Kaiserslautern Mit dem Geländewagen in den Bioladen

Alle internationalen Klimagipfel von Rio bis Warschau sind gescheitert. Ungehemmt schreitet die Zerstörung der Natur durch den Menschen fort. Der Sammelband „Arkadien oder Dschungelcamp. Leben im Einklang oder Kampf mit der Natur?“, herausgegeben vom Leiter des Ludwigshafener Bloch-Zentrums, Klaus Kufeld, sucht nach einem neuen Naturverständnis und versucht einen Mentalitätswandel herbeizuführen, der die scheinbar unaufhaltsame große Umweltkatastrophe noch abwenden könnte.

Der Band ist aus einer Reihe von Podiumsdiskussionen am Ludwigshafener Ernst-Bloch-Zentrum zum Oberthema „Umwelt und Verantwortung“ hervorgegangen. Daraus erklärt sich die Vielfalt an Unterthemen. Ein Aufsatz behandelt die Zerstörung des Himalaya durch Müll und Tourismus, ein anderer die Nahrungsmittelindustrie und ein weiterer die Frage: Wie gerecht ist die Ökologie? 17 Aufsätze, 17 Positionen. Teils sind sie humorvoll wie Mladen Dolars Beitrag „Schwarze Romantik: Der Kommunismus des Rauchens“, der sich mit der Diskriminierung von Rauchern in New York beschäftigt, teils erfrischend polemisch, teils aber auch juristisch trocken, so besonders Beat Sitter-Livers Abhandlung über Tierrechte. Eine massenhafte Verbreitung wäre Magdalena Schaffrins Beitrag zu wünschen. Die Berliner Modedesignerin und Unternehmerin mit ökologischem Gewissen schildert Naturzerstörung und Ausbeutung billiger Arbeitskräfte durch die Textilindustrie. So erzählt sie, wie in Bangladesch verwendete Chemikalien an Eisbären nachgewiesen wurden. Grauenerregend sind die Schilderungen aus Usbekistan, wo Kinderarbeit die Regel und der Aralsee fast ausgetrocknet ist, weil mit seinem Wasser die Baumwollfelder künstlich beregnet werden. Schaffrin zeigt aber auch Alternativen auf, so ein holländisches Jeanslabel, das Kleidung verleiht und recycelt. Weil die Produktionswege in der Textilindustrie für den Käufer nur schwer zu durchschauen sind, spricht die Expertin die Verantwortung in erster Linie den Firmen und den Regierungen zu, die die Macht hätten, durch Gesetze und Kontrollen eine Änderung herbeizuführen, wenn sie nur wollten. Wie Magdalena Schaffrin geht es auch dem Dozenten für kulinarische Produktentwicklung Hans Gerlach vorrangig um ein gutes Leben. Sein Beitrag über die Nahrungsmittelindustrie enthält daher auch Ratschläge an Konsumenten. Wer selber koche und nur bei ihm persönlich bekannten Produzenten einkaufe, komme einer gesunden Ernährung nahe. „Die moderne Fleischproduktion ist eine Gefahr für brasilianische Urwälder und für europäisches Grundwasser“, warnt er dagegen vor großen Unternehmen. Die Ausbeutung der Arbeiter sei unsichtbar, weil sie in andere Teile der Welt verlagert worden sei. Gerlachs Sympathie gilt Organisationen wie Greenpeace oder Slow Food, die sich bemühen, träge Regierungen unter Druck zu setzen und überforderte Konsumenten zu informieren. Vor den paradiesischen Vorstellungen und einem „Wellness-Buddhismus“, die die Tourismusindustrie den Konsumenten mit ihren Bildern vorgaukelt, warnt der Vorsitzende der Gesellschaft für Zusammenarbeit zwischen den Alpen und dem Himalaya, Kurt Luger. Und Bazon Brock, Professor für Ästhetik in Wuppertal, wettert gegen „Bockwurst- und Bierstände und Love-Parade-Vermüllung“. Auch der Ökobewegung vermag der Künstler nur wenig abzugewinnen: „Das permanente erpresserische Gerede über den Ausbau der Alternativenergie Windkraft ist nichts als eine Deckoperation von Leuten, die ihre Geschäfte als ökologische Weltrettungsmission deklarieren.“ Originell, unterhaltsam und lehrreich ist der Beitrag des Promenadologen oder Spaziergang-Wissenschaftlers Bertram Weisshaar. Auf einem Spaziergang durch Leipzig macht er sich seine Gedanken über die den Ostdeutschen versprochenen blühenden Landschaften („Überall auf Schilder gedruckte Lügen“). Unfreiwillig komisch dagegen ist Florian Hadlers Aufsatz über die Reality-TV-Sendung „Dschungelcamp“. Der Nachwuchswissenschaftler fährt eine beeindruckende Phalanx von gerade angesagten oder schon leicht angestaubten Geistesriesen wie Giorgio Agamben oder Georges Bataille auf, um zu dem Ergebnis zu kommen, dass das Niveau der Sendung unterirdisch sei. Das bedeutet so recht, mit Kanonen auf Schmeißfliegen zu schießen oder mit Sartres „Ekel“ gegen das „Busenwunder“ Micaela Schäfer anzutreten. Hadlers Rechtfertigung für seine „ernsthafte Aufmerksamkeit eines akademischen Diskurses“ mit einer Einschaltquote von 30 Prozent der Fernsehzuschauer könnte auch aus dem Munde jedes eiskalt berechnenden Programmdirektors kommen. Gleich der erste Aufsatz des Direktors des Ludwigshafener Bloch-Zentrums Klaus Kufeld, gemeinsam mit dem Wiener Philosophieprofessor und Hedonisten Robert Pfaller Herausgeber des Bandes, gibt sich einen grundsätzlichen Anstrich und sucht nach einem neuen Naturverständnis. Dafür schlägt Kufeld eine „dritte Kultur“ jenseits von Natur- und Geisteswissenschaften und ein Verständnis der Natur als „Intersubjekt“ vor. Warum die Versetzung der Natur in den Stand eines Subjekts allerdings eine „Erhebung“ sein soll, wie Kufeld meint, bleibt schlichtweg unverständlich. Die Termini Subjekt und Objekt sind in der Philosophie völlig wertfrei gebraucht, und auch für jeden einzelnen Menschen ist ein anderer Mensch zunächst und zumeist ein Objekt. Sicherlich könnte man die Natur sogar personalisieren und ihr einen putzigen Vornamen geben, wie die Meteorologen es mit Hochs und Tiefs zu tun pflegen – ihre Orkane und anderen katastrophalen Bedrohungen würde die Natur wohl dennoch nicht unterlassen. Kufelds Ansatz ist durch und durch idealistisch, im philosophischen Sinne des Wortes. Von veränderten Begriffen erwartet er veränderte Verhältnisse. Das zeigt sich auch daran, dass er für seine „dritte Kultur“ Kants „interesseloses Wohlgefallen“, das Verhältnis des Menschen zum Schönen, in Anspruch nimmt und von einer solchen Einstellung das künftige Heil erwartet. Unberücksichtigt bleibt, dass der Mensch sich von der und im Austausch mit der Natur ernährt. „Interesselos“ könnte sein Verhältnis zu ihr nur sein, wenn es Hunger nicht gäbe. Dass Kufeld in seinem Aufsatz den Astronomen und Physiker Galileo Galilei fälschlich durch die Inquisition hingerichtet sein lässt, sei nur am Rande vermerkt. Der literarisch ansprechendste Aufsatz des Bandes stammt von Ernst Bloch. „Die Felstaube, das Neandertal und der wirkliche Mensch“ aus dem Jahr 1929 polemisiert gegen ein „Zurück zur Natur“ und irrational romantische Verklärungen von Natürlichkeit, wie sie besonders in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weit verbreitet waren. Nur schätzungsweise drei bis fünf Prozent der Fläche in Deutschland sind noch unberührte Wildnis, wie Konrad Ott, Professor für Philosophie und Ethik der Umwelt in Kiel, in einem informativen Beitrag schreibt. Es gebe etwa 30 Nationalparks, schätzt Ott, und selbst diese seien in Gefahr, durch touristisches Marketing zu „Event Destinations“ zu werden. In der Energiewende in Deutschland nach der Atomreaktorkatastrophe im japanischen Fukushima sieht dagegen der Jenenser Philosophieprofessor Wolfgang Welsch immerhin ein Hoffnungszeichen, dass die Menschen sich nicht länger als „die Meister der Welt aufspielen“, sondern sich an ihre evolutionäre Herkunft und animalische Erbschaft erinnern. Schon 1972 hat der Club of Rome auf die „Grenzen des Wachstums“ hingewiesen. Zu einem Umdenken hat die Warnung nicht geführt. Unbeirrt wird die Ideologie eines gerechten Marktmechanismus weiterhin von einer Ökonomie ohne Moral vertreten, wie der Berliner Politikprofessor Elmar Altvater feststellt. Dazu passt, dass Niko Paech, Dozent an der Universität Oldenburggroße Verantwortung des Konsumenten beschwört. In der Tat, die Naturzerstörung geht jeden an, und der Aufruf, den Lebensstil zu ändern, betrifft alle. Für den unerträglichen Widerspruch mag „der Geländewagen vor dem Bioladen“ stehen, den die Herausgeber in ihrer Einleitung anführen.

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