Kaiserslautern „Meine Akkorde sind sehr speziell“

Er gilt als wichtigster Jazz-Gitarrist der Gegenwart. Pat Metheny, 59, ist einer der wenigen Jazzer, die so viele Platten verkaufen wie sonst nur Popstars. Seine Musik ist ein Mix aus Bebop, Free Jazz, Hardcore, Rock und Country, charakterisiert von melodischen Kompositionen und eine außergewöhnliche Improvisationsgabe. Am Dienstag ist Metheny in der Kammgarn. RHEINPFALZ-Mitarbeiter Olaf Neumann sprach mit dem 20-fachen Grammy-Preisträger über Spieltechnik, Einzigartigkeit und das neue Album „Kin“.

Mr. Metheny, für das neue Album „Kin“ haben Sie Ihre Unity Band in Unity Group umbenannt. Was hat sich konkret verändert?

Die Unity Group ist neu und gleichzeitig eine Fortführung dessen, was ich vor zwei Jahren mit der Unity Band begonnen habe. Irgendwann bekam ich wieder Lust, solche Musik zu schreiben, wie ich sie mit meiner regulären Band oder dem Orchestrion-Projekt gemacht hatte: Breit angelegte Kompositionen mit reicher harmonischer Palette. Veritable Klangwelten eben. Um diese Seite von mir realisieren zu können, musste ich meine aktuelle Band erweitern: Der junge italienischen Musiker Giulio Carmassi spielt Trompete, Piano, Posaune, Cello, Klarinette, Saxofon und kann sogar singen. Suchen Sie immer nach Musikern, die auf gewisse Weise einzigartig sind? Ja, irgendwie schon. Gerade wenn es um improvisierte Musik geht, suche ich immer nach dem ganz speziellen Typ, der praktisch alle Spielarten drauf hat, von John Coltrane bis heute. Und der trotzdem einzigartig klingt. Ist es leicht, solche Leute zu finden? Nein, denn ich bin sehr wählerisch. Deshalb passiert es eher selten, dass ich bei einem Musiker einen gemeinsamen Nenner finde. Ich habe in meinem Leben mit den unterschiedlichsten Leuten so ziemliches alles ausprobiert. Aber ich bin immer wieder auf der Suche nach neuen Talenten und neuen Ideen. Bei Giulio Carmassi verhält es sich aber anders. Er ist kein Improvisator, sondern eher ein sehr zuverlässiger Session-Musiker, der exakt das harmonische Material umsetzt, was ich geschrieben habe. Manches davon ist sehr kompliziert zu spielen. Giulio erinnert mich ein bisschen an Pedro Aznar, der eine Zeit lang in meiner Band spielte. Was ist denn so kompliziert an Ihrem Material? Meine Harmonien unterscheiden sich ziemlich von denen eines Wayne Shorter, eines Jazz-Standards oder eines Popsongs. Meine Musik klingt beim ersten Hören sehr einfach, aber das ist irreführend. Ich habe erlebt, wie Hardcore-Bebop-Jazzer mit Stücken von mir, wie zum Beispiel „James“, eine Bruchlandung hinlegten. Daran habe ich gemerkt, dass man meine Akkorde nicht so leicht spielen kann, wenn man keine Verbindung zu meiner Musik hat. Meine Akkorde sind sehr speziell. Haben Sie für Ihr neues Album Ihre Art zu spielen modifiziert? Für mich ist „Kin“ gar keine Platte, die der Virtuosität gewidmet ist. Natürlich gebe ich darauf ein paar Soli zum Besten, aber es ist vor allem ein Konzeptalbum. Ich spiele eigentlich nur dann Soli, wenn es das Stück auch wirklich erfordert. Schließlich habe ich den begnadeten Improvisator Chris Potter in der Band. Ich wollte eine Musik schreiben, die Raum für seine Soli lässt und nicht für meine. „Unity“ steht hier für Einheit? „Unity“ ist ein tolles Wort für das, was wir mit dieser Band versuchen. Ich war von Anfang an daran interessiert, vermeintlich ungleiche musikalische Elemente miteinander zu versöhnen. Ich versuche immer, für all die verschiedenen Stile, die mich als Musiker interessieren, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Meine aktuelle Band ist für diese Aufgabe sehr gut ausgerüstet. Keiner von uns denkt in bestimmten Genre- oder Stilkategorien, sondern wir machen uns Gedanken darüber, wie man einen bestimmten Sound in einem größeren Kontext bedeutungsvoll machen kann. Die Spielkunst tritt dabei zwangsläufig in den Hintergrund. Welcher Teil Ihrer Arbeit bereitet Ihnen die größte Befriedigung? Ich schätze mich glücklich, dass ich so viele Platten machen durfte. Jede für sich zeigt auf, wo ich mich als Künstler zu einem bestimmten Zeitpunkt befunden habe. Aber eigentlich lebe ich für die Auftritte, also diese unwiederholbaren Momente in Bremen, Springfield oder Montreal. Je mehr Erfahrung man als Musiker gesammelt hat, desto öfter erlebt man diesen Effekt. Ich bin jetzt schon so lange dabei, manchmal habe ich das Gefühl, ich muss gar nicht mehr spielen, um diese speziellen Momente zu erleben. Sie passieren eigentlich von ganz allein. Ich brauche im Grunde nur meinem eigenen Spiel zuzuhören, beziehungsweise: einfach da zu sein. Das Live-Spielen ist also die Kür, die Arbeit im Studio die Pflicht? Das Plattenmachen finde ich sehr interessant, weil dabei immer so viel Unerwartetes passiert. Seit 80 Jahren können wir Klänge für die Nachwelt festhalten. Die Schallplatte war ein entscheidender Schritt innerhalb der menschlichen Evolution. Meine Auffassung vom Plattenmachen ist folgende: Wenn ich ins Studio gehe, spiele ich für ein imaginäres Publikum, wobei die Aufnahmen ein Eigenleben entwickeln. Ich sehe mich selbst als Verwalter dieses besonderen Sounderlebnisses, das eingefroren an die Hörer gelangt. Was damit am Ende passiert, weiß niemand. Sehen Sie sich selbst als Jazz-Musiker? Diese Diskussion ist keine musikalische, sondern eine politische. Sie hat meist nichts mit der Realität zu tun, sondern eher mit den Torwächtern. Es werden sehr schnell Allianzen gebildet, wenn es darum geht, gewisse musikästhetische Entwicklungen einzuordnen. Ich bin aber lange genug dabei, um gesehen zu haben, wie Genres kommen und gehen. Welches ist Ihre wichtigste Regel als Gitarrist? Wissen Sie, die Gitarre ist für mich heute kein so großes Thema mehr. Die meisten meiner Stücke schreibe ich nämlich auf dem Piano. Die Gitarre ist eigentlich nur ein Übersetzungsgerät für Ideen. Natürliche lebe ich mit diesem Instrument und habe darauf eine sehr flüssige Sprache entwickelt. Das geht auch immer weiter. Diese Erfahrung erlaubt es mir, meine Ideen mit einer gewissen Leichtigkeit auszudrücken. Auf der Trompete würde mir das weniger gut gelingen, auch wenn ich sie ein bisschen beherrsche. Sie werden immer wieder für Ihre Leichtigkeit gelobt. Machen Sie etwas leicht, was eigentlich schwer ist? Manche Gitarristen haben mir direkt ins Gesicht gesagt, ich würde alles falsch machen . Und das stimmt ja irgendwie auch. Immer, wenn ich einen brillanten Techniker sehe, denke ich: „Mann, so würde ich auch gern spielen können!“ Aber wie ich bereits sagte, denke ich nie zuerst an die Gitarre, sondern an die Idee. Um diese umzusetzen, benutze ich was immer es dafür braucht. Für Außenstehende ist das Ergebnis manchmal nicht ganz logisch . Wenn ich über Gitarrentechniken ausgefragt werde, sage ich immer: „Ich bin kein gutes Beispiel. Gehe lieber zu Pat Martino“. Regeln bedeuten mir wenig, denn ich hatte niemals einen Lehrer. Ich habe mein eigenes Spielsystem erfunden. Was werden Sie auf der Tournee spielen? Zuerst einmal spielen wir auf dieser Tour viele Konzerte auf der ganzen Welt. Ich denke, die Unity Group ist eine spannende Live-Band. Ich freue mich riesig drauf, Altes und Neues live zu spielen.

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