt“, sagt Ron Wood, „aber wir werden den Faden auf jeden Fall wieder aufnehmen“. Ob übrigens Lafontaine sich der Bedeutung des Stones-Albumtitels bei seinem Vergleich mit Jagger eigentlich bewusst war, ist zumindest nicht überliefert. Aber auch in der Politik soll es ja gelegentlich Anlass geben, „Blue & Lonesome“ – traurig und einsam – zu sein. Selbst im Saarland. Das Album Rolling Stones: „Blue & Lonesome“, erschienen bei Universal

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