Kaiserslautern „Kultur ist Lebensqualität, kein Luxus“

Im Mai 2011 machte die Sängerin Nina Hagen im Rahmen des 16. Jazzfestivals in der Kammgarn Station.
Im Mai 2011 machte die Sängerin Nina Hagen im Rahmen des 16. Jazzfestivals in der Kammgarn Station.

Vor fast genau 30 Jahren, am 28. Mai 1988, startete das Kulturzentrum Kammgarn und wurde in der Folge zu einer Top-Adresse in Deutschland. Laut Siggi Schwab, dem renommierten Gitarristen aus Ludwigshafen, und vielen anderen Musikern, die hier gastierten, zählt es zu den drei besten Clubs in der ganzen Bundesrepublik. Über sein Erfolgskonzept unterhielt sich RHEINPFALZ-Mitarbeiter Walter Falk mit dem Kammgarn-Chef Richard Müller.

Herr Müller, hätten Sie vor 30 Jahren gedacht, dass die Kammgarn einmal kulturelles Aushängeschild im südwestdeutschen Raum werden würde?

Das war mein Ziel! Die Kammgarn ist übrigens ein nationales kulturelles Aushängeschild. Mein Konzept war auf regionale, nationale und internationale Kultur ausgelegt. Schwierig war nicht nur, das Haus schnell an die Spitze zu führen, sondern es dort auch über Jahrzehnte zu halten. Dass wir das geschafft haben, ist ein Verdienst aller Mitarbeiter, aber auch der unterstützenden Politik. Entschlossenheit, Biss, langer Atem und Konsequenz sind natürlich Grundbedingungen. Welche Bedeutung hat die Kammgarn heute in der Stadt, in der Region, in Deutschland? Die Kammgarn ist ein Leuchtturm der freien Szene – national wie international sind wir ein first call. Wir haben Stadt und Region aus der pfälzischen Kulturwüste in eine blühende Kulturlandschaft geführt. Die Kammgarn erhielt ja neulich erst nach einer Umfrage unter weit über tausend Musikern den zweiten Preis beim Backstage Clubaward. Wie bewerten Sie den Preis, den Sie erhalten haben? Darüber haben wir uns sehr gefreut, vor allem, weil der Award ausschließlich von Musikern vergeben wurde. Wir sind ein Arbeitsplatz für Musiker, und sie haben uns in allen Kategorien auf den zweiten Platz gewählt, nur hinter Hamburg und noch vor Berlin. Wie viele Konzerte organisierten Sie seither in der Kammgarn, und wie viele Musiker gaben sich die Klinke in die Hand? Wir haben circa 5500 Veranstaltungen in diesen 30 Kammgarn-Jahren durchgeführt – aber viele auch außerhalb, zum Beispiel Stars Around The Ball, mit Peter Gabriel oder André Rieu. Im Laufe dieser 30 Jahre sind ja etliche weltberühmte Musiker aufgetreten. Was war für Sie der absolute Höhepunkt? Es gab und gibt viele Highlights, und das müssen nicht immer nur große Namen sein. Beth Hart, Gregory Porter, Johnny Guitar Watson, Franz Josef Degenhardt, Hannes Wader oder B. B. King sind mir, auch wegen ihrer Persönlichkeit, ans Herz gewachsen. Auf der Young-Kammgarn-Seite, die meine Kollegin bucht, gilt das Gleiche sicherlich für Revolverheld, Mark Forster, Maxïmo Park, The Baseballs, Madsen, Dieter Thomas Kuhn, Andreas Kümmert, die Sportfreunde Stiller, Die Ärzte, Kool Savas, Glasperlenspiel, Max Mutzke und viele, viele mehr. Wen haben Sie sich immer gewünscht, aber nie bekommen? Niemanden, für den unser Haus die Kapazität bietet. Wen würden Sie unbedingt noch in die Kammgarn holen wollen? Tracy Chapman und auf der Seite meiner Kollegin wohl Die Toten Hosen. Wer hat in der Kammgarn mal ganz klein angefangen, vor weniger als 30 Gästen gespielt und ist jetzt eine große Nummer? Julia Neigel, Dieter Nuhr oder Ingo Appelt zum Beispiel. Bei Young Kammgarn sind es Luxuslärm, Sierra Kid, Revolverheld, Madsen, die Emil Bulls, Die Apokalyptischen Reiter, Saltatio Mortis oder Mark Forster, denke ich. Was ist das Erfolgsrezept der Kammgarn? Hier zitiere ich die Jubiläums-Glückwünsche des Sozialdezernenten Joachim Färber: Kammgarn – kreativ, kommunikativ, kantig! Wie bringt man es fertig, bei einem nicht allzu üppigen Haushalt ein so tolles Programm auf die Beine zu stellen? Wir sind Profis. Das ist ja in diesem Geschäft nicht unbedingt Standard. Man kann mit wenig oder viel Geld Schrott veranstalten. Unser Niveau, unsere Ansprüche und unsere hausinterne Qualität sind sehr hoch. Wie sieht überhaupt die finanzielle Situation der Kammgarn aktuell aus? Sie ist okay. Wir waren nie auf Rosen gebettet und mussten immer kämpfen. Finden Sie hinreichend Unterstützung in der Stadtpolitik für das Kulturzentrum? Ja – und zwar quer durch alle Fraktionen. Auch in unserem Aufsichtsrat herrscht eine solidarische Stimmung, die von Respekt und Offenheit geprägt ist, auch in schwierigen Situationen. Über den Begriff der freiwilligen Maßnahmen geraten wir ja immer mal wieder in die Diskussion. Ich finde diesen Begriff falsch, denn Kultur ist Lebensqualität, kein Luxus! Sie haben viele Stammgäste. Woher kommen die eigentlich? Aus Rheinland-Pfalz und den benachbarten Bundesländern. Bei Festivals kommen die Gäste aus der ganzen Republik. Eine persönliche Frage: Wie hält man das als Chef 30 Jahre durch? Für mich ist meine Arbeit keine Belastung. Und die Kämpfe gehören zum Alltagsgeschäft. Gab es auch Tiefpunkte oder gar Krisen in dieser Zeit? Ja, klar, aber eine ruhige See hat noch nie einen guten Seemann hervorgebracht. Sie machen das jetzt seit 30 Jahren. Wie sieht Ihre persönliche Lebensplanung aus? Ich mache weiter. Die Kammgarn ist und bleibt mein Baby. Wer könnte mal in Ihre Fußstapfen treten? Haben Sie da schon jemand ins Auge gefasst? Ja. Einen weiteren Seemann. IHR Wochenende

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